Windows, Linux - was ist günstiger?

11.11.2004 von Ulrich Falke
Die Berliner Bezirke brauchen eine neue Desktop-Architektur. Aber welche? Der Dienstleister EDS rechnete für die Kommunalverwaltung der Hauptstadt sieben Möglichkeiten durch.

Hier lesen Sie ...

  • warum die Berliner Bezirke ihre Desktop-Software modernisieren müssen;

  • welche Varianten dafür in Frage kommen;

  • was für eine gemischte Smart-Client-Lösung mit Linux und Novell-Software spricht.

Nein, einen Glaubenskrieg sieht Manfred Piechowski nicht heraufziehen. "Aber langfristig werden sich wohl zwei unterschiedliche Gemeinden herausbilden", schätzt der IT-Manager des Bezirksamtes Tempelhof-Schöneberg. Die Rede ist von der Diskussion, ob die neue Desktop-Software der Berliner Bezirke auf Windows oder auf dem Open-Source-Betriebssystem Linux basieren soll.

Wird Berlin demnächst Freie-Software-Stadt? Vieles spricht dafür.

Die Berliner Kommunalverwaltungen stehen unter Druck: Trotz leerer Kassen müssen sie ihre Systeme erneuern, um den Erwartungen der Bürger zu entsprechen und das durch den Masterplan des Bundes gesteckte Ziel eines umfassenden E-Government zu erfüllen. Mit den im Schnitt vier bis fünf Jahre alten PCs lassen sich diese Leistungen nicht erbringen - zumindest nicht, so lange die Rechner in der Fat-Client-Variante betrieben werden. Hinzu kommt, dass Microsoft die Wartung für das Betriebssystem NT 4.0, das auf den meisten Arbeitsplatzrechnern des Bezirksamtes installiert ist, einstellen will. Abgelöst werden muss auch die lokal genutzte Netzsoftware "Novell Netware".

Die Berliner Senatsinnenverwaltung hatte zunächst eine flächendeckende Migration auf Windows XP in Verbindung mit der Simulationssoftware von Citrix vorgeschlagen. Eine andere Haltung hat Piechowski. Seiner Ansicht nach sollte so viel wie möglich auf Linux umgestellt werden. Das hat, so versichert er, nichts mit Lagerzugehörigkeit zu tun, sondern ausschließlich rationale Gründe: "Uns geht es um die wirtschaftlichste Lösung."

Um den kostengünstigsten und zugleich qualitätsförderndsten Weg herauszufinden, beauftragte die überbezirkliche Geschäftsstelle zur Koordinierung und Beratung für IT-Verfahren (Kobit) den IT-Dienstleister EDS, mit einer "Machbarkeitsstudie für den Einsatz von Open-Source-Software in der Verwaltung der Berliner Bezirke". Als Pilotfall sollte Tempelhof-Schöneberg dienen. Untersucht wurden sieben Migrationsszenarien mit und ohne Microsoft-Produkte.

"Um eine faire und objektive Kostenprüfung zu gewährleisten, haben wir erst einmal die Voraussetzung geschaffen, dass sich die verschiedenen Lösungswege überhaupt miteinander vergleichen lassen", erläutert Roberto Herrmann, Senior-Berater bei EDS und Projektleiter für die Studie. Eine der Prämissen lautete, dass nur so viel Hardware ausgetauscht werden sollte wie unbedingt erforderlich. Hier bot sich die Umstellung auf ein Thin-Client-Konzept an, in dessen Rahmen sich auch ältere PCs noch nutzen lassen. Innerhalb der Microsoft-Welt bedeutet Thin Client eine Terminal-Server-Lösung. Ergänzend dazu wurden auch die Fat-Client-Lösungen untersucht.

Die Berechnungsgrundlage

Die Kostenberechnungen für alle Lösungen schließen die Wartungsverträge ein. Zudem splittet die Analyse die Kosten in Betrieb, Projekte und Ersparnisse. Zum Betrieb zählen alle Veränderungen der Kosten. Unter dem Stichwort Projekte werden die Ausgaben für die Umsetzung der Vorhaben subsumiert - ohne die Anschaffungskosten. Die Ersparnisse leiten sich aus nicht mehr benötigten Betriebsaufwendungen ab.

Der Betrachtungszeitraum ist auf fünf Jahre festgelegt - beginnend 2005. Damit entspricht er der durchschnittlichen Abschreibungszeit für Hard- und Software in der öffentlichen Verwaltung. In die Kalkulation fließen ferner die Personalkosten der an den Migrationsprojekten beteiligten internen und externen Mitarbeiter ein. Dabei rechnet die Studie damit, dass sich die Ausgaben für das Personal im Betrieb nicht ändern.

