Web-Konferenzen in der Praxis

Web-Konferenzen in der Praxis

21.09.2007 von Lars Reppesgaard
Videokonferenzen und andere neue Kommunikationstechnologien helfen vielen Firmen, trotz ihres globalen Wachstums kundenfreundlich zu bleiben.

Bei Schattdecor im oberbayrischen Thansau sind Videokonferenzen fast schon so alltäglich wie das Telefon. Schattdecor stellt Dekorpapiere her, mit denen sich Spanplatten günstiger als mit Furnier veredeln lassen. Aus dem 1985 gegründeten Sechs-Mann-Betrieb ist inzwischen ein internationales Unternehmen mit 1300 Mitarbeitern geworden, das an weltweit elf Standorten über 420 Millionen Euro im Jahr umsetzt.

Mit dem Wachstum und der Expansion in andere Länder ist im Unternehmen auch der Kommunikationsbedarf gestiegen. Früher mussten Mitarbeiter aus den Bereichen Produktion, Technik, Qualitäts- oder Dekor-Management nach Schanghai, ins italienische Rosate, nach São José dos Pinhais in Brasilien oder ins polnische Tarnowo Podgórne reisen, um sich vor Ort mit ihren Kollegen zu besprechen. Mittlerweile sitzen sie stattdessen immer öfter in Thansau in einem Konferenzraum, um sich per Videokonferenz von Angesicht zu Angesicht am Bildschirm auszutauschen.

Dass Holzindustriezulieferer wie Schattdecor inzwischen so stark auf Videokonferenzen setzen, ist kein Zufall. Die Nutzung von Kommunikationsinstrumenten in mittelständischen Unternehmen ändert sich zusehends, beobachtet Frank Schmeiler, Research Director bei der Experton Group. Derzeit setzen den Münchner Marktbeobachtern zufolge zwar beispielsweise erst vier Prozent der kleinen und mittelständischen Unternehmen Videokonferenzsysteme ein – doch es werden rasch mehr. Innerhalb der nächsten zwei Jahre soll sich der Einsatzgrad von Videokonferenzsystemen mehr als verdoppeln. Weil der Erklärungsbedarf sowohl bei Konsumentenware als auch bei Produktenfür industrielle Abnehmer rasant steigt, nutzen immer mehr Unternehmen – von Online-Shop für Unterhaltungselektronik bis hin zum Spezialmaschinenanbieter – neue Kommunikationskanäle wie Videokonferenzen. Auch Internet-Telefonie-Clients wie Skype und Google- Talk oder Instant-Messaging-Systeme wie ICQ ergänzen immer häufiger E-Mail, Fax und Telefon. Der Einsatz derartiger Chat- und Messaging-Lösungen wird Experton zufolge innerhalb der nächsten zwei Jahre um 30 Prozent zulegen.

Kommunikation 2.0: Soforthilfe für Kunden

Der Grund für den Boom der Kommunikation 2.0 im Mittelstand ist der gestiegene Bedarf an Soforthilfe bei den Kunden. Weil viele geschäftskritische Softwaresysteme oder Produktionsanlagen komplexer sind denn je und die Ausfallzeiten in den Just-in-Time-Produktionsketten immer teurer kommen, hat derjenige im weltweiten Wettbewerb einen Vorteil, der in Sekundenschnelle Abhilfe schaffen kann, statt auf die Anreise von Technikern im Flugzeug verweisen zu müssen. Auch bei Schattdecor steht dieser Trumpf bei den Videokonferenzen im Vordergrund: „Wir müssen uns nicht mehr ins Flugzeug setzen und zwölf Stunden nach Schanghai fliegen, um ein Problem vor Ort zu diskutieren“, sagt Roland Heeger, Vorstand Technik bei Schattdecor.

Wie sehr der Markt boomt, zeigen die vollen Auftragsbücher der Softwareanbieter. Das jüngst von Cisco Systems übernommene Web-Konferenz-Unternehmen Webex wächst jährlich um etwa 30 Prozent. Der Umsatz der KarlsruherFirma Netviewer, einem Anbieter von Fernwartungs- und Online-Collaboration-Lösungen, verdoppelt sich sogar jedes Jahr.

Drei bis vier Mal in der Woche nutzen Schattdecor-Mitarbeiter das Videosystem, das die Münchner Medientechnikspezialisten Vitec aufgebaut haben. Ein Grund für eine Videokonferenz ist beispielsweise eine standortübergreifende Besprechung beim Aufbau einer neuen Druckmaschine. Erst vor kurzem hat Schattdecor eine solche Maschine in China in Betrieb genommen und wenig später in Brasilien eine baugleiche Anlage installiert. Daraufhin tauschten sich die Techniker vor Ort an beiden Standorten mit der technischen Abteilung in Thansau intensiv über Video aus.

Große Investitionen in neue Leitungskapazitäten sind in der Regel nicht nötig, um derartige Lösungen nutzen zu können. Die gemeinsame Basis der neuen Kommunikationskanäle ist das Internet Protocol. Die Infrastruktur kommt durch die immer größere Verbreitung von Breitband-Internet-Anbindungen ohnehin in die Unternehmen. „Somit ist das Fundament für eine weitere Marktdurchdringung der neuen Kommunikationsinstrumente gelegt. Heutige DSL-Bandbreiten sind auch in den nächsten zwei bis drei Jahren für mindestens 75 Prozent der vom Markt adaptierten Lösungen völlig ausreichend“, sagt Experton-Fachmann Schmeiler. Die Kommunikationssoftware ist zudem oft billig oder im Fall von Skype oder Instant-Messaging-Clients sogar kostenlos.

