Web-Services: Das Versprechen der Einfachheit

27.03.2002 von Wolfgang Miedl
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Web-Services sind derzeit zweifellos das dominierende Thema in der IT-Branche. Auch wenn noch einige Zeit vergehen wird, bis sich die neue Technik etabliert hat, so deutet die breite Unterstützung in der Industrie darauf hin, dass im Softwaresektor ein Paradigmenwechsel ansteht.

Noch befindet sich die von vielen Experten ausgerufene Ära der Web-Services im Anfangsstadium. Der allgemeine Hype hat immerhin dafür gesorgt, dass praktisch jeder Anbieter auf den Zug aufgesprungen ist und die volle Unterstützung der neuen Standards gelobt. Anders als bei früheren Entwickungen war es im Fall der Web-Services jedoch auch relativ einfach, einen Konsens zu finden, dem sich selbst rivalisierende Firmen wie Microsoft, IBM oder Sun anschlossen.

Mike Gilpin, Giga: "Web-Services sind mit einem Mc-Donalds-Drive-In vergleichbar: Der Kunde kann einfach bestellen, ohne über die internen Vorgänge Bescheid wissen zu müssen."

Mit Hilfe von Web-Services sollen sich Applikationen dynamisch und flexibel aus Komponenten bauen lassen, die via Web zugänglich sind. Nicht mehr die Präsentation von Inhalten wie im Web steht im Vordergrund, sondern die „Präsentation“ von Programmlogik oder Geschäftsprozessen über eine standardisierte, XML-basierende Schnittstellentechnik. In Verbindung mit öffentlichen Verzeichnissen, die ähnlich wie Gelbe Seiten Auskunft über verfügbare Dienste geben, können Anwendungen verschiedenster Plattformen ohne aufwändige Adapter oder Middleware über das Internet kommunizieren.

Rivalen in Eintracht

Der Hauptgrund für die breite Zustimmung in der Branche sind vor allem die zugrunde liegenden offenen Standards. Web-Services beruhen auf der universellen Beschreibungssprache XML, die in die drei Basisstandards Soap (Simple Object Access Protocol), WSDL (Web Services Description Language) und UDDI (Universal Description, Discovery and Integration) Eingang gefunden hat. Bedeutsam ist zudem die Übertragung der XML-Daten über den allgegenwärtigen Web-Transportmechanismus HTTP (Hypertext Transfer Protocol) - damit sind die Anforderungen für die Datenkommunikation auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner gebracht. Web-Services erreichen somit einen Grad von Interoperabilität, der das Beschreiben, Publizieren und Aufrufen von Anwendungen gegenüber jedem Teilnehmer einer Transaktion völlig unabhängig von der darunter liegenden Architektur ermöglicht.

Herauskommen sollen dabei - das ist die große Hoffnung von Anbietern wie Anwendern - Programme, die unabhängig von ihrer Plattform und ihrem Standort miteinander kommunizieren und Daten austauschen können. Die Erfolgsgeschichte des Internet, die bisher in erster Linie auf der Bereitstellung von Inhalten beruhte, soll damit auf das Angebot von Software und neuer Dienstleistungen ausgeweitet werden.

Tatsächlich spricht vieles dafür, dass diese Rechnung aufgeht. Von einer historisch zwangsläufigen Entwicklung hin zu den Web-Services hat sogar David Winer, CEO der Softwarefirma User Land, unlängst auf einer Web-Services-Konferenz der COMPUTERWOCHE-Schwesterzeitschrift „Infoworld“ in San Francisco gesprochen. Winer, der 1998 zusammen mit Microsoft den XML RPC (Remote Procedure Call) als Grundlage für Soap erfunden hatte, sieht einen wichtigen Schritt in diese Richtung in Microsofts Idee von 1983, anstelle von monolithischen Programmen Softwarekomponenten dynamisch mit Script-Sprachen zu verknüpfen. Dem folgte die Entwicklung der grafischen Benutzeroberflächen. Auf den Web-Boom, mit dem sich die Browser, HTTP-Server und TCP/IP etablierten, folgte die zwangsläufige Verschmelzung von Browser und Desktop auf praktisch allen Systemen. Mit den

Web-Services schließlich, so Winer, hätten Unix und der Desktop zusammengefunden.

