"Zeitmanagement-Kurse sind immer schön", sagt Andreas Pohlke, Director Corporate IT beim Klingeltonanbieter Fox Mobile Distribution in Berlin. "Aber im Tagesgeschäft sieht die Sache doch anders aus." Da gehen für ihn die Kunden immer vor. Zum ungestörten Arbeiten kommt er zwischen Mail-Verkehr und Meetings eher selten. Geschätzt 15 bis 20 Prozent seiner Arbeitszeit - immerhin. Aber Pohlke findet, es müsste mehr sein.
Zehnstundentage, aber keine Zeit zum Arbeiten? Viele IT-Kräfte nicken übereinstimmend - und stöhnen. Der Druck im Tagesgeschäft nimmt zu, viele Projekte laufen parallel, die Ansprüche der Kunden steigen - besonders in hektischen Krisenzeiten wie diesen. Hinzu kommen Mitarbeitergespräche, Telefonate und Konferenzen, Außentermine, Verwaltungskram und nicht zuletzt die immer neuen Kommunikationsmöglichkeiten, die ungestörtes Arbeiten vereiteln. "Unterbrechungen gehören heute zum Tagesgeschäft. Es bringt nichts, sich über sie aufzuregen, man muss mit ihnen leben", sagt Gert Faustmann, Organisations- und Karrierecoach in der IT-Branche sowie Professor für Wirtschaftsinformatik an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Besonders Softwareentwickler und Administratoren hätten sich oft noch nicht auf die neuen Anforderungen eingestellt, so Faustmann. "Viele von ihnen versuchen noch, einen Kundenauftrag ungestört abzuarbeiten und erst dann dem Kunden die Ergebnisse zu liefern. Doch so läuft es heute nicht mehr", so der Coach.
In der IT herrscht eine Hektikkultur
Dabei ist Zeit für ruhige Konzeptarbeit extrem wichtig. Bleibt sie auf der Strecke, ist das keine Bagatelle. Visionen fehlen, wichtige Weiterentwicklungen bleiben aus, Konzepte werden übers Knie gebrochen. Und nicht nur das Geschäft leidet, sondern auch die Mitarbeiter selber. Das schlechte Gewissen wird zum Wegbegleiter. Man müsste sich schleunigst mal an die neue Strategie setzen, aber wann bitteschön lassen sich denn vier Stunden am Stück blocken? In der IT herrscht eine Hektikkultur, die schnellste Reaktionszeiten erfordert. Dem kann man sich schlecht entziehen. Das Dringliche geht vor, das Wichtige bleibt liegen.
Hinzu setzen sich die Beschäftigten selbst unter Druck, weil sie sich als Macher sehen - und nicht als Reflektierer. Um diesem hohen Leistungsanspruch gerecht zu werden, überfrachten sie sich bewusst oder unbewusst mit Terminen, Meetings, Aktionen. Da besteht schnell die Gefahr, sich im Kleinklein des Tages zu verlieren.
Was Wissensarbeiter am meisten von der Arbeit ablenkt, ist schnell ausgemacht: E-Mails, ineffektive Besprechungen, unnötige Telefonate. Das gaben zumindest die 450 befragten Führungskräfte der Telekom Austria in ihrer firmeninternen Kommunikationseffizienz-Analyse an. In anderen Firmen dürfte es ähnlich aussehen.
Wenn der Blackberry den Tag bestimmt
Doch Vorsicht. Nicht immer ist das Umfeld Schuld, wenn man keine Ruhe findet. Oft ist es einfach das eigene Smartphone. Oder präziser: der falsche Umgang mit ihm. Das weiß auch Fox-Mobile-Mitarbeiter Pohlke. Er checkt dauernd seinen Blackberry. Es könnte ja die Nachricht eines Kunden drauf sein. "Wenn ich mal eine Stunde lang keine Mail kriege, mache ich mir schon Sorgen, dass unser Mailserver kaputt ist", sagt er schmunzelnd.
"Die Versuchung der Technik ist groß, besonders für IT-Kräfte", weiß auch Heinz Liebmann, Leiter Personalprogramme IBM in Deutschland. Um trotzdem effizient arbeiten zu können, empfiehlt er "eine gehörige Portion Selbstdisziplin" und "die Fähigkeit zur klaren Priorisierung und temporären Abschottung".
