Experten diskutieren Cloud-Migration

Das Ende der Planlosigkeit

11.07.2024
Von 
Richard Ruf ist Autor und Texter in München. Im Fokus seiner Arbeit bei der Agentur "Medienstürmer" liegen vor allem die Themen Modern Work, Projektmanagement, Office-Kollaboration und Open Source.
Lange sind deutsche Unternehmen die Reise in die Cloud blauäugig angetreten. Doch diese Zeiten scheinen vorbei - obwohl es weiterhin viele Hausaufgaben zu erledigen gilt.
Vorbei die Zeiten der Cloud-Planlosigkeit?
Vorbei die Zeiten der Cloud-Planlosigkeit?
Foto: fran_kie | shutterstock.com

Wer die Entwicklung der Cloud-Transformation in Deutschland in den letzten Jahren verfolgt hat, weiß: Die Diagnosen sind oft wenig schmeichelhaft. Deutschen Unternehmen wird seit Jahren regelmäßig attestiert, zu verschlafen, zu ängstlich und vor allem zu planlos zu agieren. An den Vorwürfen ist sicherlich etwas dran. Doch mittlerweile ist Bewegung in die Debatte und die Unternehmen gekommen - zumindest, wenn man den Experten der COMPUTERWOCHE-Diskussion zum Thema "Cloud-Migration" Glauben schenken darf.

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Endlich gibt es einen Plan

Tatsächlich scheint sich die anfänglich kühle Beziehung zur Cloud langsam etwas aufgewärmt zu haben. Das zeigt sich vor allem daran, dass die noch vor einiger Zeit unterstellte Planlosigkeit nachzulassen scheint. "Die Firmen, die heute mit größeren Infrastrukturprojekten in die Cloud wollen, machen sich viel mehr Gedanken darüber, was der konkrete Mehrwert ist," erklärt Christian Staehler, Senior Principal bei Infosys Consulting. Die Zeiten, in denen der Weg in die Cloud Selbstzweck war, seien langsam vorbei.

Die Experten bescheinigen deutschen Unternehmen zunehmend, die Gründe für die Migration differenzierter zu betrachten. Zwar ist für viele immer noch die Fehlannahme, die Cloud würde automatisch Kosteneinsparungen bedeuten, der Hauptimpuls. "Die Nachricht, dass dem nicht so ist, kommt aber langsam im Markt an", stellt Erik Dörnenburg, CTO Europe bei Thoughtworks, fest.

Wer jetzt aber denkt, die Zeiten fehlender Cloud-Strategien seien endlich vorbei, wird enttäuscht: "Alle behaupten mittlerweile von sich, eine 'Cloud-First'-Strategie zu haben. Aber die wenigsten wissen, wie sie die Migration richtig angehen sollen", wirft Wolfgang Schuster, Business Value Advisor bei Flexera, in die Runde. Als größtes Hemmnis bezeichnet Schuster die fehlende Transparenz über Bestandssysteme. Viele Unternehmen täten sich schwer damit, ihren Status Quo zu analysieren.

Das führe wiederum zu Problemen im weiteren Verlauf, wie Orli Shahidi, Key Account Manager bei Getronics, bemerkt: "Bei der Beratung stellt sich oft heraus, dass die Vorstellung der Unternehmen, wo sie hinwollen, nicht zu ihren eigentlichen Zielen passt." Shahidi appelliert daher sowohl an die Service Provider als auch an Berater, sich im Gespräch mit Kunden nicht zu scheuen, deren Strategie zu hinterfragen.

Das Misstrauen gegenüber der Public Cloud verschwindet

Bemerkenswert sei außerdem eine weitere Entwicklung: "Kaum noch jemand spricht über Private Clouds", sagt Erik Dörnenburg. Das anfängliche Misstrauen gegenüber Hyperscalern verschwinde langsam. Unternehmen gingen zunehmend dazu über, in die Public Cloud zu gehen und personell auf den Aufbau von Plattform-Teams zu setzen - nicht zuletzt auch aufgrund des Fachkräftemangels. Denn die Public Cloud erlaube es Unternehmen, verhältnismäßig einfach auch Zugriff auf komplexe Systeme zu erhalten.

Das liege nicht zuletzt auch an dem großen Hype-Thema Generative KI. Die sei nämlich ein massiver Faktor, der Unternehmen in die Cloud treibe. Und aufgrund der erforderlichen Rechenleistung und damit erwartbar hohen Kosten denke kaum jemand in diesem Zusammenhang über On-Premises oder Private Cloud nach. Christian Staehler bringt das besonders pointiert auf den Punkt: "Wer AI will, kommt um die Public Cloud nicht mehr herum."

Studie "Cloud-Migration 2024": Sie können sich noch beteiligen!

Zum Thema Cloud-Migration führt die COMPUTERWOCHE derzeit eine Multi-Client-Studie unter IT-Verantwortlichen durch. Haben Sie Fragen zu dieser Studie oder wollen Sie Partner werden, hilft Ihnen Julia Depaoli (julia.depaoli@foundryco.com, Telefon: +49 15290033824) gerne weiter. Informationen zur Studie finden Sie auch hier zum Download (PDF).

