DHL-Personalchefin im GenAI-Interview

"Wir hatten keine Ahnung, dass so etwas möglich ist"

11.04.2024 von Lucas Mearian
Bis vor einigen Jahren regierte bei DHL in Sachen Karriere-Webseiten das pure Chaos. Dann kam Generative AI. DHL-Personalchefin Meredith Wellard gibt Einblicke im Interview.
DHL ist in mehr als 200 Ländern vertreten. Dank Generative AI gibt's inzwischen aber nur noch eine Karriereplattform für alle Länder.
Foto: Sorbis | shutterstock.com

Wie viele andere global agierende Unternehmen betrieb auch der deutsche Logistikdienstleister DHL für nahezu jedes Land, indem er tätig ist, eine eigene Karriere-Webseite. Insgesamt entstanden so knapp 200 Webpräsenzen, die lediglich zum Teil mit Bewerber-Tracking-Systemen integriert waren und vor allem dazu genutzt wurden, standardisierte Bewerbungsformulare zu übermitteln. Das resultierte für den Konzern vor allem in zwei Dingen: einer inkonsistenten Arbeitgebermarke und einer mangelnden Anziehungskraft auf Bewerber mit besonders benötigten Skillsets. Von den nicht wettbewerbsfähigen Reaktionszeiten auf Bewerbungen ganz zu schweigen.

Um dieses Problem zu lösen, entschloss sich DHL dazu, mit Hilfe von generativer künstlicher Intelligenz (Generative AI; GenAI) eine einheitliche Karriereplattform für alle Länder aufzusetzen. Dazu schloss der Konzern eine Partnerschaft mit dem im US-Bundesstaat Philadelphia ansässigen HR-Startup Phenom, das eine KI- und Automatisierungsplattform auf SaaS-Basis anbietet. Auf Seiten von DHL zeichnet Meredith Wellard, Vice President Group Learning, Talent and HR Platforms beim Konzern, für das KI-Projekt verantwortlich. Die Personalchefin war auf die Technologie (und den Startup-Partner) aufmerksam geworden, nachdem ihre Kollegen bei DHL Express mit der Phenom-Plattform erste Erfolge verzeichnen konnte. Wellards logische Schlussfolgerung: das Projekt auf das gesamte Unternehmen auszuweiten.

Heute verfügt DHL über eine einheitliche Karriere-Webseite - die dennoch weiterhin von den nationalen Standorten an die jeweiligen kulturellen Begebenheiten angepasst werden kann. Die Resultate dieser Umstellung können sich sehen lassen. Seit dem Start der neuen Karriereplattform:

Die Kollegen unserer US-Schwester Computerworld.com hatten die Gelegenheit, mit DHL-Personalchefin Wellard ausführlich über das Generative-AI-Projekt des Logistikkonzerns zu sprechen. Im Interview - das Sie nachfolgend auszugsweise lesen - gibt sie Einblicke, wie das Projekt im Detail umgesetzt wurde und welche Schwierigkeiten es dabei zu bewältigen gab. Zudem hat die HR-Managerin auch noch einige Tipps für andere Unternehmen parat, die mit GenAI für die Zukunft planen.

"Unsere Arbeitgebermarke war etwas ad hoc"

Würden Sie uns zunächst ein wenig Kontext zu Ihrem Werdegang bei DHL geben?

Meredith Wellard: Ich bin seit 18 Jahren im Unternehmen und habe mich in den vergangenen fünf Jahren in unserem Corporate Center um diverse Themen gekümmert, beispielsweise unsere Arbeitgebermarke, die Art und Weise, wie wir uns in den Märkten positionieren oder auch wie wir neue Mitarbeiter gewinnen, binden und weiterentwickeln können. Natürlich habe ich mich auch mit dem Bereich Offboarding beschäftigt - obwohl das bei uns gar nicht so oft relevant wird.

Wann fiel der Startschuss für Ihr GenAI-Projekt und mit welchen Hürden hatten Sie diesbezüglich zu kämpfen?

Wellard: Wir haben im Laufe des Jahres 2019 mit dem Projekt losgelegt. Damals war die Technologie noch relativ neu für uns - wir haben also die ersten zwölf Monate vor allem damit verbracht, in Sachen künstliche Intelligenz und Machine Learning zu lernen.

