Viele Unternehmen verstehen ihre Kunden zunehmend als Scouts und binden sie frühzeitig in Entwicklungsprojekte mit ein, so beobachtet der Kommunikationsstratege Ossi Urchs. Besonders interessant seien dabei die Millionen User, die sich mittlerweile auf Social Networks wie Twitter, Facebook, Youtube und Co. tummelten.
Laut einer aktuellen Allensbacher Computer und Technik Analyse (Acat) sind rund 40 Prozent der Internet-Nutzer in den Plattformen des Web 2.0 unterwegs - jeder zweite davon regelmäßig. Dass es sich für die Unternehmen auszahlt, wenn sie sich hier engagieren, belegen die Managementberater von McKinsey: Unter der Überschrift "Web 2.0 Finds its Payday" legten sie Anfang 2011 ihren Befund vor:
Von weltweit 3.249 befragten Führungskräften gaben zwei Drittel an, Online-Medien geschäftlich zu nutzen. Mit 40 beziehungsweise 30 Prozent liegen Social Networks und Blogs dabei auf den vorderen Plätzen. Unternehmen, die sowohl intern als auch extern mit Web 2.0 arbeiten, verbuchten größere Marktanteile und höhere Margen, fanden die Berater heraus. Je intensiver die Nutzung, desto reicher die Ernte.
BMW zapft Community-Wissen an
Mit dem Ideenwettbewerb "Tomorrow‘s Urban Mobility Services" zapfte die BMW Group im Rahmen ihrer Innovationsinitiative "Co-Creation Lab" das Wissen und die Kreativität ihrer Community an. Beim Co-Creation Lab handelt es sich um eine virtuelle Plattform für alle, die an Automobilthemen interessiert sind.
Der erste Aufruf zu "Tomorrow‘s Urban Mobility Services" brachte Ideen rund um mobile Dienstleistungen in Ballungszentren von morgen hrvor. Insgesamt 497 Mitglieder der Plattform veröffentlichten 300 Ideen, die von mehreren Tausend Personen bewertet und kommentiert wurden. Der erste Platz d ging an Venugopal Panicker aus Indien, der das PMUP-Konzept entwickelte. Das Kürzel steht für "Pick me up please" und soll in Zukunft Fußgängern von der Straße aus Mitfahrgelegenheiten vermitteln. Die "Trip Cards", die Fahrer und Mitfahrer zusammenbringen, sind in Handys und Navigationssysteme einsetzbar.
IT Operations Day
Achtung: Die Digital Natives kommen!
Selbst die seriösesten Marktforscher sagen voraus, dass schon bis zum Ende dieses Jahrzehnts die Menschen privat über mehr als zwei Billionen Endgeräte vernetzt sein und in Echtzeit rund um die Uhr kommunizieren werden. Spätestens dann dürfte die „Generation Facebook“ als Mitarbeiter und Kunde denselben Service-Level erwarten, den sie in ihren privaten Netzwerken gewohnt ist.
Social Networks, Cloud Computing, Mobility – Was IT-Manager und Digital Natives voneinander lernen können. Am 12. Mai 2011 in Berlin: IT Operations Day - Die Digital Natives kommen!
Audi schreibt Wettbewerb aus
Auf der Suche nach den idealen Autoformen für morgen veranstaltete die Audi AG im vorletzten Jahr einen Designwettbewerb für Jedermann. Es galt, einen Audi für das Jahr 2025 zu entwerfen. In bester Web-2.0-Manier spannten die Ingolstädter ihre Klientel, gewissermaßen die User, für dieses Projekt ein. Zudem kooperierten sie mit dem Computerspielhersteller Electronic Arts (EA).Er hatte eine Software entwickelt, mit der auch Laien ansprechende Autokarossen basteln sollen. Das Tool entstammt dem EA-Spiel "Score", in dem es Monster zu entwerfen gilt.
"Wer sich ins Web 2.0 vorwagt und die Crowd-Power für neue Ideen anzapfen möchte, sollte vor allem eines beherrschen: zuhören", bringt Alexander Körner, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Lemon5 - Fresh Consulting GmbH, das Problem auf den Punkt. Am Anfang jeder Aktivität - ob für Marketing-Zwecke oder die Produktentwicklung- stehe die Analyse.
Social Media Analytics verschaffe ein klares Bild darüber, was über ein Unternehmen im Web gesprochen werde - wo, wann und vor allem wie. Entscheidend seien Tonalität (Sentiment) und generelles Gesprächsaufkommen (Buzz). Was meint ein User wirklich, wenn er "like" oder "dislike" anklickt? Spiegelt die gepostete Information die tatsächliche Gemütslage des Users wider?
"Sarkastische Äußerungen, Ironie und Zynismus von echten Aussagen zu unterscheiden ist eine der Schwierigkeiten", weiß auch Yasan Budak, Prokurist und Mitgründer von Vico Research. Hier schlägt die Stunde der Computerlinguisten, die ähnlich wie in Business-Intelligence-(BI)-Projekten Eingangsdaten filtern und bereinigen. Auf Basis der Analyse lässt sich zunächst entscheiden, ob die Informationen aus dem Web 2.0 eine tragfähige und valide Basis sind, um sie für Entwicklungs- und Marketing-Prozesse zu verwenden. Netter Nebeneffekt: Bei Entwicklungsprozessen, die eine Vielzahl von Interessenten einbinden, läuft die Marketing-Maschine vom Anfang an mit.
