Eine Stadt am Glasfaserstrang

Wenn Fibre to the Home Realität wird

08.07.2008 von Klaus Papp
Der Traum vom Glasfaseranschluss in der Wohnung oder im eigenen Haus - für rund 40 000 Haushalte der 750 000-Einwohner-Metropole Amsterdam ist er bereits Realität. Die erste Phase des Citynet-Projekts steht kurz vor der Vollendung. Ein Projektbericht.

Am Anfang war - wie so oft - die Idee: Eine superschnelle Internet-Verbindung in jedes Gebäude eröffnet Bürgern und Unternehmen der Stadt unzählige neue Möglichkeiten im Online- und Multimedia-Zeitalter. Die Stadtväter im niederländischen Amsterdam stellten die Weichen dafür bereits 2001, als sie eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gaben, um alle Optionen für ein modernes Kommunikationsnetz zu prüfen. Ziel war nicht nur, die ansässige Telekommunikations- und IT-Industrie zu beleben, die auf leistungsstarke Kommunikationsnetze angewiesen ist; auch andere Branchen und vor allem die rund 750 000 Bürgerinnen und Bürger der Stadt sollten von diesem offenen Netz profitieren - etwa durch neue Bildungs- und Gesundheitsdienstleistungen.

Die Machbarkeitsstudie der Projektgruppe Amsterdam Citynet nahm die gängigen Verbindungstechniken via Kupfer- oder Coax-Kabel, Funk, ADSL und Glasfaser unter die Lupe. Dabei zeigte sich, dass die erzielbaren Bandbreiten bei Kupfer- und Coax-Kabeln schnell an ihre Grenze stoßen würden. Und auch Funkverbindungen waren trotz des geringeren Installationsaufwands keine Option, weil auch hier Geschwindigkeit und Kapazität begrenzt sind. Zudem benötigen drahtlose Netze ebenfalls eine auf Kabeln basierende Infrastruktur. "Glasfasernetze bieten die besten Voraussetzungen für eine zukunftsfähige IT-Infrastruktur einer Stadt wie Amsterdam", sagt Herman Wagter, Leiter des Citynet-Projekts. "Im Gegensatz zu ADSL- oder Kabelanschlüssen erreichen Glasfaserverbindungen identische Geschwindigkeiten bei Down- und Uploads - und das bei enorm hohen Übertragungsraten, die mit weiterentwickelten Techniken sogar noch schneller werden können, ohne dass man neue Leitungen verlegen muss."

Glasfaser in jedem Haus

Während Glasfaserleitungen bislang überwiegend beim Bau großer Weitverkehrsnetze (WAN = Wide Area Network) und allerhöchstens bis zu den Vermittlungsstellen/Umschaltstationen an Straßenkreuzungen zum Einsatz kamen, galt es nun, auch die "letzte Meile" von den Vermittlungsstellen zu den einzelnen Wohnungen und Büros mit Lichtwellenleitern zu verbinden. Nur so konnte gewährleistet werden, dass sich das volle Potenzial dieser Technik - und damit schnelles Internet, HDTV, Mehrkanalrundfunk und Multimedia-Anwendungen - bis in die Arbeits- oder Wohnzimmer entfaltet. Glasfaser in jedes Haus - das war also die Entscheidung Amsterdams.

2003 kam ein Beraterkomitee zum Schluss, dass ein so genanntes Point-to-Point-Netz auf Fibre-to-the-Home- (FTTH-)Basis sowohl technisch machbar als auch finanzierbar war. Für Planung und Aufbau des Netzes gründete die Stadtverwaltung ein Joint Venture mit mehreren Partnern aus Wirtschaft und Verwaltung. Der Betrieb des Netzes sollte über ein EU-Ausschreibungsverfahren an einen externen Gesellschafter vergeben werden. "Die Stadt Amsterdam war also Initiator und Ideengeber. Planung, Aufbau und Betrieb sollten aber über externe Gesellschaftermodelle erfolgen, mit der Stadt als Partner", so Wagter.