Für jedes Team, das mit neuen Technologien experimentiert, ist es meiner Meinung nach wichtig, einen Lernprozess anzustoßen - bevor man von vermeintlich glanzvollen Dingen wie überschwänglichen Sales Pitches vereinnahmt wird. Parallel zu unseren Lernbemühungen haben wir auch noch unser Bewerbermanagementsystem auf Vordermann gebracht - quasi das Backend für unseren Recruiting-Prozess.

Speziell unsere Express-Abteilung bei DHL hat jede Menge Arbeit in die KI-Recherche gesteckt und so das Startup Phenom aufgetan. Die Kollegen wollten der Plattform des Unternehmens eine Chance geben und haben ausprobiert, ob das für sie funktioniert. Der resultierende Erfolg ließ schließlich den Gedanken aufkommen, dieses Projekt auf globaler Ebene auszurollen.

Im nächsten Schritt haben wir ein Pilotprojekt aufgesetzt, das wir 'Skydiver' genannt haben. Dazu hat uns der rasante Change und das nicht geringe Risiko des Unterfangens inspiriert. Es hat jedoch alles funktioniert, wir konnten die Kooperation mit Phenom besiegeln und 2021 innerhalb von nur sechs Monaten eine erste Version unserer Karriereseite auf die Beine stellen. Die unterstützte zunächst fünf Sprachen und konsolidierte rund 70 von 200 Einzel-Webseiten. Heute, drei Jahre später, sind sämtliche Seiten und rund 40 Sprachen integriert.

Meredith Wellard ist seit 2019 Vice President Group Learning, Talent and HR Platforms beim DHL-Konzern.
Foto: DHL

Können Sie uns erklären, warum Sie überhaupt 200 einzelne Karriere-Webseiten betrieben haben?

Wellard: Wie Sie wissen, beschäftigen wir rund 600.000 Mitarbeiter und sind in praktisch jedem Land der Welt vertreten - genauer gesagt in 220 Ländern. Dabei arbeiten wir mit einem dezentralen Modell. Die 'Macht' verbleibt also in den Händen der jeweiligen Länderniederlassungen. Schließlich müssen diese sicherstellen, für die lokalen Märkte relevant zu sein, das ist in der Dienstleistungsbranche extrem wichtig.

Unser Leitsatz lautet seit jeher: 'So global wie nötig, so lokal wie möglich'. Allerdings haben wir ersteres ein bisschen vernachlässigt, als wir jedem Land das Go für eine eigene Karriereseite gegeben haben. Als wir dann anfingen, uns mit der KI-Technologie und entsprechenden Partnerschaften zu beschäftigen, wurde uns bewusst, dass jede Menge Arbeit auf uns zukommt, um die Recruiting-Web-Landschaft zu harmonisieren und alle Karriereseiten zusammenzuführen. Schließlich wurden einige dieser Präsenzen auch mit viel Liebe und Sorgfalt auf lokaler Ebene aufgebaut und gepflegt. Aber die Klickraten waren unterirdisch, weil sie in der Google-Suche auf Ergebnisseite 17 auftauchten.

Deshalb war es uns aber auch sehr wichtig, dafür zu sorgen, dass die lokalen Niederlassungen trotz der Vereinheitlichung weiterhin die Möglichkeit haben, ihre Webinhalte zu lokalisieren. Dabei geht es auch um mehr als nur Sprache, sondern auch darum, wie die visuellen Elemente und die zur Verfügung stehenden Jobs präsentiert werden und welche Interaktionsmöglichkeiten die Benutzer haben. Um es etwas konkreter zu machen: Wir haben lange darüber geforscht, welche Erfahrung die Nutzer in den einzelnen Ländern von einer Karriereseite erwarten. Nehmen Sie Dänemark und Japan: Diese beiden Länder sind nicht nur kulturell höchst unterschiedlich - auch die Erwartung an die visuelle Darstellung der Inhalte unterscheidet sich stark.

Wir mussten also all diese kulturellen Präferenzen berücksichtigen und gleichzeitig in unseren Business Units darüber aufklären, dass es für HR-Profis nicht selbstverständlich ist, SEO zu beherrschen oder zu wissen, worauf es bei Bildmaterial und User Experience ankommt. Einige Personaler sind möglicherweise fit in diesen Bereichen, aber eben bei weitem nicht alle.