Die Organisationsstruktur muss sich ändern

Ganz gleich, aus welchen Gründen es Unternehmen in die Cloud treibe - mit der technischen Umsetzung allein sei es nach Meinung der Experten nicht getan, obwohl der Begriff der "Cloud-Migration" das zuweilen suggerieren mag: als einfache Umzugsbewegung von einem Punkt zum anderen.

Dabei sei der technische Aspekt nur ein Teil eines viel größeren Veränderungsprozesses, wenn Unternehmen wirklich die Vorzüge der Cloud nutzen wollten. "Wir arbeiten mittlerweile viel mehr mit den Fachabteilungen, der Business-Seite, zusammen", erklärt Michael Ehlert, Manager Cloud Strategy bei SPIRIT/21. "Sich nur auf den technischen Aspekt der Migration zu fokussieren, wird der Komplexität nicht gerecht. Tatsächlich geht es um umfassende Change-Prozesse", sagt Ehlert. Um den tatsächlichen Mehrwert herauszuarbeiten, müssten die Fachabteilungen zwingend als Stakeholder involviert sein.

Tatsächlich nähmen sich Unternehmen, die ihre Organisationsstruktur und ihre Arbeitsweise im Zuge der Migration weitestgehend unverändert lassen, sehr viel Flexibilität. Vor allem das Aufbrechen von Silos zu Gunsten agilerer Teamstrukturen erlaube Unternehmen nämlich, viel näher an tatsächlichen Anwendungsfällen zu arbeiten, ist sich die Runde einig.

Ganz klar benennt das Lars Winterhalder, Topic Lead Software-Architektur bei Conciso: "Erfahrungsgemäß funktioniert die Cloud-Migration immer dann am besten, wenn sie mit Anpassungen der Organisationsstruktur einhergeht." Zwar scheuten viele Unternehmen noch den vollumfänglichen Einsatz von DevOps-Methoden. Laut Winterhalder trage aber ein zunehmendes Zusammenwachsen von IT und Fachabteilung klar zum Migrationserfolg bei.

Das bestätigt auch Irini Pappa, Cloud Project Manager bei Eviden: "Ohne Veränderungen in der Organisationsstruktur geht es nicht. Aber meine Erfahrungen zeigen, dass dort, wo sich Unternehmen darauf einlassen, viel innovativere Lösungen entstehen."

Die Cloud und die Demokratisierung der IT

Und hier drehe es sich dann doch wieder um die Kosten. Denn sei die Migration erst einmal abgeschlossen, gehe oft die Rechnerei los: Wie viel haben wir gespart? Wer nicht aufpasse, sei an dieser Stelle schnell ernüchtert. "Viele gehen die Migration zwar mit viel Euphorie an, doch die Evaluation, welche Vorteile konkret erzielt wurden, wird oft sehr stiefmütterlich behandelt", erklärt Wolfgang Schuster. Das habe oft zur Folge, dass die Kosten schnell außer Rand und Band liefen. "Erst hinterher stellt man dann fest, dass sich Governance und Strukturen nie wirklich an die Gegebenheiten der Cloud angepasst haben", sagt Schuster.

Und doch seien die blanken Zahlen oft ein schlechter Berater. "Die Kostenfokussierung betrachtet oft nur 'Was kostet mich das?' und vernachlässigt dabei 'Was kann ich gewinnen?''", warnt Fabian Dörk, Cloud Services Director bei Claranet. Die entsprechende Organisationsstruktur vorausgesetzt, könnten Fachabteilungen durch die Cloud viel flexibler, agiler und schneller arbeiten als zuvor. "Die Cloud ist somit ein Stück weit auch die Demokratisierung der IT", sagt Dörk. Der hohe Grad an Automatisierung in der Cloud erlaube demnach, dass sich auch die Rolle der IT-Abteilung ändere - und sie mehr zum Enabler in Form von Plattform-Teams und Policy Manager werde.

Zustimmung erhält Dörk von Thomas Huber, Regional Director Named Commercial & Territory Sales bei Nutanix, der erklärt: "Was uns die Public Cloud und die Service Provider gegeben haben, ist eine viel größere Hardwareunabhängigkeit." Zudem habe der zunehmend wachsende Wettbewerb das Angebot auf dem Markt deutlich breiter und attraktiver gemacht.

Es ist also Bewegung im Cloud-Markt - und wo wir noch vor ein bis zwei Jahren zu viel Zögerlichkeit, Rat- und Planlosigkeit sahen, scheint das Thema Cloud-Migration nun langsam auch in der Fläche in einen wesentlich produktiveren Modus übergegangen zu sein. Bleibt abzuwarten, inwiefern die breite Masse sich auch langfristig auf die Eigenheiten der Cloud einlassen und deren Vorteile für sich nutzen kann. Die Chancen scheinen aber nicht schlecht zu stehen.

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