Im April soll ein Gesetzentwurf zum Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) in Kraft treten. Was ist neu?
Der verabschiedete Gesetzentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales beinhaltet zahlreiche Änderungen zum AÜG und ergänzt außerdem die gesetzlichen Bestimmungen zum Arbeitsvertrag (§ 611 a BGB).
Welche Auswirkungen haben die Neuregelungen?
Die neuen Regelungen erschweren die Arbeitnehmerüberlassung, schaffen neue Probleme in der Auslegung der Vorschriften und bringen durch den Versuch einer Definition des Begriffs "Arbeitsvertrag" keinen wirklichen Fortschritt.
Was ändert sich dadurch im Bereich Scheinselbständigkeit und Rentenversicherungspflicht?
Nichts!
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Warum ändert sich hier nichts?
Die neuen Regelungen sind im AÜG und im BGB angesiedelt. Für den Bereich Scheinselbständigkeit und Rentenversicherungspflicht ist die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRB) beziehungsweise deren regionale Ableger wie zum Beispiel die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg zuständig. Die DRB hat aber weder etwas mit dem AÜG noch mit dem BGB zu tun.
Die Grundlage der Tätigkeit der DRB ist ausschließlich das Sozialrecht und hier speziell das Sozialgesetzbuch (SGB). Der Gesetzgeber selbst hat in seiner Gesetzesbegründung unter anderem ausgeführt: "Soweit andere Rechtsvorschriften eine abweichende Definition des Arbeitsvertrages, des Arbeitsverhältnisses oder des Arbeitnehmers vorsehen, um einen engeren oder weiteren Geltungsbereich dieser Rechtsvorschriften festzulegen, bleiben diese unberührt."
Eventuelle Rechtstreitigkeiten zum Status "selbständig" oder "nicht selbständig" werden vor den Sozialgerichten und eben nicht vor den Arbeitsgerichten ausgetragen. Der Bereich Rentenversicherungspflicht hat ohnehin weder etwas mit der Scheinselbständigkeit noch dem AÜG zu tun.
Warum meinen dennoch viele Selbständige und Unternehmen, sie seien von den neuen Regelungen betroffen?
Dies liegt meines Erachtens vor allem daran, dass das Gesetz unter der Überschrift "Verhinderung des Missbrauchs von Werkverträgen und Leiharbeit" angekündigt worden ist und auch die öffentliche Diskussion stets in diese Richtung läuft. Aber abgesehen davon, dass die Regelungen im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens erheblich verändert beziehungsweise entschärft worden sind, wird auch heute noch übersehen, dass bislang in den Prüfungsverfahren der DRB sowohl das AÜG als auch das BGB praktisch keine Bedeutung haben.
Warum interessiert den Rentenversicherer bisher das AÜG nicht und wird sich das nun ändern!
Für die DRB kommt es überhaupt nicht darauf an, ob der Selbständige Arbeitnehmer oder "nur" sozialversicherungspflichtiger Beschäftigter ist. Der Grund: Ziel der DRB ist es, aus möglichst vielen Selbständigen sozialversicherungspflichtige Beschäftigte zu machen, damit die DRB dann maximal für vier Jahre rückwirkend die gesamten Sozialversicherungsbeiträge fordern kann. Diese Forderung stellt die DRB stets an den unmittelbaren Auftraggeber, das heißt den Vertragspartner des Selbständigen. Ist der Selbständige nicht direkt, sondern über einen Dritten wie zum Beispiel eine Unternehmensberatung beauftragt, könnte eine Arbeitnehmerüberlassung gegenüber dem Endkunden vorliegen. Da für die Forderung der DRB aber bereits deren eigene Feststellung ausreicht, dass Sozialversicherungspflicht vorliegt, und damit ein Anspruch gegen den Auftraggeber des Selbständigen gegeben ist, spielt das AÜG in diesem Zusammenhang keine Rolle.
Ist ein Scheinselbständiger nicht das Gleiche wie ein Arbeitnehmer?
Nein! Bereits in der gesetzlichen Definition des SGB zur Sozialversicherungspflicht heißt es dazu: "Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers" (§ 7 Abs. 1 SGB IV). Dies bedeutet nichts anderes, als dass ein Arbeitsverhältnis stets zur Sozialversicherungspflicht führt, eine als sozialversicherungspflichtig eingestufte Tätigkeit aber nicht automatisch ein Arbeitsverhältnis ist.