Gibt es weitere Problemstellungen, mit denen Sie konfrontiert waren?

Wellard: Das größte Problem war definitiv unsere Sichtbarkeit, die unter den unzusammenhängenden Webseiten litt. Das zweite große Problem hing mit unseren Marken zusammen. Wir haben eine wirklich starke Consumer-Marke - jeder kennt DHL und die typischen Farben Rot und Gelb. Das ist einprägsam und die Marke bedeutet sowohl unserer Belegschaft als auch unseren Kunden und Partnern viel. Verglichen damit war unsere Arbeitgebermarke leider etwas ad hoc: Verschiedene Leute kreierten Dinge, die sie für gut und repräsentativ hielten, aber es gab keine Standardisierung. So konnte das Employer Branding in Deutschland völlig anders aussehen als beispielsweise in Südamerika. Es hat einfach nicht funktioniert.

Wir mussten unsere Marke also mit dem Ziel neu ausrichten, eine bessere Sichtbarkeit zu erlangen. Wir sind ein großartiges Unternehmen, aber wie soll man gewährleisten, dass diese Botschaft bei Bewerbern ankommt, wenn man dem Markt keine kohärente Story bieten kann? Davon abgesehen wollten wir mit dem Projekt auch dem Missbrauch unserer Marke für betrügerische Zwecke Einhalt gebieten. Bei derart vielen eigenständigen Karriere-Webseiten steigt das Potenzial für Missbrauch. Es war also auch ein Compliance-Thema.

Ein weiterer Punkt, den wir angehen mussten, war es schließlich, unser Bewerberpublikum zusammenzubringen. Die Motivation dahinter: Wenn wir einen Supply-Chain-Spezialisten rekrutieren, es aber noch drei andere starke Bewerber gab, wollen wir diese nicht wieder in den Arbeitsmarkt 'entlassen', sondern sie für andere, offene Stellen im Unternehmen begeistern - besonders in Zeiten ausgeprägten Fachkräftemangels.

"Die Personalabteilung war Technologie-Nachzügler"

Mit welchen Herausforderungen haben Sie zu kämpfen, wenn es um Recruiting geht - insbesondere mit Blick auf einige der neuen Technologien, die DHL einführt?

Wellard: Uns geht es da - glaube ich - ähnlich wie vielen anderen Unternehmen. Derzeit besteht weltweit eine enorme Nachfrage nach Fachkräften im technischen Bereich. Dabei ändern sich die meistgesuchten Skillsets gefühlt auch alle sechs Monate. Zuerst wollten alle Blockchain-Experten, dann begann der Run auf Projektmanager, Cloud-Architekten und Cybersecurity-Profis. Und in jüngster Zeit steht natürlich das Thema generative künstliche Intelligenz auf der Skill-Prioritätenliste ganz weit oben.

Auch wir brauchen technische Fachkräfte - allerdings mussten wir feststellen, dass unsere Reputation als IT-Arbeitgeber quasi nicht existent war. Unsere Zielsetzung bestand also darin, möglichst zu vermitteln, warum DHL für Technologieexperten eine gute Option ist. Diesbezüglich können wir vor allem damit punkten, dass unsere technischen Mitarbeiter die Früchte ihrer Arbeit meist relativ schnell zu Gesicht bekommen - egal ob sie an AR- oder IoT-Projekten arbeiten. Und ich glaube, viele Tech-Fachkräfte wollen genau das: sehen, wie sich ihre Programmierarbeit, ihr Design oder ihr Projektmanagement auf den Kunden oder das Unternehmen auswirkt.

Haben Sie neben der Partnerschaft mit Phenom auch ein internes Team aufgebaut um Generative AI auszurollen? Und falls ja: Wie setzt sich das zusammen?

