Business Intelligence für alle Mitarbeiter

Wie Otto BI und Fachbereiche eng miteinander verzahnt

05.11.2020 von Martin Bayer
Werkzeuge für Business Intelligence (BI) bilden den Dreh- und Angelpunkt im Online-Auftritt von Otto. Die eigenen Mitarbeiter, Partner und Kunden sollen damit mehr Komfort auf der Plattform des Online-Händlers geboten bekommen.
Gemütlich machen es sich die Verantwortlichen bei Otto sicher nicht. Innovationen und neue Technologien verändern laufend das Geschäft.
Foto: Otto

Der Otto-Katalog gehörte in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts fest zum Inventar deutscher Haushalte. Millionen Menschen warteten Jahr für Jahr gespannt auf das Schwergewicht, um in die bunte Warenwelt des deutschen Wirtschaftswunders abzutauchen und einzukaufen. Angefangen hatte alles im Jahre 1950 mit dem ersten Katalog des Werner Otto Versandhandels: Auf 14 handgebundenen Seiten präsentierte der Händler 28 Paar Schuhe. Auflage: 300 Exemplare.

Die Verantwortlichen waren schon damals innovativ und trafen gleich den Nerv der Verbraucher. Als erster Versender führte Otto etwa den Kauf auf Rechnung ein. Das Unternehmen boomte. Ende der 50er Jahre gehörte der Otto Versand mit einem Umsatz von rund 100 Millionen Mark zu den neuen Großkonzernen der Republik. Im Geschäftsjahr 2019/20 stand sogar ein Umsatz von 14,3 Milliarden Euro zu Buche. Fast 52.000 Mitarbeiter stehen bei den Hamburgern auf der Lohnliste.

Dass der Händler auch heute gut dasteht, verdankt er seiner Bereitschaft, sich laufend zu hinterfragen und zu verändern. Das war auch nötig, denn das Internet hat den Handel spätestens seit der Jahrtausendwende massiv verändert. Unternehmen wie Amazon sprengen heute alle Maßstäbe. Viele Händler, die die Zeichen der Zeit nicht erkannt haben und zu spät reagierten, sind inzwischen Geschichte.

Otto setzt auf Algorithmen und Daten

Otto hat früh auf technologische Veränderungen reagiert. Im Jahre 1994 präsentierte der Versandhändler als erster sein Sortiment auf einer interaktiven CD-ROM. 1995 folgte der Gang ins Internet. Mit den Gründungen von discount24 und travelchannel.de bauten die Hamburger im Jahr 2000 ihre Online-Präsenz weiter aus.

Heute heißt das Unternehmen Otto GmbH & Co. KG und die Verantwortlichen schreiben laufend weiter an ihrer Digital Story. Dreh- und Angelpunkt ist dabei der Ausbau des eigenen Online-Auftritts zu einer Plattform. Ziel ist es, ein "digitales Echtzeitunternehmen powered bei Otto BI" zu werden. Die Schlüssel zur Connected Company sind Algorithmen und Daten. Mit seiner breit angelegten BI-Strategie bewarb sich Otto in diesem Jahr um den DIGITAL LEADER AWARD, den der IDG-Verlag gemeinsam mit der NTT-Gruppe vergibt. Dabei kam die Bewerbung auf den dritten Platz in der Kategorie STRATEGY.

Das bedeutet: Neben seinem Kerngeschäft baut Otto sein Geschäftsmodell um einen Marktplatz sowie zusätzliche Services für Kunden und Partner aus. Bereits in den vergangenen beiden Jahren hat der Konzern jeweils 100 Millionen Euro in die zugrundeliegende Infrastruktur investiert. Im laufenden Geschäftsjahr 2020/21 sollen mindestens 1.000 neue Partner automatisiert in die Handelsplattform eingebunden werden.

Eine zentrale Rolle bei der Plattformentwicklung spielt das Thema BI. Etwa 200 Mitarbeiter arbeiten aktuell an einer breit gefächerten Palette von Technologien und Produkten, die auf einer Cloud-basierten Technologiegrundlage zügig ausgerollt werden sollen. Es geht darum, den vorhandenen Datenschatz möglichst vielen Anwendern aus einem Data Lake heraus nach Bedarf in Echtzeit zur Verfügung zu stellen.

BI für Mitarbeiter, Kunden und Partner

Das alles bildet die Grundlage für neue Lösungen und Produkte, die Otto den eigenen Mitarbeitern, seinen Kunden sowie Plattformpartnern anbietet. Das sind einige Beispiele:

Mit Do-It-Yourself-BI (diy:BI) bietet Otto internen Anwendern die Möglichkeit, eigene Analysen und Reports zu erstellen. Die Auswertungen können allen Mitarbeitern oder einem ausgewählten Nutzerkreis zur Verfügung gestellt werden. Der Konzern verspricht sich davon mehr Flexibilität und Freiheit bei der Interaktion mit Daten. So ließen sich einfacher, schneller und kollaborativ datengestützte Erkenntnisse gewinnen, Entscheidungen treffen und ein höherer Business Value generieren.

