Contract Lifecycle Management (CLM)

Wie Künstliche Intelligenz CLM revolutioniert

28.09.2023 von Thomas Herbst  IDG ExpertenNetzwerk
Wie Künstliche Intelligenz (KI) die Vertragsabwicklung mit den Lieferanten revolutionieren kann, zeigen Beispiele aus der Automobilindustrie.
Wie viele Getriebeteile für die Produktion einer Baureihe benötigt werden, sollte von der Planung bis hin zur Produktion ersichtlich sein - inklusive aller dazugehörigen vertraglichen Bedingungen mit den Lieferanten.
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Da Automobilhersteller für ihre Produktion in der Regel viele unterschiedliche Teile zukaufen müssen, arbeiten sie mit zahlreichen Zulieferern zusammen. Daher sind ihre Beschaffungsorganisationen oft so stark aufgegliedert, dass die einzelnen Geschäftssegmente eigene Einkaufsbereiche unterhalten - die zum Teil nichts voneinander wissen. Die Folge: Dann existiert eine große Zahl an Lieferantenverträgen, die sich auf verschiedene Medien - von Festplatten über Software-Lösungen bis hin zu Aktenordnern - verteilen und damit schwer zu organisieren, zu pflegen und zu aktualisieren sind.

Intransparenz führt zu Werteverlusten

Die daraus resultierende Intransparenz kann gravierende Folgen für einen Autobauer haben. So fand eine McKinsey-Studie heraus, dass einem Unternehmen durch mangelnde Investitionen in das Vertragsmanagement in der Beschaffung bis zu neun Prozent des Jahresumsatzes verloren gehen können. Ein Grund dafür ist, dass die einzelnen Abteilungen bei denselben Zulieferern ähnliche oder sogar gleiche Materialien zu unterschiedlichen Konditionen beziehen. So besteht zum Beispiel die Gefahr, dass vorhandene Rahmenverträge nicht eingehalten werden. Weiß eine Beschaffungsorganisation nichts davon, dass im Unternehmen bereits bestimmte Produktpreise, Anreize und Rabatte mit einem Lieferanten vereinbart wurden, läuft sie Gefahr, ungünstigere Einkaufsbedingungen auszuhandeln.

Ein weiteres Problem unzureichenden Vertragsmanagements sind übersehene Kündigungsfristen. So musste ein Autobauer von einem Zulieferer im Rahmen einer Vendor-Managed-Inventory (VMI)-Vereinbarung noch monatelang ein bestimmtes Bauteil abnehmen, obwohl das entsprechende Teil gar nicht mehr gebraucht wurde, weil die Produktion der Baureihe zwischenzeitlich komplett eingestellt worden war.

Fehlender Abgleich kann teuer werden

Empfindliche Einbußen können Unternehmen im Einkauf auch hinnehmen, wenn es keinen unternehmensweiten Überblick über vereinbarte Vertragsstrafen gibt. Zum Beispiel kostete einen Automobil-Hersteller ein geplatzter Liefertermin mehrere Millionen Euro, weil er mit dem Kfz-Abnehmer 30 Prozent, mit dem zentralen Zulieferer jedoch nur 20 Prozent Vertragsstrafe vereinbart hatte. Da die Einkaufsabteilung die beiden Verträge nicht abgeglichen und aufeinander abgestimmt hatte, blieb das Unternehmen auf einem gewaltigen Differenzbetrag sitzen.

Druck durch verschärfte Compliance-Vorschriften

Auch von gesetzlicher Seite wächst der Druck auf die Beschaffungsorganisationen, für mehr Transparenz bei der Gestaltung und Verwaltung ihrer Zuliefererverträge zu sorgen. Jüngstes Beispiel ist das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), das Unternehmen zur Dokumentation der Menschenrechtskonformität ihrer Lieferanten und Vorlieferanten verpflichtet: ob Schutz vor Kinder- und Zwangsarbeit oder Antikorruptionsrichtlinien, aber auch ausgewählte Umweltaspekte.

Lesetipp: Neues Lieferkettengesetz - Sorgfaltspflicht für Menschenrechte

Hinzu kommen steigende Compliance-Vorgaben zur nachhaltigen Unternehmensführung. So muss jeder Automotive-Konzern auf eine möglichst günstige CO2-Bilanz seines Zuliefernetzwerks achten und dies bei Audits rechtssicher nachweisen können. Das setzt einen direkten Zugriff auf alle entsprechenden Verträge mitsamt ihren Anhängen voraus, der ohne systemische Unterstützung kaum durchführbar ist.