Wellard: Von unserem Partner Phenom konnten wir tatsächlich eine Menge lernen in Sachen Generative AI. Wir haben jedoch auch ein tolles, kohärentes Team, das in einer Art 'agilem Modus' arbeitet. Auch die Arbeit in einer Scrum-basierten Umgebung war für uns etwa völlig Neues. Unser internes Team besteht aus einer Reihe von HR-Profis, die sich mit der Personalbeschaffung auskennen, aber auch in der Lage sind, die HR-Bedürfnisse sozusagen in technische Fachsprache zu übersetzen. Diese haben wir mit IT-Profis zusammengebracht, die dabei unterstützen, die HR in die Technologiewelt zu hieven. Zuvor war die Personalabteilung ein Nachzügler, wenn es darum ging, neue Technologien einzuführen.

Haben Sie auch Experten aus anderen Bereichen hinzugezogen - Recht, Finanzen oder Compliance beispielsweise?

Wellard: Wir sprechen von Product Ownern. Diese kommen sowohl aus dem Personalbereich als auch aus dem Business und definieren, was benötigt wird. Sie sind es auch, die mit der IT-Abteilung über technische Lösungen respektive deren Machbarkeit und Umsetzung sprechen. Natürlich sprechen die Product Owner im Anschluss auch mit unseren Compliance-Spezialisten, ob eine zur Debatte stehende Lösung auch aus deren Sicht funktioniert.

Dann gibt es auch noch unsere Procurement-Partner, die genau über unsere Vertragsverflechtungen Bescheid wissen und ebenfalls einbezogen werden, um das Maximum aus bestehenden Beziehungen herausholen zu können. Die Finanzabteilung und das Management spielen selbstverständlich ebenfalls eine Rolle - generell geben alle Beteiligten ihre Perspektive zum Thema ab. Bei einem solchen Unterfangen kommt also tatsächlich der ganze Konzern zusammen.

Wie weit sind Sie dabei auf Management-Ebene gegangen, um Anregungen und Input zu erhalten?

Wellard: Bis hin zu unseren direkten Vorgesetzten, die das Produkt getestet und uns Feedback dazu gegeben haben, wie es aussieht und sich anfühlt. Wir haben dabei wirklich alle relevanten Entscheider miteinbezogen.

Parallel haben wir jede Menge Zeit und Arbeit in unsere Arbeitgebermarke gesteckt, um sie konsistent zu gestalten. Dazu haben wir Gespräche, Interviews, Umfragen und Workshops mit 3.000 oder 4.000 Mitarbeitern - vielleicht sogar noch mehr - abgehalten, um herauszufinden, welche Erfahrungen sie während ihrer Tätigkeit für uns gemacht haben - sowohl positiv als auch negativ. Daraus haben wir eine Story entwickelt, die erzählt wo wir als Unternehmen stehen und was unser Team so stark macht. Wenn man hier erst einmal an Bord ist, fließt nicht mehr nur rotes, sondern auch gelbes Blut durch die Adern - das ist ein Fakt.

Können Sie uns erklären, wie Ihre neue, konsolidierte Job-Website Bewerber zu den richtigen Vakanzen führt?

Wellard: Das Schöne an dieser Technologie ist ja, dass sie sich nicht komplex anfühlt. Auf HR-Seite macht die KI die ganze Sache ebenfalls super einfach und wird auf unserer Seite Teil der Search Experience: Wenn Sie bei der Suche nach Jobs als Ort Vietnam eingeben, erkennt die KI sofort, wo Sie sich befinden und zeigt Ihnen eine Reihe von Stellenangeboten in Ihrer Sprache an. Das ist ein sehr einfacher Algorithmus, der sich jedoch sehr persönlich und relevant anfühlt.

Doch das ist noch nicht alles: Wir haben außerdem einen Phenom-gebrandeten Chatbot in die Seite integriert, der Job-Empfehlungen personalisieren kann. Er stellt potenziellen Bewerbern auch erste Fragen, die mit der Compliance in Zusammenhang stehen - etwa ob er Daten erfassen darf. Durch diese einfachen Ja-oder-Nein-Fragen lernt der Bot, für welche Art von Job der Bewerber oder Interessent geeignet sein könnte - auch, wenn er sich nicht auf diese Art der Stelle beworben hat.

