Bundestagswahl 2017

Wie digital ist der deutsche Wahlkampf?

Kommentar  von Ismail Elmas
Auf welche digitalen Technologien setzen deutsche Politiker und Parteien im Bundestagswahlkampf? Wie nutzen sie diese? Und: Kann die deutsche Politik den digitalen Vorreitern aus anderen Ländern das Wasser reichen?

Während die Kandidaten in anderen Ländern schon seit Jahren um jeden Like kämpfen, fand der deutsche Bundestagswahlkampf im Jahr 2013 noch weitgehend außerhalb des Internets statt. Zwar bespielten auch schon damals viele Politiker und Parteien offizielle Social-Media-Kanäle - die wenigsten Aktivitäten folgten dabei allerdings einer erkennbaren Strategie. "Das Internet ist für uns alle Neuland", erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Hochphase des damaligen Wahlkampfs einem überraschten Publikum. Mittlerweile ist es gelungen, zumindest Teile des "Neulands" zu erschließen: So gut wie jeder Politiker nutzt heute Twitter oder Facebook, ausnahmslos alle Parteien sind dort präsent - und beweisen - des Öfteren - ein wachsendes Maß an Professionalität.

Wie digital sind deutsche Politiker und ihre Parteien?
Foto: Koelnmesse

Gleich mehrere deutsche Parteien erheben den Anspruch, eine höhere Digitalkompetenz zu besitzen als die Konkurrenz. Wie viel digitale Expertise bei ihnen aber tatsächlich vorhanden ist, dafür scheint der Technologie-Einsatz im Wahlkampf ein guter Indikator. Konnte die deutsche Politik in dieser Disziplin mittlerweile zu Vorreitern - etwa in den Vereinigten Staaten - aufschließen? Oder mangelt es ihr nach wie vor an technologischer Innovationsfreude? Eine Bestandsaufnahme.

Lesen Sie zum Thema Bundestagswahl auch:

Die digitalisierte Bundestagswahl?

Dass im aktuellen Bundestagswahlkampf alle Parteien in den sozialen Medien aktiv sind, sollte nicht überhöht werden - denn das sind mittlerweile auch so gut wie alle Bäckereien und Friseurbetriebe. Wahre Digitalkompetenz zeigt sich beim Einsatz von Technologien, die wenigstens noch ein Hauch von Innovation umweht.

Und in diesem Bereich fehlt es der deutschen Politik eindeutig an Mut: So hat etwa die CSU einen Chatbot namens "Leo" entwickelt, der den Usern Fragen über politische Themen beantworten soll. Anstatt auf künstliche Intelligenz setzt die Partei aber auf einen vorgefertigten Katalog aus Antworten. Zu groß scheint die Angst vor einem Chatbot-Debakel, wie es Microsoft im letzten Herbst mit "Tay" durchlebte.

Beeindruckender sind da noch die sogenannten "Klinkenputzer"-Apps, die CDU, SPD und weitere deutsche Parteien für den Tür-zu-Tür-Wahlkampf einsetzen. Die aus Frankreich und den Vereinigten Staaten bekannten Tools helfen den Wahlkämpfern, Straßen oder Nachbarschaften mit großem Wählerpotenzial zu identifizieren und die in den Gesprächen gesammelten Informationen an die Parteizentrale zu schicken, wo eine systematische Auswertung vorgenommen werden kann. Das ist nicht viel, aber immerhin ein Anfang.

Was prinzipiell möglich wäre, zeigt ein Blick nach Frankreich: Dort setzte der amtierende Präsident Emmanuel Macron im Wahlkampf um das Präsidentenamt auf Big-Data-Analysen - unter anderem für die Ausarbeitung seines politischen Programms. Ein spektakulärer Coup gelang auch dem linkssozialistischen Kandidaten Jean-Luc Mélenchon: Er setzte auf Augmented Reality in Form eines holografischen Abbildes seiner eigenen Person. Während er selbst in Lyon zu seinen Anhängern sprach, stand sein Hologramm zeitgleich im Pariser Vorort Aubervilliers auf der Bühne. Auf diese Weise erreichte Mélenchon an einem einzigen Abend rund 18.000 Menschen. Überdies brachte ihm die Live-Übertragung des Spektakels in den sozialen Medien zusätzliche Aufmerksamkeit ein - der Hashtag #JLMHologramme schaffte es weltweit auf Platz Eins der Twitter-Trends.