Ein eigens für otto.de entwickelter Knowledge Graph soll Kunden die Suche erleichtern. Das System erkennt mit Hilfe von Natural Language Processing (NLP) und KI die Suchintention und führt damit zu mehr relevanten Suchtreffern sowie optimierten Produktempfehlungen. Hinzu kommt eine visuelle Suche, die Kunden dabei helfen soll, via Bilderkennung passende Produkte zu finden. Per Smartphone aufgenommene Fotos können per App auf die Otto-Plattform hochgeladen werden. Dort sucht das System nach ähnlichen Produkten und schlägt sie dem Kunden vor.

Auch Handelspartnern bietet Otto auf seiner Plattform eine Reihe von Werkzeugen. Schaltzentrale ist "Otto-Partner Connect" (OPC). Dort finden sich Analysen und Handlungsempfehlungen, die Partnern dabei helfen sollen, ihre Plattformaktivitäten und Geschäfte besser zu steuern. Daten aus dem Controlling, der Logistik und dem Onlineshop werden dazu genutzt, um Zusammenhänge zwischen Umsatzzahlen und der Qualität der Produktdaten aufzuzeigen. Darüber hinaus bietet Otto seinen Partnern Tools, um Marketing-Kampagnen aufzusetzen, mittels Forecasting Vertrieb und Logistik möglichst effizient auszurichten sowie Preise optimal zu setzen - Stichwort Dynamic Pricing.

Neue Organisation für agilere Projekte

Um all diese Projekte stemmen zu können, hat sich der Konzern neu aufgestellt: Die bisherige Organisationsform und das Vorgehen nach klassischen Projektmethoden passten in diesem komplexen Umfeld nicht mehr, haben die Verantwortlichen festgestellt. Im Rahmen der Initiative OneBI wurde die Otto-BI als maßgebliche Produktorganisation neu etabliert. Agil und mit schneller Reaktionsfähigkeit sollen BI und Fachbereiche eng miteinander verzahnt werden. Im Rahmen einer iterativen Produktentwicklung spricht Otto an dieser Stelle von sogenannten Value Streams. Dabei werde die Wertschöpfung Ende zu Ende betrachtet. Zudem würden Strategie und Ressourcen regelmäßig geprüft - zentrale Fragen sind:

Daneben identifizieren die Value Streams zu automatisierende Prozesse und setzen dafür gezielt Algorithmen und KI ein. Um beispielsweise den Wertbeitrag der Produktentwicklung in den Value Streams zu ermitteln, werden KPIs wie Liefertreue und Kundenzufriedenheit erfasst.

Die Veränderungen in der Aufbauorganisation umfassen auch eine neue Führungsidee: Shared Leadership bedeutet bei Otto in der Entwicklung eine Verschlankung auf zwei Hierarchie-Ebenen sowie verschiedene flankierende Maßnahmen. Das betrifft beispielsweise den Umgang mit Fehlern, einen intensiveren Austausch im Zuge von Hackathons sowie die Förderung von Diversität mit "Community Woman". Es gab selten eine Zeit, in der wir mehr über uns selbst und unser Verständnis von Führung und Zusammenarbeit gelernt haben, konstatieren die Verantwortlichen innerhalb der BI-Organisation.

"Otto ... find ich gut"

Gleichzeitig betonen sie, wie wichtig es sei, den Menschen in den Mittelpunkt aller digitalen Aktivitäten zu stellen. "Transformation wird von Menschen für Menschen gemacht", lautet ihr Credo. Per Umfrage ermittelt Otto, wie es um die Bedürfnisse der eigenen Mitarbeiter in Sachen Datenquellen, Analyse-Skills sowie digitales Mindset bestellt ist. Die Ergebnisse fließen in die Weiterentwicklung und die Planung von Qualifizierungsmaßnahmen ein. Das Ziel: Alle Otto-Beschäftigten sollen die BI-Produkte nutzen können. Aktuell arbeiten etwa 1.000 Nutzer jeden Monat mit den Tools - damit habe man bereits ein wichtiges Etappenziel erreicht, heißt es bei den Hamburgern.

Die zahlreichen BI-Initiativen unterstreichen, dass sich Otto längst zu einem Online-Unternehmen gewandelt hat. Rund drei Viertel seiner Handelserlöse erzielt Otto aktuell über seine zahlreichen Webshops. Die Entwicklung in Richtung Plattformanbieter soll dem Wandel noch mehr Schub verleihen.

Den Katalog braucht Otto heute nicht mehr, um seine Geschäfte anzutreiben. Das World Wide Web mit seinen digitalen Plattformen bestimmt längst den Handel. Und die Hamburger sind online mit dabei. Der letzte Katalog aus der Druckerpresse erschien 2018. Dann war Schluss. Doch das Motto, das den Händler seit Mitte der 80er Jahre begleitet, lebt auch online weiter: "Otto … find ich gut".