Je tiefer die Bewerber in die Plattform einsteigen, desto intensiver wird das Ganze - allerdings mehr für die HR-Entscheider, die sofort sehen kann, dass bestimmte Personen von der KI für spezifische Stellen empfohlen werden. Diese Art der Matching-KI unterstützt uns ganz wesentlich dabei, die richtigen Menschen für die richtigen Jobs zu finden. Zuvor bedeutete das vor allem, viel Zeit damit zu verbringen, sich durch Lebensläufe und Bewerberlisten zu arbeiten. Listen gibt es zwar immer noch, aber die besten Kandidaten stehen jetzt ganz oben. Aus meiner Sicht ist das ein wirklich starker Anwendungsfall für die Machine-Learning-Technologie, zu der wir zuvor keinen Zugang hatten.

Unsere Karriereplattform kann jedoch noch viel mehr - etwa die Personaler mit KI-gestützter Bewerberkommunikation unterstützen. Das erleichtert den Arbeitsalltag wirklich erheblich. Zudem sind alle Bewerber für sämtliche Personaler einsehbar, was die Chance weiter erhöht, konzernweit die besten Talente für offene Stellen zu finden.

Weitere Expertenstimmen "Applied AI"
Michael Burkhardt, Omdena
"Bei Innovationsprojekten ist es wichtig, ein diverses Team zu haben, um mögliche Bias schon im Vorfeld zu eliminieren. Neben den Fachexperten sollten idealerweise auch Linguisten, Social Scientists und andere Disziplinen mit an Bord sein. <br /><br /> Während wir in Deutschland in ein paar Pilotprojekten unterwegs sind, haben wir in den USA über 80. Dort herrscht viel mehr der Ansatz, erstmal mit einem Projekt zu beginnen, Erfahrungen aufzubauen und auch aus Misserfolgen zu lernen. Dieses Wissen hilft uns auch dabei, das deutsche Ökosystem besser zu verstehen."
Jens Duhme, ATOS
"KI ist vieles, aber nicht intelligent. Das gilt es zu kommunizieren und immer wieder auf die Grenzen hinzuweisen. Nur so können wir ein gesundes Verständnis der Technologie in den Köpfen verankern. <br /><br /> Gefahren gibt es genug, aber dass die Maschinen uns irgendwann unterjochen, gehört nicht dazu. Es dauert auch in anderen Bereichen Jahre, bis vernünftige Use Cases entstehen. So ähnlich wird das auch bei künstlicher Intelligenz ablaufen. <br /><br /> In der Cloud liegt die Verantwortung zum Beispiel primär beim Anbieter, den ich im Zweifelsfall haftbar machen kann. Das ist für Unternehmen ein großer Vorteil. Wenn so ein rechtlicher Rahmen auch bei der KI gelingt, dann senkt das viele Hürden für Anwender und schafft die Basis für mehr Ethik und Verantwortung auf Herstellerseite."
Andreas Gödde, SAS
"Nach ChatGPT hat sich die Diskussion definitiv verändert. Unternehmen diskutieren jetzt auch intern intensiver, nach dem Motto “wir müssen jetzt was machen”. Bei unseren Kunden nehmen wir eine deutlich erhöhte Kreativität zu möglichen Einsatzszenarien wahr. <br /><br /> Klar gibt es Risiken, aber die Chancen überwiegen aus meiner Sicht. Wir haben jetzt als Gesellschaft die Aufgabe, bereits im Bildungssystem die richtigen Weichen zu stellen, um die Chancen der Digitalisierung, die sich in wichtigen Bereichen des öffentlichen Lebens und in den Unternehmen bieten, auch tatsächlich auf die Straße zu bringen. <br /><br /> In Kombination mit dem Menschen sehen wir jetzt schon sinnvolle Anwendungsbereiche in den Unternehmen. Wir bezeichnen das als „augmented AI“. Das alles ist aber noch weit weg von einer “generellen” KI, die aktuell noch weit in der Zukunft liegt und die wir vielleicht auch nie erleben werden. <br /><br /> Viele Use Cases kann ich schon heute mit KI-Werkzeugen umsetzen. Teilweise werden sie – beispielsweise im Bereich Betrugsbekämpfung – vom Regulator sogar gefordert. Es muss ja nicht gleich die Kreditvergabe mit sensiblen personenbezogenen Daten sein."
