Google fordert den Microsoft heraus

Yahoo-Übernahme ist Microsofts letzte und wichtigste Chance

25.04.2008 von Rüdiger Spies
Microsofts Probleme häufen sich: Vista findet keine Akzeptanz, Google bietet freie Office-Tools im Web und IBM fördert die Abkehr vom Fat Client. Nun setzt CEO Steve Ballmer alles auf die Karte Yahoo-Übernahme.

Die positiven Nachrichten bezüglich Microsoft überschlagen sich im Moment nicht gerade. Es scheint als habe Bill Gates gutes Gespür für den richtigen Zeitpunkt bewiesen, als er Steve Balmer die Verantwortung für das Unternehmen übertrug. Auf die geleisteten Zahlungen an Kartellbehörden soll an dieser Stelle gar nicht näher eingegangen werden. Viel elementarer sind die Probleme die Microsoft mit der Vista-Akzeptanz hat. Trotz aller Beteuerungen entwickelt das neue Betriebssystem Vista nicht die Durchschlagskraft im Markt, die für Microsoft wichtig wäre (siehe auch: "Vista hat die Erwartungen verfehlt"). Der Vista-Erfolg ist für den Software-Konzern ein wichtiges Zukunftsindiz. Immer deutlicher zeigt sich jedoch, dass Microsoft nicht mehr die Innovationskraft vergangener Jahre hat. Wenn überhaupt, spielen sich die Neuerungen - abgesehen von einer überarbeiteten Benutzergrafik - tief im Inneren der Software ab. Ein wichtiger Aspekt ist sicher, dass neue Anstrengungen in Bezug auf die Systemsicherheit und Systemstabilität sowie auf eine größere Modularität gerichtet wurden. Diese sind für Otto-Normal-Verbraucher allerdings nicht sichtbar.

Kids finden Windows uncool

Hinzu kommt, dass Microsoft und Windows für die Kids von heute schon immer da waren. Vista ist in ihren Augen ein Legacy-System. Für diese Altersgruppe, die mit Mikrowellengeräten, Mobiltelefonen, Notebook-Computern und LCD-Bildschirmen aufgewachsen sind, und die einen maßgeblichen Einfluss auf ein Produkt nehmen, das auch im Consumer-Markt etabliert ist, ist es schlichtweg uncool, Produkte eines Herstellers zu benutzen, die von den Eltern im täglichen Job eingesetzt werden. Microsoft hat demnach in einem ganz wichtigen Markt ein Imageproblem. Dazu kommt, dass sich inzwischen ganze Regierungen von Schwellenländern für Linux und Open Source stark machen. Microsoft steht also unternehmensstrategisch vor gewaltigen Herausforderungen.

Google, Linux, IBM und Thin-Clients bedrohen die Windows-Festung

Andererseits gibt es eine hohe Anzahl von Angriffen auf die Festung Microsoft. Stichpunktartig sei hier nur folgendes erwähnt: der Erfolg von Linux im Server- und Enterprise-Bereich, die vielen Aspekte des Cloud Computing, das Wiedererstarken von Thin Clients und Versuche der Hardware-Industrie, sich von Intel-Chips zu lösen. Vergessen werden darf auch nicht, dass IBM die OS/2-Niederlage gegenüber Microsoft immer noch nicht verarbeitet hat und Microsoft nach der Desktop-Leadership trachtet. Ein viel größeres Problem besteht allerdings darin, dass Microsoft mit Waffen angegriffen wird, die nicht zum Microsoft-Arsenal gehören. Google bezieht seine Einnahmen praktisch ausschließlich über Werbeanzeigen und offeriert gleichzeitig Software-Funktionen, die heute weitgehend als Commodity angesehen werden, wie beispielsweise Textverarbeitung und Tabellenkalkulation. Andere Anbieter offerieren Office-Funktionen online und offline, die noch weiter gehen. Nicht zuletzt ist auch IBM hier aktiv. Diese Angebote sind sowohl für den Privatnutzer als auch den Unternehmenskunden interessant. Microsoft hat lange nach einer entsprechenden Antwort gesucht, erkennt aber, dass "Software und Service" nur der halbe Weg zum Erfolg ist. (siehe auch: "Pakt gegen Microsoft: Salesforce integriert Googles Office-Paket")

Die Yahoo-Übernahme soll es richten

Der Versuch Microsofts, Yahoo zu übernehmen, verdeutlicht in welch prekärer Situation sich das Unternehmen langfristig befindet. Ohne geeignete Maßnahmen riskiert Microsoft die Marktführerschaft im Betriebssystem- und Office-Bereich. Dadurch dass auch Rupert Murdoch sowie AOL mit von der Partie sind, zeichnet sich deutlich ab, dass hier am ganz großen Rad gedreht wird. Es geht um nichts weniger als um die Neuordnung der Software-Anbieterlandschaft, wie wir sie heute kennen. Diese Wochen werden Software Geschichte schreiben. Letztlich wird entschieden, ob Microsoft eine Chance bekommt, sich gegen die vielfältigen Angreifer zu verteidigen. Microsofts derzeitige wichtigste strategische Aufgabe ist es, für Waffengleichheit zu sorgen. Um das zu erreichen, gibt es praktisch keine Alternative zur Übernahme von Yahoo. Zusammen mit Yahoo hat Microsoft zumindest theoretisch die Voraussetzungen, Google Paroli zu bieten. Allerdings fehlt Microsoft bisher jegliche Erfahrung in Bezug auf die kulturellen Probleme bei der Integration eines so großen Unternehmens wie Yahoo. Microsoft setzt also alles auf eine Karte. Sollte die Übernahme allerdings nicht klappen, bedeutet das noch lange nicht, dass Microsoft aus der Anbieterlandschaft mittelfristig verschwinden wird. Es wäre gefährlich, Microsofts Überlebenswillen und den des Microsoft-Ökosystems zu unterschätzen. (jha)

Zur Person

Rüdiger Spies
Foto: Spies

Rüdiger Spies ist Analyst und Independent Vice President Enterprise Applications bei der IDC Central Europe GmbH. Er konzentriert sich auf die Themengebiete erweiterte Enterprise Applications (etwa ERP, CRM, SCM, EAI), Data Warehouse/Analytics, Architekturen (z.B.: SOA), Intellectual Property Management und Open Source. In dieser Funktion berät er IT-Hersteller und Endanwender gleichermaßen. Zuvor war Spies bei der Experton Group als Analyst/Executive Advisor und bei der Meta Group als Vice-President für den Software-Applikationsbereich sowie als weltweiter Lead-SAP-Analyst tätig. Weitere Stationen seiner Karriere waren EDS/A.T.Kearney, Informix, IBM in Deutschland, Frankreich, England und USA sowie GEI, die heute zu T-Systems gehört. Rüdiger Spies hat in Hamburg Physik und in Aachen Elektrotechnik studiert und ist seit 2007 auch Patentanwalt.