Temporäre Abschottung klingt gut, zumal IT-Manager auf dem Gebiet Trendsetter sind. Als geübte Notebooker, Hotspotter und Headsetter bewegen sie sich sicher im Office to go. Gut so, sagen Arbeitswissenschaftler. "Das Büro als Ort konzentrierter Denkarbeit hat für immer mehr Manager ausgedient", sagt Wilhelm Bauer, Direktor des Fraunhofer Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) in Stuttgart. Gearbeitet wird nicht mehr am Schreibtisch, sondern zu Hause, im Flugzeug oder im Zug, im Ferienhaus, im Café oder im Park. "Dieser Trend wird sich in Zukunft weiter verstärken", so Bauer.
Denkinseln gibt es sogar im Großraumbüro
Schon heute suchen sich IT-Leute ihre eigenen Denkinseln. Und die können sogar im Großraumbüro liegen - wie bei Pohlke, der mit seinen 20 Mitarbeitern in einem Raum sitzt. Um sich trotz des Gewusels zu konzentrieren, steckt er sich einfach die Kopfhörer seines mp3-Players in die Ohren. "Motor FM" eingeschaltet und los geht's.
Nicht allen Großraumarbeitern fällt das Abschotten so leicht. "Die meisten IT-Kräfte kennen die Tipps zum konzentrierten Arbeiten, aber es fällt ihnen schwer, sich daran zu halten", weiß Faustmann. Der Karrierecoach empfiehlt, sich gleich montags einen Wochenplan aufzustellen, in dem für die Konzeptarbeit bestimmte Zeiten geblockt werden. Ist der Termin gekommen, Tür schließen, Telefon auf lautlos stellen und einen Timer stellen. Vor zu hohen Ansprüchen warnt er. "Klein anfangen, nicht gleich ein perfektes Ergebnis erwarten. Das nimmt den Druck raus." Und auch vor Re-Use sollte man nicht gleich zurückschrecken. "Bei kreativen Arbeiten muss man das Rad nicht immer wieder neu erfinden. Oft kann man Teile aus anderen Arbeiten wiederverwenden und neu vernetzen", so Faustmann.
Manager müssen umdenken
IT-Manager, die trotz aller Ratschläge keine Zeit fürs ungestörte Arbeiten finden, müssen aber auch nicht gleich verzweifeln. "Die Hauptaufgabe von Führungskräften ist heute Kommunikation", sagt Fraunhofer-IAO-Direktor Bauer. "Strategisches Arbeiten findet daher häufig nicht im stillen Kämmerlein statt, sondern im Team." Wie gut. Denn auch auf diesem Terrain kennen sich ITler aus. Abgeschottete Einzelbüros sind bei ihnen schon seit Jahren out. Die meisten arbeiten in Teamräumen, und wer in Klausur gehen will, sucht sich eine Denkkoje oder einen kleinen Konferenzraum. Wichtig ist die interne Absprache mit den Kollegen. Mindestens eines der Teammitglieder sollte für Kollegen und Kunden erreichbar sein.
Trotz Teamhektik ungestörtes Arbeiten zu ermöglichen, erfordert neue Spielregeln - nicht nur von den Kollegen, sondern auch vom Arbeitgeber. "Seine Aufgabe ist es, die Mitarbeiter so weit wie möglich darin zu unterstützen, Freiräume für die Einzelarbeit zu finden", sagt IBM-Personaler Liebmann. Die Unternehmenskultur müsse Verständnis für die temporäre Unerreichbarkeit einzelner Mitarbeiter zulassen, so Liebmann. Er fordert speziell von Führungskräften ein Umdenken: "Sie müssen verstehen, dass ihre Mitarbeiter auch dann arbeiten, wenn sie keinen direkten Zugriff auf sie haben." Zudem sollten sie lernen, ihre Leute zu ermutigen, sich Auszeiten für die konzentrierte Einzelarbeit zu nehmen.
Arbeiten zu Hause funktioniert
Dass das manchmal leichter gesagt ist als getan, weiß Liebmann aus eigener Erfahrung. Um in Ruhe zu arbeiten, zieht er sich öfter mal in einen Quiet Room zurück. Oder er verlagert die Arbeit nach Hause. "Ich bin zwar da, aber nicht hier", ruft er seiner Familie kurz zu, wenn er im Arbeitszimmer verschwindet. "Diese Ansage funktioniert im Büro leider nicht immer", gesteht Liebmann. Und schmunzelnd schiebt er nach: "Zu Hause ist das stille Kämmerlein eben stiller als der Quiet Room."