Der Schlüsselfaktor im digitalen Wahlkampf

Der Fall Mélenchon zeigt eindrucksvoll, wie wirkungsstark der Einsatz digitaler Technologien im Wahlkampf sein kann. Der "Hologramm-Auftritt" steigerte nicht nur punktuell seine Reichweite, sondern unterstrich auch die digitale Kompetenz der Linkssozialisten - ganz nach dem Motto "the medium is the message".

Zugleich macht das Beispiel deutlich, worauf es beim Technologie-Einsatz - auch im Wahlkampf - ankommt: Was wäre passiert, hätte ein Hardware- oder Software-Fehler die Aktion scheitern lassen? Während Mélenchon in Lyon auftrat, hätten in Aubervilliers tausende Menschen enttäuscht vor einer leeren Bühne ausgeharrt. Der breit beworbene Internet-Stream hätte ausfallen können, lediglich der eigens für die Aktion ersonnene Hashtag wäre trotzdem getrendet. Mit dem Unterschied, dass er ausschließlich gehässige Kommentare über die Inkompetenz der Linkssozialisten im Umgang mit neuen Technologien zutage gefördert hätte.

Was für die freie Wirtschaft gilt, gilt auch für die Politik: Wenn Apps, Websites oder andere digitale Technologien nicht funktionieren, kann das für Anbieter einen enormen Imageschaden nach sich ziehen. Denn viele Nutzer packt in solchen Momenten der Zorn. Wie eine aktuelle Untersuchung zeigt, sorgen Performance-Probleme bei 56 Prozent der deutschen Verbraucher für Frustration, bei 27 Prozent sogar für Stress oder Wut. Dass die digitalen Angebote einer Partei potenzielle Wähler verärgern, kann selbstverständlich kein Wahlkämpfer wollen. Wer neue Technologien im Wahlkampf einsetzen will, muss die User Experience und Anwendungs-Performance deshalb lückenlos überwachen.

Das gilt auch für die bereits angesprochenen "Klinkenputzer"-Apps. Denn auch die Wahlkämpfer einer Partei erwarten komfortabel zu nutzende Anwendungen, auf die sie sich verlassen können. Das fängt bereits bei den Daten an, auf deren Basis die App vielversprechende Gegenden für den Tür-zu-Tür-Wahlkampf identifiziert. Wenn die Wahlkämpfer feststellen, dass die Einschätzungen der App im Regelfall nicht zutreffen, werden sie deren Nutzung schnell einstellen. Eine wichtige Frage ist auch, wie es um die Integration anderer Services, etwa Social-Media-Plattformen, aussieht. Zu guter Letzt sollten Politiker und Parteien unbedingt auch Metriken wie Ladezeiten oder Fehlerraten im Blick behalten. Apps, die für den Einsatz im Wahlkampf konzipiert sind, müssen letztlich den gleichen Qualitätsmaßstäben genügen, wie kommerzielle Angebote aus der freien Wirtschaft.

Umfrage - "Enduser Experience"
Enduser Experience
Die Ergebnisse der Umfrage von Berlecon zum Thema "Enduser Experience"
End User Experience - Folie 1
Es klafft eine Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Fast alle befragten IT-Verantwortlichen halten das Bemühen um die Anwenderzufriedenheit für ein Wesensmerkmal jeder guten IT-Organisation. Aber nur wenige handeln entsprechend.
End User Experience - Folie 2
Gemessen werden häufig nur Einzelkriterien. Die Unternehmen, die ganze Prozesse aus Endanwendersicht überprüfen, sind bislang noch in der Minderzahl.
End User Experience - Folie 3
Fehlende Mittel und knappes Personal müssen häufig als Gründe dafür herhalten, warum die systematische Messung der Endanwender-Erfahrungen ausbleibt. Aber viele IT-Verantwortliche sehen gar keinen Handlungsbedarf.
End User Experience - Folie 4
Die systematische Messung anhand von Kennzahlen führt durchaus zu Vorteilen für die Unternehmen. Allerdings ist das Potenzial längst nicht ausgeschöpft.
End User Experience - Folie 5
Noch längst nicht alle Unternehmen nutzen die Messergebnisse, um die Kommunikation mit dem Business zu verbessern und Investitionsentscheidungen zu beeinflussen
End User Experience - Folie 6
Es ist gar nicht so schwierig, die Anwenderzufriedenheit zu verbessern. Diese sechs Aufgaben müssen dafür erledigt werden.