Der Begriff "scheinselbständig" bedeutet nur, dass der sozialrechtliche Status der betreffenden Person unklar ist. Letztlich gibt es nur drei Kategorien: Der echte Selbständige ohne jegliche Sozialversicherungspflicht, der Selbständige mit eigener Rentenversicherungspflicht und der Arbeitnehmer mit voller Sozialversicherungspflicht. Die Bezeichnung scheinselbständig bezieht sich also nur auf einen vorübergehenden rechtlich ungeklärten Zeitraum.
Wer entscheidet darüber, ob ein Selbständiger selbständig oder Arbeitnehmer ist?
Der Status "Arbeitnehmer" kann nur von einem Arbeitsgericht festgestellt werden. Ein Gericht wird aber nicht von allein tätig, es bedarf eines Klägers. Zieht jedoch weder der Selbständige noch sein Auftraggeber - und der Endkunde sicher ebenfalls nicht - als Kläger vor ein Arbeitsgericht, so wird dies auch insofern kein Problem darstellen.
Höheres Risiko beim Engagement von Selbständigen?
Besteht dennoch das Risiko des "Einklagens"?
Ja, das ist so. Allerdings bestand dieses Risiko beim Engagement von Selbständigen seit jeher und hat genau genommen nichts mit der Scheinselbständigkeit zu tun.
Ist dieses Risiko durch die neue Regelung zu § 611 a BGB höher geworden?
Meines Erachtens nicht. Der neue Paragraf 611 a BGB beinhaltet im Prinzip letztlich die bekannten und in der Praxis seit Langem angewandten Kriterien aus der Rechtsprechung des BAG und ist darüber hinaus - wie fast alle gesetzliche Bestimmungen - auslegbar. Es kommt nach wie vor auf den jeweiligen Einzelfall an. Auch sind die Hürden beziehungsweise Risiken für den Kläger, der zudem im Arbeitsgerichtsverfahren seine Kosten stets selbst tragen muss, nicht wirklich geringer geworden.
Haben die neuen Regelungen überhaupt Einfluss auf die Situation der Selbständigen und ihrer Auftraggeber?
Rein rechtlich betrachtet wirken sich die neuen Regelungen definitiv nicht direkt auf Selbständige und deren Auftraggeber beziehungsweise ihrer Kunden aus. Allerdings ist ohne Zweifel festzustellen, dass bereits der erste Entwurf des nun verabschiedeten Gesetzes erhebliche Unruhe ausgelöst hat. Dafür gibt es bei Licht betrachtet eigentlich keinen Grund.
Aber bei der Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung hat sich doch etwas Grundlegendes geändert, oder?
In der Tat gibt es hier eine gravierende Änderung. In der sehr häufig anzutreffenden Konstellation "Selbständiger - Auftraggeber - Endkunde" war die Rechtslage bislang so, dass bei einer nachträglich festgestellten Arbeitnehmerüberlassung diese nicht als unerlaubt galt, wenn der Auftraggeber selbst eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung besaß. Das BAG hatte in diesem Zusammenhang erst vor Kurzem entschieden, dass in einem derartigen Fall kein Vertragsverhältnis zwischen dem Selbständigen und dem Endkunden zustande kommt. Dies wird durch das neue Gesetz nun geändert: Auch eine vorhandene Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung macht aus einer nachträglich feststellten unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung keine erlaubte.
Aber: Für eine Arbeitnehmerüberlassung braucht es einen Arbeitnehmer. Das heißt mit anderen Worten, bevor eine unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung festgestellt werden kann, muss zunächst der Status der betroffenen Person - ob selbständig oder Arbeitnehmer - festgestellt werden.
Hat dies konkrete Konsequenzen für die Beteiligten?
Ja, das hat es. Ist der Status des Selbständigen als Arbeitnehmer festgestellt und liegt eine unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung vor, führt dies einerseits dazu, dass nunmehr zwischen dem Selbständigen/Arbeitnehmer und dem Endkunden, der dann als Arbeitgeber gilt, ein Arbeitsverhältnis zustande kommt.