Harald Huber, USU
"Die Diskussion ist heute eine andere, weil es jetzt konkrete Vorstellungen und Assoziationen in den Köpfen gibt. Jetzt geht es darum, zu schauen, welche KPI man aktiv definieren und gestalten kann. Die Kernfrage sollte immer die nach dem individuellen Nutzen sein – und dann sieht man, dass es gar nicht so einfach ist, mit der Übersetzung in den Alltag. Beim autonomen Fahren standen wir gefühlt auch schon kurz vor dem Durchbruch, doch heute ist die Revolution auf der Straße wieder in weite Ferne gerückt."
Michael Niederée, KPMG
"Es bestehen diverse ungelöste Fragestellungen: Wer hat die Urheberrechte eines Textes? Wie gelingt eine ethisch einwandfreie Umsetzung? Welche sonstigen Risiken muss man managen? Mein Vorschlag wäre, insbesondere zu Beginn eine gute Strategie als Fundament zu entwickeln, die einem anschließend erlaubt, auf die richtigen Dinge zu fokussieren. <br /><br /> Die eigentliche Revolution findet doch jetzt im Fachbereich statt. Komplexe Tätigkeiten, die bis dato viele Ressourcen gebunden haben und komplex bis unmöglich zu lösen in der Softwareentwicklung waren, können jetzt im Fachbereich durch Prompt Engineering von „Fachentwicklern“ agil und iterativ umgesetzt werden."
Ricardo Ullbrich, SS&C Blue Prism
"Am schnellsten schaffe ich Veränderung, wenn ich den branchenspezifischen Nutzen kommuniziere. Unternehmen müssen sich aktiv Gedanken machen, welche Bereiche ihres Geschäfts sie automatisieren wollen und können. Man vergleiche nur mal einen Konzern wie Amazon mit einer Versicherung: Da liegen Welten dazwischen und entsprechend unterschiedlich sind auch die Use Cases.<br /><br /> Innovationsschübe können oft auch eine gesellschaftliche Chance sein, das hat auch die Coronakrise gezeigt. Ich würde soweit gehen und sagen, dass uns die Pandemie eine bessere Arbeitswelt gebracht hat.<br /><br /> Der Mensch will nicht ausschließlich mit Bots kommunizieren, sondern auch einen gewissen Grad an Small Talk und Abschweifung in einem Gespräch haben. Das ist ein ganz entscheidender Punkt bei der Gestaltung von Services und Prozessen. <br /><br /> Einen Prozess zu optimieren ist relativ einfach. Aber darüber hinaus die weiteren Möglichkeiten zu ergründen und die “höchste Stufe” zu erreichen, das können die wenigsten."
Christoph Windheuser, Databricks
"Das Thema KI wird sowohl die Produktebene, als auch die Erwartung auf Kundenseite verändern. Doch die daraus abgeleiteten Fragestellungen gehen weit über die Technologie und deren Anwendung hinaus. Das hat gesellschaftlich-transformativen Charakter und tangiert die Substanz der gesamten Gesellschaft, zuerst vor allem über den Arbeitsmarkt. <br /><br /> Es ist eine grundsätzliche Frage: Werden wir künftig weniger arbeiten oder wird der Output höher sein? Dabei gilt auch: Wir dürfen Erfahrungen der Vergangenheit nicht in die Zukunft projizieren. Gerade haben wir es mit einem exponenziellen Wachstum zu tun, das gab es auch in der Automatisierungswelle der 1980er Jahre nicht. Die Situation ist also völlig neu."

"Es ist kein Monster - nur ein Tool"

Hat Ihr GenAI-HR-Projekt auch unerwartete Benefits erschlossen?

Wellard: In den vergangenen Wochen haben wir festgestellt, dass wir die sichtbarste Karriereplattform in Deutschland sind. Wenn Sie hier nach einem entsprechendem Job suchen, finden Sie als erstes die DHL-Seite - und auch in vielen anderen Ländern sind wir kurz davor, die Nummer eins zu werden. Ich denke, das liegt daran, dass wir nicht nur eine gute Karriereplattform vorweisen, sondern auch wissen, wie wir sie nutzen müssen. Und wir haben großartige Angestellte, die unsere Seite mit Inhalten befüllen und aktualisieren.