E-Voting als Zukunftsmodell?

Die Bestandsaufnahme macht klar, dass digitale Technologien die demokratischen Prozesse mehr und mehr verändern. Die nächste Bundestagswahl, die - aller Voraussicht nach - im Jahr 2021 stattfinden wird, wird wesentlich digitaler sein als noch die aktuelle.

Dabei könnte der Einsatz neuer Technologien nicht nur die Kampagnen der Parteien, sondern auch den Wahlakt selbst revolutionieren. Etwa wie in Estland: Der baltische Staat setzt bereits seit dem Jahr 2005 auf die elektronische Stimmabgabe - das sogenannte E-Voting. Circa 30 Prozent der Wahlberechtigten geben ihre Stimme dort über das Internet ab. Auch in der Schweiz läuft derzeit eine Debatte über die flächendeckende Einführung der elektronischen Stimmabgabe.

In Deutschland hingegen überwiegen in Sachen E-Voting die Bedenken: Einerseits warnen Sicherheitsexperten, dass elektronische Wahlen anfälliger für Manipulationen sind, da vermehrt Angriffspunkte und Fehlerquellen existieren. Das fängt beim möglicherweise virenverseuchten PC des Wählers an. Auch die Datenübertragung und die automatisierte Auswertung der Stimmen könnte ein Einfallstor für kriminelle Hacker darstellen. Andererseits dreht sich aber auch hier alles um Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit: Wenn das E-Voting-System kurz vor Urnenschluss unter dem Ansturm der Spätwähler zusammenbricht, sind Neuwahlen unausweichlich. Ganz zu schweigen vom Vertrauensverlust, den eine aufgrund von technischen Problemen annullierte Wahl nach sich ziehen würde. Auch beim E-Voting wird es deshalb entscheidend sein, die Anwendungs-Performance stets im Blick zu behalten.

Was auch immer die Zukunft bringt - einstweilen werden wir unser Kreuzchen bei der Bundestagwahl noch offline machen. Und auch die Digitalisierung des Wahlkampfs steckt hierzulande noch in den Kinderschuhen. Wenn die Parteien den Wählern glaubhaft vermitteln wollen, dass sie sich mit der digitalen Transformation befassen, sollten sie beim Einsatz entsprechender Technologien in Zukunft mehr Kreativität und Mut zeigen. Schließlich können Parteien und Politiker dabei nur gewinnen - solange die Nutzererfahrung den Erwartungen der Anwender entspricht. (fm)

Nutzungsbarrieren für E-Government
Mangelnde Datensicherheit
Vor allem die deutsche Nutzer sorgen sich um ihre Daten. Generell zeigt sich: Je älter die Befragten, desto größer die Sorgen.
Keine durchgängigen Angebote
Auch hier zeigen sich die Deutschen besonders kritisch. Sie bemängeln häufige Medienbrüche im E-Government-Angebot.
Unübersichtliche Dienste
Den E-Government-Services fehlt es offenbar vielerorts an Struktur. Das überfordert die Nutzer.
Komplizierte Verfahren
Behördenkontakte sind für die meisten Bürger selten, es fehlt ihnen daher an Erfahrung. Einfache Bedienung ist daher besonders wichtig.
Mißtrauen
Mangelndes Vertrauen in die Behörden ist nicht zwingend nur ein Online-Thema, bremst aber die Akzeptant der E-Government-Dienste.
Wenig Hilfe
Weil Verfahren oft kompliziert sind und selten genutzt werden, ist Hilfestellung erforderlich. Die vermissen jedoch viele Befragte.
Unpersönliche Dienste
Die Online-Abwicklung ist Vielen zu unpersönlich. Sie bevorzugen den Gang zum Amt.
Unsicher Datenübertragung
Die Datenübertragung erscheint besonders deutschen Nutzern als unsicher.
Umgang mit Daten
Das Vertrauen in den sorgsamen Umgang der Behörden mit persönlichen Daten ist besonders unter deutschen Bürger mäßig.
Transparenter Bürger
Auch hier spiegelt sich die deutsche Vorsicht vor den übergriffigen Behörden wieder. Viele fürchten, zu viele Informationen preisgeben zu müssen.
Datendiebstahl
Zudem besteht die Sorge, dass die auf Behördenrechnern gespeicherten Daten geklaut werden könnten.