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CeBIT: Ballmer weckt "Urinstinkte" der Branche

13.03.2002
Steve Ballmer beschwor in seiner CeBIT-Keynote die ungebrochene Innovationskraft der IT-Branche und appellierte an die Zuhörer, sich nicht von kurzfristigen Aufs und Abs beeinflussen zu lassen.

HANNOVER (COMPUTERWOCHE) - Für einen kurzen Augenblick hatte es den Anschein, als würde es Steve Ballmer der vor ihm aufgetretenen Soul-Sängerin Inga Rumpf gleichtun und auf der Bühne des Kuppelsaals im Hannoveraner Congress-Zentrum anfangen zu rocken. Doch nach den wenigen stürmischen Schritten ans Rednerpult besann sich der charismatische Microsoft-Chef auf die ihm offensichtlich zugedachte Rolle des "Staatsmannes" und beschränkte sich auf eher salbungsvolle Worte.

Mit "Ich freue mich, erstmals in Hannover beim weltweit wichtigsten IT-Event zu sein", huldigte er professionell dem Gastgeber Deutsche Messe AG, um sich dann in seiner Keynote zur CeBIT-Eröffnung hauptsächlich mit der Therapie der gesundheitlich angeschlagenen IT-Branche zu beschäftigen.

Dabei hielt sich Ballmer wenig mit den Symptomen und Ursachen der Rezession auf, sondern verschrieb seiner Zunft gleich die seiner Ansicht nach notwendige Medizin. Kein anderer Industriezweig könne Wirtschaft und Gesellschaft so nachhaltig verändern wie die IT. Alle, die in dieser Branche arbeiteten, müssten "nur daran glauben", rief er fast beschwörend ins Auditorium der rund 2000 geladenen Gäste. Wer hätte heute vor zehn Jahren weltweit 500 Millionen installierte PCs und den Siegeszug des Internets für möglich gehalten? Keiner könne die Entwicklung der kommenden Jahre detailliert vorhersagen. Fest stehe jedoch eines: "Wir können in der nächsten Dekade noch viel mehr erreichen."

Schlüssel zum Erfolg sei jedoch, so der Microsoft-Chef weiter, mehr Kundennähe und damit mehr Anwendungsfreundlichkeit der Technologien. Nur so lasse die "nötige Marktpenetration" erreichen. Um wenigstens ansatzweise die Erwartungshaltung seiner Zuhörer zu erfüllen, streute Ballmer dann doch vereinzelt Anekdoten und die ihm eigene Ironie in seine Rede ein. Als er vor gut 20 Jahren bei Microsoft einstieg, runzelten seine Eltern die Stirn, berichtete Ballmer. Sein Vater hätte ihn seinerzeit gefagt, "was Software sei"; seine Mutter, was Menschen "mit einem PC anfangen können". Vielleicht täten der Branche heute mehrere solcher Mütter gut, witzelte Ballmer, der sich ansonsten auf die schon bekannte Vision "Information at your fingertips" von Bill Gates beschränkte und neue Anwendungsfelder der IT vor allem im Consumer-Sektor, in der Medizin und im E-Government beschwor. Die IT-Branche müsse sich quasi nur auf ihre Urinstinkte besinnen und sich als

"Enabler" menschlicher Intelligenz definieren, so der Microsoft-Chef. Ansonsten gehe es darum, einfach nur die Hausaufgaben zu erledigen, die da lauten: "schneller, flexibler, einfacher und vernetzt". In allen vier Disziplinen seien "weitere Quantensprünge" möglich.

Mit der Bemerkung, "Microsoft hat gelernt, seine Verantwortung als wichtigstes Unternehmen der IT-Industrie wahrzunehmen", leitete Ballmer im Schlussteil seiner Rede zur Politik über, wo er mit verklausulierten Worten zumindest andeutete, dass seine Company daran interessiert sein könnte, im laufenden Kartellverfahren einen Burgfrieden mit den Gerichten und Kartellbehörden in Washington zu schließen. Ansonsten hatte Ballmer nur noch einen pragmatischen Ratschlag für alle CeBIT-Teilnehmer übrig: "Gehen Sie raus, machen Sie Ihre Geschäfte und lassen Sie sich vom kurzfristigen Auf und Ab in unserer Industrie nicht sonderlich beeindrucken!"

Bundeskanzler Gerhard Schröder griff in seinem Grußwort Ballmers Einlassungen dankend auf und zeigte sich zuversichtlich, dass von der diesjährigen CeBIT deutliche Signale nicht nur im Hinblick auf eine Wiederbelebung der Konjunktur in der IT-Branche, sondern auch der Weltwirtschaft insgesamt ausgehen. Nach einem wirtschaftlich schwierigen Jahr mit einem tiefen Einbruch der Weltwirtschaft, der "Deutschland in ganz besonderer Weise getroffen" habe, ständen nun alle Zeichen wieder auf Aufschwung. Alle wichtigen Kennziffern im In- und Ausland signalisierten eine Erholung der Wirtschaft, so der Kanzler.

In Bezug auf den IT-Standort Deutschland bemühte sich Schröder, positive Eckdaten herauszustellen. So habe Deutschland bei den breitbandigen Internet-/DSL-Anschlüssen nach Korea weltweit eine Spitzenposition inne, im elektronischen Handel sei es in den vergangenen Jahren gelungen, mit einem Umsatz von rund 20 Milliarden Euro den Abstand zu den USA deutlich zu verringern. Stolz zeigte sich Schröder auch über den Erfolg der vor rund drei Jahren zusammen mit dem Dachverband Bitkom ins Leben gerufenen Ausbildungsplatz-Initiative. So ständen im laufenden Ausbildungsjahr über 70.000 Plätze in der deutschen IuK-Industrie bereit.

Bei so viel Lob und Optimismus - Bitkom-Präsident Volker Jung hatte zuvor in seinem Beitrag zur CeBIT-Eröffnung die Prognosen seines Verbands, der von einem vierprozentigem Wachstum im laufenden Jahr ausgeht, bekräftigt - blieb es Inga Rumpf überlassen, für einen passenden Schlusspunkt der diesjährigen CeBIT-Eröffnung zu sorgen. Alles, was der IT-Branche jetzt noch fehle, sei "göttlicher Beistand", so die Künstlerin, die die geladenen Gäste dann mit dem alten Bob-Dylan-Song "Knocking on Heaven`s Door" verabschiedete. (gh)