Die Szenarien der reinen und der gemischten Open-Source-Umgebung setzten eine Weiterverwendung der vorhandenen Office-97-Professional-Lizenzen voraus, während für die Migration auf Windows XP ein Wechsel zu Office 2003 angenommen wird. Bei beiden Microsoft-Varianten müssten zudem allein in Tempelhof-Schöneberg rund 1200 der insgesamt etwa 2000 Desktops ausgetauscht werden. Das würde den Finanzhaushalt des Bezirks noch einmal um bis zu 500 000 Euro belasten.

Deshalb ist die gemischte Open-Source-Variante mit einem Gesamtaufwand von rund 1,4 Millionen Euro kostengünstiger als die Fat-Client-Lösung von Microsoft, für die der Bezirk insgesamt 1,65 Millionen Euro investieren müsste. Zusätzlich bietet die favorisierte Lösung den Vorteil, dass sich zentrale Infrastruktursoftware, beispielsweise Daten- und Druckverzeichnisfunktionen, von Novell weiterverwenden lässt, für die bereits Lizenzen gezahlt wurden.

Die Bestandsaufnahme

Zunächst galt es jedoch, mit Hilfe eines detaillierten Fragebogens eine Bestandsaufnahme von der IT-Architektur der Verwaltung zu erhalten - wobei das achtköpfige IT-Team des Bezirks tatkräftige Hilfe leistete: Die Grundlage des Netzes in Tempelhof-Schöneberg, an das etwa 90 Prozent der Arbeitsplatzrechner angeschlossen sind, bildet das Betriebssystem Novell Netware 4.11. Zusätzlich ist ein "Samba"-Server installiert, der in erster Linie für den Datenaustausch zuständig ist. Daneben existieren zirka 200 Client-Systeme, die dezentral über Windows NT 4.0 und Windows-2000-Domänen administriert werden.

Die Abteilungen des Bezirksamts nutzen insgesamt 56 verschiedene Anwendungen, im Behördenjargon IT-Fachverfahren genannt. Zentrale Bedeutung haben sechs Querschnittsverfahren, die in jeder Abteilung des Bezirksamtes verwendet werden. Von diesen Programmen wird mit Abstand am häufigsten die Access-2.0-Anwendung "Proinfo" genutzt, mit der die Mitarbeiter aus dem Ber-liner Produktkatalog bestellen können. In einer Linux-Umgebung könnte sie mit Hilfe von Emulationssoftware betrieben werden. Auf der Beliebtheitsskala folgt "Profiskal", ein Programm für Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen. Diese Anwendung ist bereits für Linux-Clients verfügbar und erfordert lediglich eine Freigabe. Relativ häufig aufgerufen werden außerdem die Arbeitszeitkonten, bisher eine Windows-Applikation, sowie die Integrierte Personalverwaltung "IPV", für die es ebenfalls ein Linux-Client-Äquivalent gibt, das nur noch freigegeben werden müsste.

Insgesamt sieht Gregor Lietz, Director Government bei EDS, in den öffentlichen Verwaltungen gute Zeiten für Open-Source-Software (OSS) anbrechen: "Durch die von der KBSt geschaffenen Standards und Architekturen in E-Government-Anwendungen, kurz Saga, werden heute eindeutige Anforderungen an die Plattformunabhängigkeit von Anwendungen gestellt", so seine Begründung. Durch Nutzung kommerzieller OSS-Distributionen erhielten die Anwender auch die mit einem Kaufvertrag verbundene Rechtssicherheit.

Für die Übergangszeit müssen die Fachanwendungen, die sich in absehbarer Zeit nicht portieren lassen, weiterhin über Windows-Terminal-Server bereitgestellt werden. Aus Kostengründen muss die Anzahl der Nutzer allerdings möglichst gering gehalten werden.

Nach den Empfehlungen des Beraterteams sollten alle Arbeitsplatzrechner mit Open-Source-Produkten für Office, Kommunikation, Dateiverwaltung, Druckfunktionen und Web-Zugang "grundversorgt" werden. Ergänzend ist eine bedarfsorientierte Bereitstellung von kommerzieller Software, beispielsweise der Microsoft-Programme "Office", "Project" oder "Visio", möglich. Die Fachstellen der Verwaltung könnten selbst entscheiden, ob sie diese Produkte brauchen und sich leisten wollen.

Im Server-Bereich sollte Novell Netware wegen des bewährten System- und Identitäts-Managements in jedem Fall erhalten bleiben. Durch eine Zentralisierung mit marktführenden Verzeichnisdiensten und Terminal-Servern lässt sich eine hohe Administrationseffizienz erzielen. Aus diesem Grund gelangte EDS zu dem Fazit, dass eine gemischte Lösung aus Open-Source-Software in einer Novell-Umgebung optimal wäre.

Aber erst im überbezirklichen Kontext ist es möglich, die Vorteile der Standardisierung voll zu entfalten und die Migrationskosten pro Nutzer erheblich zu senken. Dasselbe gilt für die Einkaufs- und Mietpreise der Desktops und Drucker. Durch Bildung eines Softwarelizenz-Pools könnten außerdem Nutzungsrechte zwischen den Bezirken ausgetauscht werden.