Eine Million Swarowski-Fans
"Auftritte auf Social-Media-Plattformen geben Unternehmen ein Gesicht, schaffen Kundenbindung und stärken die Marke", weiß Gerda Pracher, Lead Manager International Corporate PR Corporate Branding & Communications bei Swarowski. Um Kundenwünsche und Anregungen ernst zu nehmen, ist der Kristallveredler seit Sommer 2009 im Web 2.0 aktiv. Der Erfolg gibt der Initiative recht: Inzwischen zählt die Fangemeinschaft über eine Million Mitglieder.
Momentan überwachen die Glasspezialisten den "User Generated Content" weltweit in Foren, Blogs, Sozialen Netzwerken. "Wir merken eine Verbesserung der Tonalität in den Gesprächen rund um Swarovski seit wir aktiv teilnehmen", so Pracher. Durch quartalsweise Vergleiche lässt sich einer negativen Tonalität gegensteuern: "Wird beispielsweise über einen Bereich wie Gewährleistung vermehrt schlecht gesprochen, so geben wir die Informationen intern weiter und können die Prozesse in dem Bereich zeitnah optimieren."
Melitta-Kunden als Ideengeber
Mit der Initiative "Der Kunde als Ideengeber" beschreitet der Markenartikelhersteller Melitta neue Wege der Produktentwicklung. "Wir hatten bis dato alles ausprobiert: klassische Marktforschung, Fokus-Gruppen, tiefenpsychologische Interviews", erläuerte Gerold Schandl, zuständig für New Business Development bei Melitta, auf der Jahrestagung Social Media 2011 von Management Circle. Allerdings gestaltete es sich immer schwieriger, neue kundenrelevante Themen zu finden. Die Hoffnung: Open Innovation.
"Für ein Traditionsunternehmen wie Melitta war es nicht einfach, sich dem Web 2.0 zu öffnen", erklärt Schandl. Negativbeispiele hatten Skeptiker auf den Plan gerufen: "Sie lassen sich nur wirkungsvoll überzeugen, wenn man selbst Erfahrungen sammelt", ist Schandl sicher. Nach einiger interner Überzeugungsarbeit identifizierte ein Kernteam im das Wettbewerbsthema "Gerüche im Haushalt" und das Motto: "Smell Fighters Innovation Contest".
Nach einer rund achtwöchigen Entwicklungsphase - vom Konzept, über die Programmierung und dem Test - startete der Wettbewerb. Als technischen Backbone wählten die Mindener die Plattform "Hyve". Teilnehmer wurden auf der eigenen Website, in Facebook und Twitter sowie in zwei Dutzend Online-Communitys wie "putzen.de" und "renovieren.de" sowie in Blogs angeworben. Preise im Gesamtwert von 5.000 Euro sorgten für zusätzlichen Anreiz.
"Ziel waren mehr als 500 Teilnehmer, wir kamen auf 248", räumt Schandl ein, "doch die Anzahl der Ideen übertraf unser Ziel". Melitta hatte gehofft, 100 Ideen zu bekommen, eingereicht wurden 208. "Positiv überrascht", so Schandl, war das Unternehmen von der hohen Qualität der Vorschläge. Einige waren konkret ausgearbeitet und sofort umsetzbar. Die Teilnehmer aus 44 verschiedenen Ländern brachten teilweise außergewöhnliche Gedankenblitze ein. "80 Prozent der Ideen hätten unsere Teams sicher auch entwickelt", sagt Schandl, "aber die restlichen 20 Prozent sind einzigartig - und auf die kommt es an".
EA hat eine differenzierte Strategie
Der Spielhersteller EA zieht bereits jede fünfte Innovation aus der Community. Allerdings gilt das nicht für alle Produkte im gleichen Maße. "Unsere Kunden sind die Experten, doch inwieweit sie sich in die Weiterentwicklung einbringen, hängt stark vom Charakter des Games ab", führt Felix Göppl, Head of Media & Consumer Insights bei EA, aus. Die Antwort des Spieleherstellers ist eine differenzierte Vernetzungsstrategie. Einmal sind lediglich ausgesuchte Lead-User frühzeitig in der Gestaltung involviert. Bei anderen Spielen wird der intensive Kontakt über soziale Netze, Blogs und Communitys gesucht.
Empirisch lässt sich nicht belegen, ob Produkte durch die Mitwirkung der Masse qualitativ besser werden. Einzelfälle sprechen dafür. Laut Körner von Lemon5 kommt es aber darauf nicht an, sondern: "Produkte werden als besser und wertiger empfunden, weil man sie als Kunde mitgestalten kann." Anerkennung sei die Währung. Nicole Krämer, Professorin für Sozialpsychologie, Medien und Kommunikation an der Universität Duisburg-Essen, kennt die Erfolgsformel der Social Networks: "Das Bedürfnis, zu anderen Menschen zu gehören, der Need to Belong, ist der stärkste Motivator, um sich auszutauschen und persönliche Informationen mitzuteilen." (qua)
Viel genutzte Netzwerke
-
Facebook: seit Februar 2004 im Netz; Mitte März 2011 laut Wikipedia fast 650 Millionen Mitglieder.
-
Twitter: 2006 erstmals online; heute im Schnitt täglich 140 Millionen Kurznachrichten.
-
LinkedIn: mit über 90 Millionen registrierten Nutzern das größte Business-Network der Welt.
-
Xing: Deutschlands aktivstes Business-Netzwerk; laut Arbeitsgemeinschaft Online-Forschung monatlich vier Millionen Zugriffe.
-
Youtube: im Oktober 2009 mehr als eine Milliarde Videoabrufe pro Tag - Tendenz steigend.