Schnelle Vertragsabschlüsse im Visier

Doch genau daran hapert es vielerorts noch in den Beschaffungsabteilungen, die mit SAP-Einkaufslösungen arbeiten - gerade in der Automobilindustrie. So zeigt die Praxis, dass es vielen Einkäufern in dieser Branche vorrangig um möglichst schnelle Vertragsabschlüsse geht, um drohende Produktionsstillstände zu vermeiden. Aktuelles Beispiel ist die Beschaffung von Microchips, die infolge der steigenden Elektromobilität weltweit zur Mangelware geworden sind. Ist eine entsprechende Vereinbarung erst einmal unter Dach und Fach, wird sie vom Einkäufer abgelegt und frühestens dann wieder hervorgeholt, wenn es zu Problemen kommt.

Tiefe Einblicke durch Künstliche Intelligenz (KI)

Ein systematisches Contract Lifecycle Management (CLM) kann hier Abhilfe schaffen, besonders unterstützt durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI). So werden für SAP-basierte Einkaufsorganisationen bereits innovative CLM-Systeme angeboten, die KI-Funktionen nutzen, um Kunden tiefere Einblicke in die Vertragsbedingungen im gesamten Unternehmen zu ermöglichen. KI verwendet Algorithmen des Machine Learning, um aus der Datenflut vorhandener Lieferantenverträge wertvolle Erkenntnisse für die Einkäufer zu generieren - unabhängig davon, wie groß oder komplex ein Vertragsportfolio ist.

Damit lässt sich bereits zu Beginn der Verhandlungen erkennen, ob eine neue Lieferantenvereinbarung zum Beispiel Compliance-Risiken und unseriöse Klauseln enthält oder von Rahmenverträgen und der allgemeinen Firmenpolitik abweicht. Das bietet Unternehmen zahlreiche Vorteile. Zum einen wird sichergestellt, dass die besten Gesamtbedingungen auf alle Lieferantenverträge angewendet werden. Gleichzeitig werden die Einkäufer vor möglichen Vertragsproblemen gewarnt. Hat ein Autohersteller beispielsweise ein firmenweites Zahlungsziel von 30 Tagen definiert, erkennt die KI in einem neuen Vertrag jedes abweichende Zeitfenster und gibt den Einkäufern Gelegenheit, rechtzeitig Korrekturen vorzunehmen.

Einkäufer fragt - KI antwortet

Da KI-unterstützte Vertragsmanagement-Lösungen auch innovative Chatfunktionen integrieren, können Einkäufer in natürlicher Sprache (Natural Language) gezielte Fragen zu Vertragsinhalten formulieren. Wer zum Beispiel wissen möchte, welche Lieferbedingungen mit einem Vertragspartner vereinbart wurden, erhält die Antwort in kürzester Zeit - auch wenn die Vereinbarung mehrere hundert Seiten umfasst. Ebenso liefert die KI auf Wunsch eine kurze Zusammenfassung mit den wesentlichen Eckpunkten eines Lieferantenvertrags. Ein FAQ stellt eine Zusammenstellung für häufig gestellte Fragen zur Verfügung.

Gezieltes KI-Training erforderlich

Damit die KI ihr volles Potenzial entfaltet, muss sie gezielt darauf trainiert werden, spezielle Sprach- und Klauselkombinationen in den Lieferantenverträgen zu erkennen und auf ihre Auswirkungen und Fallstricke für den Einkauf zu analysieren. In der Praxis übernehmen die CLM-Anbieter im Rahmen des Implementierungsprojekts das entsprechende Training. So werden in Zusammenarbeit mit den Einkäufern die relevanten Attribute definiert und Metadaten hinterlegt, damit die KI darin bestimmte Muster und Gesetzmäßigkeiten erkennen kann.

Abhängig von der Komplexität der Verträge und der Zahl der Attribute sollten die SAP-basierten Einkaufsorganisationen mit mehreren Wochen Trainingsdauer rechnen. Da die KI sich fortlaufend selbst optimiert, werden die Ergebnisse kontinuierlich besser. Experten gehen von Trefferquoten von mehr als 80 Prozent bei entsprechendem Training aus.

Fazit: Risiken minimieren und Rechtsabteilungen entlasten

Mit KI-unterstützten CLM-Lösungen können Einkaufsorganisationen Vertragsrisiken sowie unnötigen Zeit- und Kostenaufwand vermeiden, Vereinbarungen einhalten und die Vorteile bestehender Rahmenvereinbarungen ausschöpfen. Gleichzeitig werden die Rechtsabteilungen entlastet. Denn sie brauchen künftig nur noch bei Streitfällen herangezogen zu werden, da die Einkäufer selbstständig systemgestützte Vertragsrecherchen durchführen können.

Lesetipp: KI trifft Datenschutz - Machine Learning aus rechtlicher Sicht

Alle Erfahrungen zeigen: Wer wie die Automobil-Industrie zahlreiche Lieferantenvereinbarungen zu verwalten hat, kommt an einem CLM-System nicht mehr vorbei. KI geht noch einen Schritt weiter und hebt das volle Potenzial jedes Einkaufsvertrags, jeder Klausel und jeder Verpflichtung im gesamten Unternehmen - auf Knopfdruck innerhalb kürzester Zeit. (bw)

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