Die breite Akzeptanz der Web-Service-Technologie führt Winer unter Berufung auf den IT-Pionier Douglas Engelbart auf die Einfachheit ihrer Grundlagen zurück. „Neues muss einfach beginnen, sonst hat es keine Chance“, so Winer. „Wenn man eine neue Technologie nicht von Anfang an versteht, wird man sie ignorieren.“ Beispielhaft für diese Einfachheit sei seine Website Weblogs.com, die Winer mit Hilfe seiner neuen Software „Radio Userland“ auf der Basis von Soap und XML entwickelt hat.

Handfeste Vorteile erwarten viele Experten durch die Einführung von Web-Services in Unternehmen. Wo bisher aufwändige Middleware für die Integration unterschiedlicher Anwendungen auf verschiedenen Plattformen zur Selbstverständlichkeit gehört, könnten mit Hilfe von einfachen Web-Service-Schnittstellen kostengünstigere Lösungen realisiert werden. Schließlich kann man Web-Services, auf einen einfachen Nenner gebracht, als Schnittstellen-Mechanismus verstehen, als einfaches Interface, das einem Programm etwa den Aufruf von Methoden fremder, entfernter Objekte ermöglicht, ganz egal in welcher Programmiersprache diese verfasst sind. Giga-Analyst Mike Gilpin verglich Web-Services auf der „Infoworld“-Konferenz mit einem Mc-Donalds-Drive-In: „Im Restaurant passieren viele Dinge, die man nicht sieht oder gar nicht sehen will. Der Kunde hat lediglich mit einem Bestellsystem zu tun, ohne wissen zu

müssen, welche Prozesse für die Erfüllung der Bestellung notwendig sind.“

Tom Hilgenberg, Stratege des Beratungsunternehmens Hewitt, fügte hinzu, dass Web-Services im Gegensatz zu bisher verbreiteten „individuellen Verbindungen“ einen standardisierten Zugriff auf Dienste ermöglichen. Hewitt-Kunden können zukünftig aus ihren Programmen heraus auf Mainframe-Anwendungen zugreifen, während in diesem Szenario bisher „Screen-Scraping“, also das Auslesen und Weiterverarbeiten einer HTML-Web-Seite, üblich war.

Web der Dienste

„Web-Services sind nicht mehr und nicht weniger als ein Weg, um die Anwendung-zu-Anwendung-Integration zu standardisieren.“ (Adam Bosworth, Bea)

„Web-Services sind ein reiner Schnittstellen-Mechanismus. Dadurch ist es möglich, eine einfache Schnittstelle für komplexe Geschäftsprozesse innerhalb eines Unternehmens bereitzustellen.“ (Mike Gilpin, Giga)

„Für Unternehmen sind Web-Services geeignet, um plattformunabhängige Schnittstellen für die Verbindung von Legacy-Anwendungen aufzubauen.“ (Mike Gilpin, Giga)

„Wir können unseren Kunden keine Plattformen diktieren, deshalb machen uns Web-Services plattformunabhängig.“ (Tom Hilgenberg, Hewitt Associates).

Bei aller Gemeinsamkeit in Bezug auf die grundlegenden Standards verfolgen die großen Hersteller mit ihren Produkten recht unterschiedliche Strategien. Microsoft geht bei den Web-Services einen eigenen Weg und hat sehr früh funktionsfähige Testversionen seiner neuen Tools vorgelegt. Das Kerngeschäft der Redmonder besteht traditionell im Verkaufen von Software-Tools, im Gegensatz etwa zu IBM, die vor allem an Services verdient.