Web-Konferenz günstiger als klassische Videokonferenzen

Auch die Internet-gestützten Web- Konferenz-Systeme sind selbst weitaus günstiger als die früher genutzte klassische Videokonferenztechnologie aus der Telefonwelt, sagt Peer Stemmler, Deutschland-Chef von Webex Communications in Düsseldorf. Webex hat weltweit 30 000 Kunden, 3000 davon in Deutschland. „Es scheint so zu sein, dass wir einen bestimmten Kreis unter den Mittelständlern ansprechen“, beschreibt er seine Kunden. „Viele gehören zur jüngeren Generation von Entscheidern, etliche nutzen auch Lösungen wie Skype, um über das Internet zu telefonieren.“

Ein Webex-Kunde ist der Prüf-, Messund Wägetechnikhersteller Hottinger Baldwin Messtechnik (HBM). Die Darmstädter nutzen das sogenannte Webex Meeting Center und Webex Remote Support, um mit Remote-Support, Schulungen und Präsentationen über das Internet die Kundenzufriedenheit zu steigern und um früher als bisher bei Problemen reagieren zu können. Die Anwendungen für Web-Konferenzen und Fernwartung hostet der Anbieter in einem eigenen Netzwerk. „Damit reduzieren wir Reisekosten, sparen wertvolle Zeit und haben eine deutlich schnellere Reaktionszeit bei Problemen“, sagt Andrea Numrich, die bei HBM für den Zentraleinkauf verantwortlich ist.

Nicht alle Kunden sind aber mit Webex zufrieden – genauer gesagt: mit dem Service. Das Unternehmen arbeitet, um die Kosten für Support und Vertrieb niedrig zu halten, grundsätzlich ohne Besuch beim Kunden. Hilfe gibt es nur über eine telefonische Hotline, das Internet-Angebot der Firma oder via EMail. Jürgen Rath, IT-Leiter beim Chemieunternehmen CHT R. Beitlich in Tübingen, genügte das nicht. „Funktioniert hat Webex schon“, sagt er. „Aber der Service hielt nicht das, was wir uns von ihm versprachen.“

Webex

Rath hielt für die Arbeit mit der Webex-Software regelmäßig einen oder zwei ISDN-Kanäle frei. Doch für die Videoanwendung erwies sich diese Bandbreite als zu schmal. „Wir mussten jedes Mal 15 bis 30 Minuten warten, bevor wir die Anwendung nutzen konnten“, sagt Rath. „Das teilte ich Webex mehrfach mit.“ Geändert hat das nichts. „Auf deren Test-Servern ging das Starten einer Fernwartungs-Session immer schnell, aber bei uns im Produktivbetrieb ging es immer langsamer. Das Problem wurde beim Unternehmen von A nach B geschoben. Bis es mir zu blöd wurde und ich es leid war, dafür weiter Geld zu bezahlen.“ Mittlerweile setzt Rath stattdessen ein Programm namens Log Me In ein, das nur auf die Softwarewartung aus der Ferne spezialisiert ist.

Das Beispiel zeigt, dass es sinnvoll ist, mit den jungen Anbietern neuer Technologien Ehen auf Zeit zu schließen, statt sich langfristig zu binden. Auch die schlanken Servicestrukturen, die zwar gute Preise ermöglichen, aber mitunter Anwendern das Gefühl geben, bei komplexen Problemen allein gelassen zu werden, schmecken nicht jedem. Roland Heeger setzt etwa mit Vitex bewusst auf einen Videoanbieter aus der Region, weil ihm kurze Reaktionszeiten im Falle eines Ausfalls wichtig sind.

Wenn die Technik aber erst einmal zuverlässig läuft, sorgt sie mitunter für einen großen Qualitätssprung in Sachen Kundenservice. „Es ist schon Wahnsinn, was man mit einem 300 Kilobyte kleinen Programm bewirken kann“, sagt Markus Failing, Abteilungsleiter Service und Kundendienst bei der Land GmbH, einem Maschinenbauunternehmen aus Hüttenberg mit weltweiten Industrieuntenehmen als Kunden, die Fräsund Graviermaschinen nutzen. Diese Geräte arbeiten mit einer umfangreichen Steuerungssoftware. Die Support-Mitarbeiter von Lang können durch die Netviewer-Software während eines Telefonats auf den Bildschirm eines Kunden blicken und Einstellungsfehler oder andere Probleme bei der Steuerungssoftware beheben. „Früher kam es nicht selten vor, dass ich zwei Spezialisten für mehrere Tage nach Taiwan oder in die USA schicken musste, um vor Ort Updates einzuspielen oder die Systeme zu warten“, sagt Failing. Das können sich die Hessen nun sparen. Den Kunden gefällt das, und die Land GmbH spart Kosten. Und die Familien der Fachleute, die bei Lang in den Bereichen Kundenservice und Wartung arbeiten, freuen sich erst recht, dass Papa das Wochenende häufiger zu Hause verbringt.