Scheinselbständigkeit

Wie geht es weiter mit dem Werkvertrag?

03.02.2016 von Susanne Köppler
Freelancer nehmen auf dem deutschen IT-Arbeitsmarkt eine besondere Rolle ein. Einerseits sind sie auf Grund Ihrer Fachkenntnis und Flexibilität sehr gefragt, andererseits drohen ihnen und ihren Auftraggebern wegen der fehlenden Rechtssicherheit hinsichtlich Werkverträgen, Arbeitnehmerüberlassung und Scheinselbständigkeit empfindliche Strafen.
  • Der Kriterienkatalog zur Abgrenzung von Werkvertragsnehmern und (Schein)Selbständigen von Andrea Nahles ist Kritik ausgesetzt
  • VGSD schlägt "praxistaugliche Kriterien" vor
  • Nahles will Kriterienkatalog jedoch unverändert durchsetzen

Diese Problematik wird insbesondere seit dem Koalitionsvertrag vom 27. November 2013 diskutiert, in dem ein "Gesetz zur Verhinderung des Missbrauchs von Werkverträgen" festgeschrieben ist. Die Bundesregierung will der Scheinselbständigkeit mit einem Kriterienkatalog an den Kragen.

Sozialbetrug mit Werkverträgen

Scheinselbständigkeit liegt laut der Industrie- und Handelskammer Frankfurt a.M. dann vor, "wenn jemand zwar nach der zu Grunde liegenden Vertragsgestaltung selbständige Dienst- und Werksleistungen für ein fremdes Unternehmen erbringt, tatsächlich aber nichtselbständige Arbeiten in einem Arbeitsverhältnis leistet", was zur Folge hat, dass diese Arbeit sozialversicherungs- und lohnsteuerpflichtig wird.

Für Freiberufler und Auftraggeber stehen mit dem neuen Gesetz Veränderungen an.
Foto: Sven Hoffmann - fotolia.com

Eine Verschärfung der aktuellen Regelungen für Werkverträge und Leiharbeit fordert Reiner Hoffmann, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Für Hoffmann ist das größte Ärgernis in diesem Zusammenhang der Missbrauch der geltenden Vorschriften. Ähnlich sieht dies Jörg Hofmann, Chef der IG-Metall: "Werkvertragsnehmer sind heute günstiger und werden deshalb häufiger eingesetzt - oft missbräuchlich", wodurch nicht selten massiver Sozialversicherungsbetrug stattfindet. Zudem kritisiert Hofmann, dass Firmen Werkverträge nutzen, "um die Löhne systematisch zu drücken und Stammbelegschaften abzubauen".

Gesetzliche Höchstüberlassungsdauer

Ein Kriterium zur Unterscheidung von Werkvertrag und Selbständigkeit, auf den sich die Bundesregierung bereits im Koalitionsvertrag geeinigt hat, ist die gesetzliche Höchstüberlassungsdauer in der Zeitarbeitsbranche auf 18 Monate. Spätestens nach neun Monaten sollen die Beschäftigen zudem genauso bezahlt werden wie die Festangestellten.

Hans-Achim Quitmann, Vorstand der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe DSAG und Konzern-CIO der Carl Zeiss AG sieht diesen Ansatz kritisch: "Einen Fachmann mit dedizierten Kenntnissen zur Implementierung von Software, den ich lediglich für ein Projekt innerhalb eines großen Teams benötige, sollte ich exakt für die Dauer desselben einsetzen können. Im Zweifel auch länger als eineinhalb Jahre." Zudem verweist Quitmann darauf, dass von der Wirtschaft und Industrie maximale Flexibilität verlangt werde, welche sich nur umsetzen lasse, "wenn ein finanziell sinnvoller Personal-Mix bei der Umsetzung großer und teils sehr spezialisierter Projekte möglich ist".

Praxistaugliche Kriterien für Selbständigkeit

Die im Entwurf des "Gesetzes zur Verhinderung des Missbrauchs von Werkverträgen" vorgeschlagenen Kriterien zur Feststellung des Beschäftigungsverhältnisses bezeichnen Wirtschaftsverbände und Juristen laut dem Verband der Gründer und Selbständigen Deutschland e.V., VGSD, als praxisfern und in Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung. Daher hat der Verband eine Online-Abstimmung innerhalb der VGSD-Community durchgeführt, deren Ergebnisse dem aktuell diskutierten Kriterienkatalog als praxistaugliche Alternative gegenübergestellt wurden.