Entsprechend umfangreich sind Microsofts neue Web-Service-Produkte wie das soeben erschienene „Visual Studio .NET“. Erwartungsgemäß verfolgt die Gates-Company hierbei eine hochintegrierte Strategie, die bei voller Ausnutzung ihrer Komfort-Features den Einsatz der neuen .NET-Server voraussetzt. Zusätzlich sollen im Lauf des Jahres die .NET-Myservices fertig werden. Dabei handelt es sich um gehostete Dienste, die gegen eine Mietgebühr in Programme integriert werden können. Ungeachtet aller Integrationsbestrebungen rund um Windows betonen die Redmonder immer wieder, dass gemäß dem offenen Web-Service-Paradigma auch andere Plattformen Microsoft-basierende Dienste nutzen können.

Microsoft, IBM, Bea und Co.

IBMs erster Schritt in Richtung Web-Services begann mit der Veröffentlichung des Java-basierenden Soap-Toolkits „Soap4J“ im April 2000, das anschließend an das Apache-Open-Source-Projekt übergeben wurde. Im Gegenzug hat IBM die Apache-Plattform in seinen Application-Server integriert. „Web Sphere Studio 4“, das seit August 2001 zur Verfügung steht, hat eine Reihe von Funktionalitäten erhalten, die eine Verbindung von J2EE (Java 2 Enterprise Edition) und Web-Services ermöglichen.

Bea hat soeben das Web-Service-Entwicklungs-Framework Weblogic Workbench herausgebracht. Damit sollen laut Vice President Adam Bosworth in erster Linie Unternehmen angesprochen werden, die in Microsoft- und Legacy-Umgebungen arbeiten. Die wichtigsten Merkmale von Workbench sind asynchrones Messaging für Unternehmensanwendungen, Server-seitige Steuerelemente vergleichbar mit denen von Visual Basic und eine grafische Benutzeroberfläche, die einen Überblick über Web-Services verschafft. Bosworth verspricht eine vereinfachte Entwicklungsarbeit für das seiner Ansicht nach mächtige, aber derzeit noch viel zu komplexe J2EE-Umfeld.

Interoperabilität und Sicherheit

Unterdessen haben Microsoft, IBM und Bea gemeinsam die Gründung einer Gruppe angekündigt, die Entwicklern Hilfestellung beim Aufbau von Web-Services geben soll. Zudem will die „Web Services Interoperability Organization“ die Konsistenz der zentralen Standards Soap, WSDL und UDDI überwachen und den Aufbau kommender Standards für Transaktions-Management-Systeme auf den Gebieten Sicherheit, Identifikation und Authentifizierung begleiten.

Trotz des vielversprechenden Potenzials warnen einige Experten vor der Illusion, Web-Services würden alle IT-Probleme lösen. So existieren etwa im Bereich Sicherheit noch klare Defizite, wie Giga in einer Studie herausgefunden hatte. Eben aus diesem Grund würden laut Giga derzeit noch kaum umfangreiche Web-Services im geschäftlichen Bereich entwickelt, die beispielsweise Lieferketten mit Beschaffungssystemen unter Geschäftspartnern integrieren könnten. Nicht zu übersehen sind auch Sicherheitslücken, wie sie vor allem in Microsoft-Produkten in letzter Zeit immer wieder aufgetaucht sind.

Für viele Firmen, die auf Web-Services setzen, dürfte das bedeuten, sich damit zunächst auf den internen Bereich hinter der Firewall zu beschränken. Hersteller und Gremien bemühen sich aber bereits um verbesserte Mechanismen. So arbeitet das W3C an den Protokollen XML Encryption und XML Signature, Microsoft hat WS Security und IBM HTTP-Reliable vorgeschlagen.

Nicht zu unterschätzen sind beim Thema Web-Services die Anforderungen an ein möglichst ausfallsicheres Netzwerk. Hier dürften hohe Kosten lauern. Probleme könnte auch noch die ausstehende endgültige Standardisierung von Soap und WSDL bereiten.

Trotz der vielen Hürden, die noch auszuräumen sind, dürfte der Zug in Richtung Web-Services nicht mehr aufzuhalten sein. Schließlich hat sich die Industrie dem Thema schon jetzt komplett verschrieben. Und insbesondere im Bereich der Anwendungs-Integration lassen sich in kürzester Zeit beachtliche Vorteile erzielen.