Klaus Vitt, CIO der BA

"Wir setzen mehr auf Werterhaltung als die Industrie"

10.08.2010 von Karin Quack
Der Bundesagentur für Arbeit schaut eine ganze Nation auf die Finger. Auch der CIO Klaus Vitt steht unter ständigem Rechtfertigungsdruck.

CW: Die Bundesagentur für Arbeit ist derzeit finanziell sehr klamm. Wie bezahlt sie eigentlich den IT-Betrieb und die Projekte?

Klaus Vitt, CIO, Arbeitsagentur
Foto: Joachim Wendler

VITT: Unsere IT ist zum Teil beitragsfinanziert - über die Arbeitslosenversicherung - und zum Teil steuerfinanziert, zum Beispiel dort, wo es sich um Anwendungen für das Arbeitslosengeld II handelt. Wie in jedem Unternehmen stellen wir jährlich zusammen, was wir benötigen. Das ist fast immer mehr, als an Mitteln zur Verfügung steht. Dann beginnt der Prozess der Haushaltskonsolidierung. Das heißt, wir diskutieren mit den Fachbereichen, wie viel wofür aufgewendet werden soll.

CW: Nach welchen Kriterien entscheiden Sie das?

VITT: Es gibt drei Kategorien: zum einen die Projekte - sowohl laufende als auch neue -, zum anderen die Weiterentwicklung bestehender IT-Anwendungen, zum dritten der Betrieb der Rechenzentren und die Netzbetreuung. Für jeden dieser Bereiche wird eine Rangfolge festgelegt, die dann als Grundlage für die Verteilung der Mittel dient. Die IT ist in dieser Diskussion der Moderator. Aber die Fachbereiche entscheiden, was wichtig ist.

CW: Wo kürzt es sich denn am geschicktesten?

VITT: Selbstverständlich lassen sich am leichtesten neue Projekte verschieben, die noch gar nicht gestartet sind. Hier sind die negativen Auswirkungen am geringsten. Oft müssen wir aber auch die Mittel für laufende Projekte kürzen. Die werden dann gestreckt.

CW: Wie bitte?

VITT: Wenn ein Projekt beispielsweise über drei Jahre laufen soll, wird vor dem Start der jährliche Mittelbedarf festgelegt. Aber damit ist noch nicht garantiert, dass die Mittel auch jedes Mal zur Verfügung stehen. Sie müssen jedes Jahr neu beantragt werden. Und wenn sie in einem Jahr zu knapp ausfallen, hat das Projekt zeitweilig zu wenig Kapazitäten. Das heißt, es dauert dann etwas länger.

CW: Aber damit stellt sich der Effekt auch später ein.

VITT: Das geht in die Berechnung ein. In der Priorisierung vergeben wir Punkte sowohl für die Kosten als auch für den Nutzen. Und ganz oben stehen die Projekte, die am meisten Punkte sammeln können - also viel Nutzen bei geringen Kosten bringen.

Elena ist Sache des BMWi

CW: Welche sind denn derzeit Ihre wichtigsten Projekte?

VITT: Hohe Priorität haben die Einführung der elektronischen Akte und die SAP-Einführung in den Bereichen Finanzen und Personal. Und dann gibt es Projekte, über die man überhaupt nicht zu diskutieren braucht. Dazu zählt der BA-spezifische Part bei Elena, dem elektronischen Entgeltnachweis. Diese Projekte müssen gemacht werden, weil es darum geht, gesetzliche Änderungen abzubilden. Daneben treiben wir die Konsolidierung unserer Rechenzentren voran. Ebenfalls wichtig ist die Einführung rollenbasierender Oberfächen.

CW: A propos Elena. Darüber gibt es ja derzeit heftige Diskussionen. Wie geht es denn weiter?

VITT: Die Federführung für Elena liegt beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie. Entsprechend den Entscheidungen des Ministeriums wird die BA ihren Teil ausführen.

CW: Das Projekt "Rollenbasierte Oberflächen" ist schätzungsweise eines derjenigen, die den Fachbereichen schwer zu vermitteln sind.

VITT: Nicht, wenn man ihnen erst einmal die Grunddidee der Service-orientierten Architektur nahegebracht hat. Denn die rollenbasierenden Oberflächen sind ein Teil dieser übergreifenden Initiative und bringen erhebliche Vorteile beim Erledigen operativer Aufgaben.

Nicht mehr und nicht weniger als nötig

CW: Für Ihr Engagement in Sachen SOA sind Sie oft gelobt und ausgezeichnet worden. Man sollte meinen, dieses Thema sei längst erledigt.

Bundesagentur für Arbeit
Foto: Bundesagentur für Arbeit

VITT: Wer das sagt, kennt keine wirklich umfangreichen IT-Umgebungen. Wir versorgen 170.000 PC-Arbeitsplätze mit einer großen Anzahl vernetzter Anwendungen. Diese Anwendungen in fachliche Funktionen zu zerlegen ist ein Riesenaufwand, denn sie wurden ja als Monolithen entwickelt. Aber die Mühe lohnt sich. Nehmen Sie zum Beispiel die Benutzeroberflächen in unseren Service-Centern: Dort verwenden die Mitarbeiter heute 14 unterschiedliche Anwendungen. Von den angebotenen Funktionen benötigen sie aber höchstens ein Fünftel. Mit einer rollenbasierenden Oberfläche bekommen sie nicht mehr und nicht weniger als genau diese 20 Prozent angeboten. Das ist nicht nur ergonomischer für den Anwender, sondern auch effizienter für die gesamte Organisation. Außerdem lässt sich der Vorgang leichter dokumentieren, und damit verbessert sich die Datenqualität. Darüber hinaus verringert sich der Schulungsbedarf der Mitarbeiter.

CW: Wie gehen Sie denn beim Zerlegen vor? Welche Anwendungen sind zuerst dran?

VITT: Die Vorstellung, dass wir Anwendung für Anwendung abarbeiten, ist falsch. Wir zerlegen die einzelnen Anwendungen schrittweise in fachliche Services - immer im Einklang mit den geschäftlichen Anforderungen. Der Maßstab ist der geschäftliche Nutzen. Deshalb beginnen wir mit den rollenbasierten Anwendungen auch in den Service-Centern. Denn dort müssen sich die Anwender mit der größten Anzahl von Applikationen auskennen. Neue Anwendungen wie unser Elena-Part werden selbstverständlich gleich in der neuen Struktur entwickelt.

CW: Wie schnell muss sich der geschäftliche Nutzen denn einstellen? In der Wirtschaft ist es ja mittlerweile gang und gäbe, nur noch Projekte anzufassen, die sich in drei Monaten auszahlen.

VITT: Das ist bei uns anders. Der öffentliche Bereich ist hier stärker auf Werterhaltung ausgerichtet. Außerdem müssen wir die Projekte ausschreiben. Wenn wir beispielsweise SAP einführen, dauert allein die Ausschreibungsphase anderthalb Jahre, bevor wir mit der eigentlichen Implementierung beginnen können. Vor Ablauf von drei oder vier Jahren kann man da keinen Nutzen erwarten.