Partner mit Weitblick

80 Prozent des gesamten Wohnraums in Amsterdam sind Mietwohnungen. Davon sind mehr als die Hälfte (53 Prozent) im Besitz von Immobiliengesellschaften. Sie waren die Ersten, die die Stadt mit im Boot hatte, als 2004 die konkreten Planungen für das Citynet-Projekt begannen. Erste Erfahrungen mit Glasfasertechnik hatten Wohnbaugesellschaften schon im Vorfeld bei Neubauten gesammelt. Dabei hat sich gezeigt, dass mit Glasfaseranschlüssen ausgestatte Gebäude für die Nutzer deutlich attraktiver waren und der Immobilienwert stieg. 2006 gründeten schließlich drei Investorengruppen - die Stadt Amsterdam, verschiedene Wohnbaugesellschaften sowie die Unternehmen ING Real Estate und Reggefiber - die Glasvezelnet Amsterdam (GNA) mit einem Investitionsvolumen von jeweils sechs Millionen Euro. Dieses Geld wurde für die erste Ausbaustufe des Citynet verwendet, in der zehn Prozent der etwa 440 000 Gebäude in Amsterdam vernetzt werden. Die GNA handelte Verträge mit den Gewinnern des EU-Ausschreibungsverfahrens aus, die sich dort um den Aufbau und Betrieb des Citynet beworben hatten. Um die Errichtung der technischen Infrastruktur kümmert sich seitdem ein Konsortium aus den Unternehmen BAM und dem Glasfaser- und Netzwerkspezialisten Draka, während BBned, eine Tochter der Telecom Italia, anschließend den Betrieb der aktiven Infrastruktur übernimmt, die sie von der GNA mietet. Die Kosten für den Abschluss der ersten Aufbauphase des Citynet wurden auf 30 Millionen Euro beziffert, wovon zwölf Millionen mit Krediten finanziert wurden.

Effizient vernetzt

Die Anbindung ganzer Stadtteile an ein neues Hochgeschwindigkeits-Glasfasernetz stellt die planenden Stellen vor große Herausforderungen. Wo und wie sollen die Kabel verlegt werden? An welchen Punkten kommt die unterstützende Technik zum Einsatz, und wie kann so ein logistisch anspruchsvolles Projekt koordiniert werden?

Zu diesem Zweck hat der Projektpartner Draka eine Lösung entwickelt, die den Aufbauprozess beschleunigt und stark vereinfacht. Das "Draka XS.Net" ist ein zweistufiges System, das auf moderne Glasfasertechnik mit allen dazugehörigen Supportkomponenten setzt und gleichzeitig eine integrierte Planungs-, Aufbau- und Verwaltungssoftware einschließt. Das Programmpaket umfasst die vier Bestandteile Netzwerk-Design (basierend auf AutoCAD), Projekt-Management, Identifizierung sowie Registrierungs- und Installationsplanung. Die Komponenten sind so aufeinander abgestimmt, dass schon während der Designphase die benötigten Ressourcen und Kosten berechnet und auf einer auf Geoinformationssystemen basierenden Kartenansicht dargestellt werden können. "So lässt sich sehr genau voraussagen, wie lange der Aufbau eines Netzabschnitts dauern wird, wie viel Material und Arbeitskräfte dafür benötigt werden und wie hoch die Kosten sein werden", erklärt Karel Helsen, Director Broadband bei Draka Communications. "Damit konnten wir in kürzester Zeit die erste Phase des Citynet planerisch erfassen und ihren Aufbau zügig vorantreiben." Das Tool hat aber nicht nur den Netzaufbau verkürzt, sondern auch zu enormen Einsparungen geführt -"bei der Anschaffung, der Installation und Implementierung und beim Betrieb des Netzes über die gesamte Laufzeit", so Helsen weiter. Wenn das Netz erweitert werden muss, etwa weil ein neues Gebäude errichtet wurde, lässt sich das aufgrund der vorhandenen Planungsdaten zügig und unkompliziert erledigen. Helsen: "Das Draka XS.Net ist der erste Schritt auf dem Weg zur Standardisierung von Netzaufbauprozessen."

Wagter berichtet, dass die ersten privaten Nutzer des Netzes begeistert sind. "Auch speziell für das Citynet entwickelte Dienstleistungen sind schon verfügbar. Der Fabchannel überträgt zum Beispiel komplette Konzerte in HD-Qualität und Surround-Sound über das Netz. Dafür haben die Macher 2006 den renommierten Webby-Award, in der Online-Community vergleichbar mit dem Oscar, erhalten. In eine andere Richtung geht der Cultureplayer - das ist eine Plattform für Theater und Museen, über die Aufführungen und Ausstellungen multimedial präsentiert werden." (mb)