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Viele mittelständische Betriebe haben in Osteuropa, China und anderen Wachstumsregionen Verkaufsniederlassungen, Produktionsstätten und Service-Center gegründet. Wachstum und Globalisierung ist für sie keine Option, sondern ein Zwang: Entweder die Unternehmen expandieren und suchen die Nähe zu Lieferanten- und Kundenmärkten, oder sie müssen irgendwann die Segel streichen.
Internationale ERP-Projekte mit Rollouts in zahlreichen Ländern sind in Großunternehmen seit vielen Jahren üblich. Mittelständler können den dort üblichen Aufwand jedoch nicht betreiben.
Nationale ERP-Anbieter sitzen in der Globalisierungsfalle
In vielen Fällen ist der Schritt in die Internationalisierung deshalb am Anfang eher ein Abenteuer als ein straff geplantes Vorgehen. Kosten- und Prozesseffizienz spielen heute auch in früheren Billiglohnländern eine erhebliche Rolle. Unternehmensverantwortliche suchen nach Transparenz und Integration. Damit gewinnt ERP-Software an Bedeutung, führt jedoch auch zu erheblichen Problemen.
Leider ist die Mehrheit der ERP-Anbieter und Beratungspartner mit einem Schwerpunkt auf den Mittelstand nicht im Global Village sondern in Orten wie Gelsenkirchen, Landshut oder Chemnitz angesiedelt. Ihre Lösungen sind nicht für einen internationalen Betrieb an mehreren Standorten mit durchgängigen Prozessen ausgelegt. Die angebotenen Lokalisierungen beschränken sich auf eine Handvoll Länder. Es fehlt an getesteten Sprachversionen und häufig auch am Support.
In einigen Fällen kommt es ganz hart: ERP-Anbieter, die sich bis heute vor einer integrierten Buchhaltung gedrückt haben, müssen überstürzt nachbessern oder sich mit einem der multinationalen Softwarehersteller, etwa SAP oder Microsoft, verbünden.
Schwierig: internationale ERP-Projekte
Aber nicht nur die oft dürftige globale Ausrichtung nationaler ERP-Hersteller stellen Unternehmens- und IT-Verantwortliche bei der Internationalisierung ihres Betriebs vor Herausforderungen. Auch die Umsetzung folgender Voraussetzungen für eine erfolgreiche ERP-Installation ist eine anspruchsvolle Aufgabe.
1. Harmonisierte Prozesse: Internationale ERP-Projekte sollen Kosten sparen und die Prozesseffizienz steigern. Das kann nur gelingen, wenn betriebliche Abläufe konsequent harmonisiert und standardisiert werden. Das Zauberwort lautet hier Diversifizierung. IT-Veranwortliche müssen klar zwischen globalen, harmonisierten und standardisierten Prozessen sowie lokalen, individuellen und flexibel-anpassbaren Abläufen trennen.
2. Abbildung der Organisationsstrukturen: Ein globales ERP-Projekt hat in aller Regel das Ziel, die unternehmensinterne Integration, die die Business-Software auf der lokalen Ebene eines Standorts zwischen all seinen Abteilungen hergestellt hat, nun auch auf globaler Ebene zwischen allen Ländern umzusetzen. Damit kommt ein neues Ordnungskriterium hinzu. Es ist wichtig, die komplexe Organisationsstruktur sauber und einheitlich zu definieren und in der ERP-Lösung abzubilden. IT-Manager müssen sich damit beschäftigen, ob das ERP-System das überhaupt kann. Nichts ist schlimmer als beispielsweise ein tschechischer Mitarbeiter im Telefonverkauf, der sich zunächst durch einen für ihn zum Großteil belanglosen Adressstamm wählen muss, um dann versehentlich einen Artikel zu verkaufen, den die tschechische Niederlassung gar nicht im Sortiment führt.
3. Sicherstellung der gruppenweiten Datenpflegeprozesse: Mit harmonisierten Prozessen und unternehmenseinheitlichen Organisationsstrukturen werden ERP-Systeme gegliedert. Damit nun alles rund läuft, muss die Datenqualität stimmen. Sie entspricht quasi der Oktanzahl eines auf Hochleistung gezüchteten ERP-Motors. Stimmt die Datenqualität nicht, dann klopft und knallt es. Die Ansprüche sind in globalen ERP-Installationen in aller Regel weitaus größer, als viele Betroffene es sich vor einem Projekt vorstellen können. Der Datenpflegeprozess - im gängigen ERP-Deutsch spricht man auch vom Master Data Management (MDM) - muss organisiert werden.
4. Unterstützung mehrerer Sprachen: Ein leidiges Thema ist die Sprachvielfalt, die eine globale ERP-Installation managen und unterstützen muss. Häufig gilt: Die Anzahl der Länder entspricht der Anzahl der Sprachen. Damit stoßen die Anwenderunternehmen nicht nur an die Grenzen des eigenen Supports, auch viele ERP-Systeme sind damit überfordert. Zwar sind heute nahezu alle Lösungen grundsätzlich mehrsprachig, in zahlreichen Sprachen erhältlich und Unicode-fähig. Auf einen echten multilingualen Betrieb ist aber so gut wie kein ERP-System vorbereitet. So fehlen in aller Regel Prozesse, um etwa ein Übersetzungsbüro über ein Portal in den ERP-Prozess einzubinden. Auch vor dem Druck eines komplexen Dokuments, etwa eines Angebots, Offerte fragen die Systeme selten ab, ob alle relevanten Konditionentexte und das Kleingedruckte bereits übersetzt wurden. Am Ende stehen häufig recht peinliche Dokumente. Einem russischen Investor wurde etwa ein wichtiges, schriftliches Angebot in russischer Sprache unterbreitet, die aber mit deutschen und englischen Versatzstücken gemischt war. Die Sprachstrategie betrifft jedoch nicht nur das System an sich, sondern auch die eigene Projektorganisation. Dazu ein Tipp: Die naheliegende Entscheidung, Englisch als Projektsprache zu definieren, sollte sehr gründlich überlegt werden: Die Projekteffizienz leidet, wenn die Mehrheit der Projektmitarbeiter sich ständig stammelnd in einer Fremdsprache abmüht.