Somit kommt hier der Endkunde - der in der oben erwähnten Dreier-Konstellation bislang zu 100 Prozent geschützt war - mit ins Spiel beziehungsweise ins Risiko. Dem Auftraggeber und dem Endkunden droht weiterhin eine strafrechtliche Verfolgung, das heißt, es kann ein Ordnungsgeld auferlegt beziehungsweise eine Geld- oder sogar Freiheitstrafe verhängt werden.
Andererseits hat der Gesetzgeber in diesem Zusammenhang eine neue Bestimmung, die sogenannte "Festhaltenserklärung", geschaffen, mit der der betroffene Selbständige beziehungsweise Arbeitnehmer erklären kann, dass er kein Vertragsverhältnis zum Endkunden wünscht. Da diese Regelung aber ausgesprochen kompliziert ist, bleibt abzuwarten, ob sie überhaupt praktikabel ist.
Wie hoch ist in diesem Zusammenhang das Risiko einer Bestrafung?
Wie bereits erwähnt, hat die DRB kein Interesse am Thema Arbeitnehmerüberlassung. Der strafrechtliche Aspekt ist nach meiner Erfahrung nur dann von Bedeutung, wenn der Zoll in die Prüfung involviert ist, weil dieser seine Prüfungsergebnisse nicht nur an die DRB, sondern auch immer an die Staatsanwaltschaft weiterleitet, die meist zumindest ein Ermittlungsverfahren einleitet. Ob sich dies zu einem echten Strafverfahren auswächst oder mit oder ohne Geldauflage eingestellt wird, hängt vom Einzelfall ab.
Zusammengefasst gefragt: Neue Regelungen - alte Probleme?
Man könnte es in der Tat auf diesen kurzen Nenner bringen. Zwar kann es durch die neuen Regelungen des AÜG zu weiteren Problemen kommen, diese sind aber nicht wirklich neu.
Für den Bereich der Abgrenzung von selbständig und scheinselbständig, und rentenversicherungspflichtig haben die neuen Bestimmungen keine Auswirkung. Hier besteht nach wie vor eine große Grauzone, mit der alle Beteiligten auch zukünftig leben müssen.
Sollten sich alle Selbständigen, Auftraggeber und Endkunden entspannt zurücklehnen und einfach abwarten, was nach dem 1. April passiert?
Nein. Meines Erachtens gibt es zwar keinen Grund zur Panik und zu überstürzten Aktionen. Andererseits sollten alle Beteiligten ihre Situation kritisch überprüfen, sich beraten und die rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen ihrer Tätigkeit beziehungsweise Zusammenarbeit gründlich analysieren lassen.
Unternehmen, die Arbeitnehmerüberlassung betreiben, müssen sich selbstverständlich auf die neuen Bestimmungen einstellen und ihre bisherigen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen möglicherweise ändern beziehungsweise anpassen.
Und bei Unternehmen, die mit Selbständigen zusammenarbeiten, steckt nach meiner Erfahrung sowohl in den Verträgen als auch in der Ausgestaltung der Tätigkeit meist erhebliches Potenzial für Optimierung, wie zum Beispiel die Umstellung von den "klassischen" Verträgen auf AGB und Bestellung/Angebot. Auch heute noch beinhalten viele Vereinbarungen mit Selbständigen Formulierungen, die geradezu eine "Steilvorlage" für die DRB darstellen, um eine Selbständigkeit anzweifeln zu können. Weiterhin wäre zu prüfen, ob durch die Gründung einer Firma als juristische Person (GmbH oder UG) weitere Risiken verhindert oder zumindest minimiert werden können.
Im Übrigen ist die Auffassung der DRB auch nicht das letzte Wort in einer Auseinandersetzung über die Frage scheinselbständig oder nicht beziehungsweise rentenversicherungspflichtig oder nicht; jedenfalls hat die DRB in diesem Zusammenhang auch schon zahlreiche Verfahren vor den Sozialgerichten verloren.
Letztlich muss jeder Einzelfall betrachtet werden. Nur ein Gesamtpaket aus optimalen vertraglichen Vereinbarungen und AGB mit entsprechendem Angebot und Bestellung, eine die Merkmale der Selbständigkeit berücksichtigende Umsetzung und die Wahl der juristischen Form des Auftragnehmers führen zu einer optimalen und damit risikoarmen Lösung. (pg)
Weitere Informationen finden Sie auf www.dr-grunewald.de