Schreckgespenst Scheinselbständigkeit
Agenturen versichern regelmäßig, dass sie alles im Griff haben …
... schließlich stehen ihre Existenz und ihr Geschäftsmodell auf dem Spiel. Aber können Auftraggeber sich darauf verlassen?
Mehr als 70 Prozent der Selbständigen …
... werden in der IT-Branche über Agenturen eingekauft.
Die Kunden halten sich mit Protest …
... gegen das geplante Gesetzvorhaben zurück. Sie wollen nicht in die Schmuddelecke mit Ausbeutern, Sozialversicherungsbetrügern und Abzockern gestellt werden.
Arbeiten vor Ort beim Kunden …
... erhöht das Risiko und ist für die DRV ein Argument für Scheinselbständigkeit. Für viele ITler ein großes Problem, da sie oft zu 100 Prozent beim Kunden eingesetzt werden.
Die DRV nimmt jedes Auftragsverhältnis unter die Lupe.
Nimmt ein Freiberufler einen fünftägigen Auftrag beim Kunden wahr, kann ihm für genau dieses Auftragsverhältnis Scheinselbständigkeit attestiert werden.
Für Freiberufler gilt: mehrere Auftraggeber sind kein Schutz …
... da die Deutsche Rentenversicherung (DRV) das einzelne Auftragsverhältnis, nicht mehr die Situation des Selbständigen prüft.
Scheinselbständigkeit bedroht 2,5 Millionen Solo-Selbständige
Die Entscheidungsgrundlage der Deutschen Rentenversicherung eine Gefahr für Selbständige, Vermittlungsagenturen und Projektkunden. Es drohen hohe Nachzahlungen und strafrechtliche Verfolgung.

Bei den vorgeschlagenen Kriterien handelt es sich, im Gegensatz zum Gesetzesentwurf, um Positivkriterien, die dazu führen, dass bereits bei Vertragsschluss festgestellt werden kann, ob eine Selbständigkeit vorliegt und damit ein gültiger Vertrag zustande gekommen ist.

Kriterium "Sachzwänge der heutigen Arbeitswelt"

Die meisten Stimmen erhielt das Kriterium der Sachzwänge. Konkret bedeutet das, dass Arbeitsbedingungen, die auf Sachzwänge der heutigen Arbeitswelt beruhen, nicht als Kriterien für Scheinselbständigkeit gedeutet werden sollen. Hierbei ist insbesondere gemeint, dass Arbeitszeit- und Arbeitsortbestimmung nicht dazu führen, dass es sich um Scheinselbständigkeit handelt.

Softwareinstallation beispielsweise kann nur an den Kundenrechnern durchgeführt werden, was jedoch noch nicht für eine Scheinselbständigkeit sprechen darf. Und das ist nur ein Beispiel von Solo-Selbständigen, die im Rahmen von Projekten in den Räumen des Auftraggebers tätig werden. "Wer trotzdem solche Kriterien einführen möchte, belegt einen erheblichen Teil der Solo-Selbständigen faktisch mit einem Berufsverbot", erläutert Andreas Lutz, Vorstand des VGSD.

Kriterium "Verdienst"

Ebenso einen Großteil der Stimmen erhielt das Kriterium "Verdienst". Dieses Kriterium hat der VGSD bereits in seinem Positionspapier vorgeschlagen, und auch in der Online-Umfrage erhält es viel Zuspruch. Sind mit dem Honorar die Lebenshaltungskosten, die soziale Absicherung und das Auslastungsrisiko des Freiberuflers abgedeckt, kann Lohn-Dumping regelmäßig ausgeschlossen werden.