Ein heikles Thema: Die Anwenderkultur
5. Lokale Anforderungen beachten: Ein gefährlicher Fallstrick ist das Thema Lokalisierung. Damit beschreiben ERP-Anbieter die jeweils länderspezifischen Funktionen vor allem in den Bereichen Buchhaltung und gesetzliches Reporting. Hier ist grundsätzlich eine gewisse Vorsicht geboten: Viele Anbieter vermarkten halbfertige Einstellungen als Lokalisierung. Oft sind sie unvollständig, nicht mehr aktuell, oder es fehlen die notwendigen Zertifikate. Einige Softwareanbieter lassen ihre Lösungen von Drittpartnern anpassen, so dass die Qualität sehr unterschiedlich ist. Doch selbst bei Herstellern, die hier gewissenhaft arbeiten und ausgereifte Lokalisierungen anbieten, droht ein böses Erwachen. Immer wieder führt die Arbeit in Länder mit Gesetzen und Kontrollorganen, die einem ERP-Projektleiter das Leben erschweren. IT-Manager, die schon Erfahrungen mit Lokalisierungen in Ländern wie Brasilien, Ungarn oder Griechenland gesammelt haben, wissen ein Lied davon zu singen.
6. Abbildung echter Intercompany-Prozesse: Auch globale ERP-Projekte haben ihre eigenen Buzzwords. Sie lauten "Multisite" und "Intercompany" (siehe etwa ERP-Produktvergleich "SAP, IFS, Microsoft und Infor im Test oder Bilderstrecke unten"). Die Begriffe beschreiben die vereinfachte Abwicklung des Material- und Werteflusses zwischen den verschiedenen Gesellschaften einer Unternehmensgruppe. Ziel ist es, die gesamten Unternehmensprozesse über die einzelnen Gesellschaftsgrenzen hinweg durchgängig zu planen, abzuwickeln, zu steuern und zu kontrollieren. Hierzu gibt es so viele konzeptionelle Ansätze, wie es Systeme beziehungsweise Berater gibt. Bis auf wenige Ausnahmen haben ERP-Anbieter dieses Thema nur halbherzig gelöst. Es ist ein Feld für wilde Improvisation. Am Ende stehen dabei in der Regel "halbdurchgängige Systeme". Klare Kriterien für gut implementierte Prozesse gibt es letztlich nicht, und häufig wurde das Thema bislang vom Supply-Chain-Management an den Rand gedrängt. In einer Evaluation und einem Projekt müssen Intercompany-Prozesse im Zentrum stehen und nachhaltig verfolgt werden.
7. Lokale Anwenderkultur beachten: Zur echten Herausforderung werden die verschiedenen Anwenderkulturen und Arbeitsumgebungen. Eine Vier-Personen-Verkaufsabteilung in Singapur ist nun einmal anders organisiert als der Vierzig-Personen-Verkauf am Hauptsitz. Die Eigenheiten der Anwender hängen von der Kultur des Landes, dem Ausbildungssystem und der Führungspraxis ab. Die eher pedantische deutsche Anwenderkultur eignet sich dabei kaum als globale ERP-Blaupause. Ein Beispiel ist die chinesische ERP-Anwenderzentrale eines Schweizer Konzerns: An den gemäß Konzernstandard ausgerüsteten ERP-Arbeitsplätzen wurden Kleber angebracht: "Bitte nicht füttern!". Die einfachen chinesischen Mitarbeiter sollten bestimmte Arbeitsplätze nicht nutzen und diesen Job einigen Expatriates aus dem Management überlassen. Jeden Abend füttern sie in China das ERP-System so, dass die Schweizer Konzernzentrale die Daten gebrauchen kann. Das eigentliche Geschäft der 400-Personenfabrik steuern derweil eine chinesische Software und allerlei Excel-Sheets.
ERP-Systeme sammeln reicht nicht aus
Nun könnten Unternehmens- und IT-Verantwortliche angesichts der vielen Probleme und Fallstricke resignieren und von einem globalen ERP-Projekt die Finger lassen. Doch den Globalisierungsrisiken stehen die vielen Chancen gegenüber. Letztlich befindet sich das Thema ERP immer noch im Pionierzeitalter. Während es vor 20 Jahren darum ging, die Abteilungen im Unternehmen zu integrieren, besteht nun die Herausforderung darin, Länder und Kulturen zusammenzuführen. Unternehmen, die hier Lösungen finden, werden sich in Zukunft leichter tun, einem einfachen unternehmerischen Grundsatz zu folgen: "System follows Strategy". Als Sammler von verschiedenen ERP-Systemen für jedes Land sollte man sich nicht zufrieden geben. (jha)