Die Plattform ermöglicht uns dabei, das möglichst schnell und effizient zu tun. Dazu haben wir einen echt guten Prozess etabliert und Mitarbeiter in den Niederlanden, Costa Rica und Malaysia, die sich rund um die Uhr damit beschäftigen, die Inhalte zu verwalten. Sollte also beispielsweise in irgendeinem Land auf der Welt ein bestimmtes Unternehmen schließen, dessen Mitarbeiter für uns interessant sind, können wir darauf sofort mit einem unserer Teams inhaltstechnisch reagieren. Als wir das Produkt an den Start gebracht haben, hatten wir keine Ahnung, dass so etwas überhaupt möglich ist.

Zu den erwarteten Resultaten zählt übrigens, dass sich unsere Arbeitgeberreputation verbessert, insbesondere mit Blick auf technische Fachkräfte und junge Talente. Unsere Fähigkeit, Content dynamisch und wirklich zielgerichtet anzupassen, um bestimmte Bewerber-Zielgruppen anzusprechen, hat sich als sehr lohnend erwiesen.

Laufen bei DHL neben der Karriereplattform noch andere GenAI-Projekte?

Wellard: Wir führen aktuell gerade unseren 'Career Marketplace' ein. Dabei handelt es sich um einen internen Marktplatz, bei dem Menschen nicht nur für Jobs, sondern auch für Lernnetzwerke, Mentoring und andere Experiences empfohlen werden, die in diese Richtung gehen. Dieses Projekt wird auch einige tolle KI-Funktionalitäten beinhalten. Zudem verwenden wir für einige unserer internen Marketing-Materialien einen GenAI-Chatbot - zum Beispiel, um Schulungs- oder Kurzvideos zu erstellen. Dieser Chatbot heißt übrigens GAIA - ein Akronym für 'Generative AI and Intelligent Automation'.

DHL ist bei der Einführung interner Generative-AI-Tools insgesamt sehr klug und schnell, gleichzeitig aber auch behutsam vorgegangen. Das Ziel war dabei, ein Tool zur Verfügung zu stellen, das sicher, compliant und für jeden zugänglich ist. Das realisiert zwei wesentliche Vorteile: Erstens verschafft es den Mitarbeitern Klarheit darüber, was Generative AI ist. Und zweitens trägt das wiederum dazu bei, mögliche Ängste oder Bedenken in Bezug auf KI aufzulösen. Es ist kein Monster - nur ein Tool.

Wie hat DHL seine Festangestellten im Umgang mit künstlicher Intelligenz geschult?

Wellard: Es gibt eine Gruppe innerhalb unseres Unternehmens, die eine aktivere Rolle dabei eingenommen hat, die Belegschaft zu informieren und weiterzubilden. Sie haben zum Beispiel Workshops und Webinare auf die Beine gestellt und zu Infosessions eingeladen, die etwas formaler gestaltet waren als unser vorheriger 'Soft Rollout'. Zudem setzen wir auch auf Lernpartner, um diejenigen, die KI einsetzen, Algorithmen erstellen oder Daten analysieren, eine angemessene KI-Weiterbildung zu ermöglichen.

Welche Lernpartner wären das?

Wellard: Wir nutzen beispielweise Coursera recht häufig und auch Skillsoft Percipio. Wir haben auch Partnerschaften mit Universitäten und anderen Institutionen, die ein gehobenes Weiterbildungsniveau bieten können.

Haben Sie zum Abschluss noch einen Tipp für andere Unternehmen, die einen KI-Rollout in Erwägung ziehen? Was gilt es diesbezüglich zu vermeiden?

Wellard: Hysterie gilt es zu vermeiden. Ich glaube DHL einen sehr guten Job gemacht, was das angeht. Zumindest hatte ich nie Angst vor künstlicher Intelligenz. Uns wurde erklärt, dass die Technologie kommen - und uns helfen - wird. Sicher haben Sie schon von dem Spruch gehört, dass KI niemandem den Arbeitsplatz wegnehmen wird. Vielmehr die Menschen, die besser mit der Technologie umgehen können.

Im Kern geht es darum, zu vermitteln, sich mit dem Thema ernsthaft auseinanderzusetzen und zu lernen, wie KI dafür sorgen kann, dass man selbst einen besseren Job macht. (fm)

Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation Computerworld.