Freiberufler-Markt 2016: Was Personaldienstleister erwarten
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Scheinselbständigkeit, Wachstumschancen 2016, Kandidatenmarkt - das waren nur einige der Themen, über die die rund 20 Personaldienstleister diskutierten, die die COMPUTERWOCHE im Oktober 2015 zum Freiberufler-Roundtable in die Redaktion geladen hatte.
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Luuk Houtepen ist Head of Business Development DACH bei Sthree. Das erste Wort, das er in Deutschland lernte, war "Passt ned!". Da sucht ein bayerischer Konzern händeringend IT-Spezialisten und bekommt einen Kandidaten aus Hamburg vorgeschlagen - die Antwort lautet "passt ned".
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Andreas Krawczyk, Chief Operation Officer (COO) bei Freelancer.Net, beobachtet, dass die viel zitierte Offenheit durchaus auch auf Seiten der IT-Freien fehlt. "Freiberufler sind auch oft passiv", sagt er, "sie kümmern sich zu wenig um Akquise."
Marco Raschia, top itservices
Marco Raschia, Director des Global Competenc Center Finance bei top itservices, sagt über die konservative deutsche Unternehmenskultur: "Diese Thematik haben wir ja jetzt durch die aktuelle Flüchtlingskrise auf dem Tisch." Er begrüßt, dass viele Bildungsträger Sprachkurse anbieten.
Christian Neuerburg, DIS AG
Ein weiterer großer Schmerzpunkt ist die unklare Rechtslage, Stichwort Scheinselbständigkeit. Christian Neuerburg, Manager Operations bei der DIS AG, legt denselben Katalog an Prüfkiterien an Selbständige zugrunde wie die deutsche Rentenversicherung. Neuerburg weiß: Eben jener Katalog der Rentenversicherung ist keine Drohkulisse, sondern "gelebte Realität".
Nikolaus Reuter, Etengo
Nikolaus Reuter, Vorstandschef von Etengo, engagiert sich gemeinsam mit dem Deutschen Bundesverband Informationstechnologie für Selbständige (DBITS) und leistet Lobbyarbeit auf bundespolitischer Ebene. Er sagt: "Selbst Andrea Nahles hat mit dem Dialogprozess 'Arbeiten 4.0' verstanden, dass sie ein hundert Jahre altes Gesetzeswerk nicht einfach in neue Formen klopfen kann."
Michael Girke, Q-Perior
Wie Michael Girke, Partner bei Q-Perior, beobachtet, beschäftigt das Thema Scheinselbständigkeit ganze Compliance-Abteilungen. Manche Branchen allerdings wollen schon gar nicht mehr mit Freiberuflern zusammenarbeiten, etwa Risiko-averse Versicherungen.
Daniela Kluge, Gulp
„Wir Dienstleister haben es mit zwei herausfordernden Zielgruppen zu tun. Auf der einen Seite steht der selbstbewusste Freiberufler, der weiß, was er kann und was er wert ist. Auf der anderen Seite sind die Endkunden nicht mehr bereit, jeden Preis zu zahlen. Trotzdem ist der durchschnittlich erzielte Stundensatz der IT- und Engineering-Freiberufler in 2015 laut unserer Stundensatz-Umfrage um 50 Cent marginal auf 80,50 Euro gestiegen - ein Anzeichen für einen starken Kandidatenmarkt."
Andreas Dittes, Talentwunder
„Die Fachkräfte wissen um ihren Wert. Vor allem die jüngere Generation hat nicht nur finanzielle Ansprüche, sondern erwartet von ihrem Auftraggeber Flexibilität, etwa in Hinblick auf eine Vier-Tage-Woche oder eine Home-Office-Regelung.“
Sven Herzberg, Goetzfried
„Diese Erwartungen der Generation Y (Teilzeiteinsatz, Home Office, etc) decken sich häufig aber nicht mit denen des Kunden. Ein IT-Freiberufler hat in der Regel vor Ort zu sein, auch anderswo werden keine Kompromisse gemacht: So gilt Deutsch nach wie vor als Projektsprache. Ohne Deutschkenntnisse wird es für Freiberufler schwierig, ein Projekt zu finden.“
Carlos Frischmuth, Hays
„Deutsche Unternehmen wünschen sich zu einem überwiegenden Anteil den Einsatz deutschsprachiger Freiberufler in der IT - allerdings verzeichnen wir parallel dazu eine kontinuierliche Öffnung der internationalen Projektmärkte insbesondere für IT-Freelancer aus Deutschland!“
Andreas Nader, Questax
„Unsere Kunden erwarten nach wie vor, dass der Freiberufler bei Ihnen vor Ort im Einsatz ist, zum einen weil die freiberuflichen Experten ihr Wissen an die Mitarbeiter weitergeben sollen. Zum anderen erfordern etwa agile Methoden wie Scrum, dass alle Entwickler präsent sind und sie sich mitunter täglich austauschen und untereinander abstimmen.“
René Troche, Westhouse Consulting
„In großen Unternehmen entscheidet der Einkauf, welche Freiberufler beauftragt werden. Und sie arbeiten in der Regel nur noch mit vier bis fünf Personaldienstleistern zusammen. Mehr Offenheit und Breite findet man in kleinen und mittelständischen Betrieben.“
Stefan Frohnhoff, emagine
„Das Thema Scheinselbständigkeit sorgt sowohl bei Unternehmen als auch bei Freelancern schon seit geraumer Zeit für Unsicherheit.“
Shahin Rejaei Pour, iPAXX
„Ein IT-Experte ist ein Mensch, man kann ihn nicht wie eine Ware bestellen und aus dem Regal holen.“
Maxim Zvezdan Probojcevic, SOLCOM
„Der Markt wächst auch deshalb, weil die Auftraggeber mit der Qualität, die deutsche Freelancer abliefern, sehr zufrieden sind.“
Frank Shams, 1st Solution
"Ich habe den Eindruck, dass ein Freiberufler oft auf einen Skill reduziert wird. Dabei besteht das eigentliche „ Können" darin, ihn mit all seinen „Fähigkeiten" zu bewerten.“

Laut Lutz würde ein solches Mindesthonorar für viele Branchen Rechtssicherheit herbeiführen, "ohne dass Selbständige mit einem geringeren Einkommen automatisch als scheinselbständig gelten würden". Zudem könne es dafür sorgen, dass darunterliegende Honorare auf dieses auskömmliche Niveau angehoben würden.

Kriterium "Altersvorsorge"

Unter anderem wird auch das Kriterium "Altersvorsorge" von der VGSD-Community als ein praxistaugliches Kriterium angeführt. Eines der erklärten Ziele der Gesetzgebung ist, die ausreichende Altersvorsorge sicherzustellen. Um dem gerecht zu werden wird vorgeschlagen, einen Nachweis ausreichender Altersvorsorge als Positivkriterium für Selbständigkeit gelten zu lassen.

Würde dieses Kriterium nicht beachtet, fragt sich der VGSD-Vorstand Lutz, warum "dann selbst solche Selbständige, die freiwillig in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen und darüber hinaus noch privat vorsorgen, nach aktueller und geplanter künftiger Praxis ebenfalls verfolgt" würden.

Kritik des BdA und der Kanzlerin

Auch der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Ingo Kramer, bemängelt die Praxisferne des neuen Kriterienkatalogs von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles. Daraufhin versicherte Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem Arbeitgebertag im November 2015, sie würde keine Änderungen jenseits des Koalitionsvertrags zulassen.

Laut Kramer vergrößert der neue Kriterienkatalog die Rechtsunsicherheit in vielen Branchen, gerade was IT-Dienstleister angehe. Die Bundeskanzlerin entgegnete daraufhin, so das Handelsblatt, es müssten konstruktive Gespräche diesbezüglich geführt werden.

Nahles setzt Kriterienkatalog unverändert durch

Ungeachtet der Kritik von Arbeitgeberseite und der Bundeskanzlerin will Nahles den umstrittenen Kriterienkatalog unverändert einführen, wie die Rheinische Post berichtet. Mit den Arbeitgebern soll es nur noch zu einem letzten Treffen kommen, das sich mit Details zur Zeitarbeit befasst. Der Kriterienkatalog selbst solle so bleiben, wie er ist. Jedoch soll die Tatsache, dass alle Kriterien in der Gesamtschau erfüllt sein müssen, damit ein Missbrauch von Werkverträgen festgestellt werden kann, im Gesetz deutlicher formuliert werden.

Laut dem VGSD widersprechen diese Aussagen unmittelbar den Zusagen der Kanzlerin, dass der Koalitionsvertrag eingehalten werde.

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