Europawahl

Digitalpolitik – so positionieren sich die Parteien

06.06.2024
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Von der Digitalunion bis zur digitalen Kolonie der USA – Digitalpolitik hat in den Wahlprogrammen der deutschen Parteien zur Europawahl sehr unterschiedliche Facetten.
Bürgerinnen und Bürger in den EU-Staaten wählen ein neues EU-Parlament. Digitalpolitik bekommt dort ein immer stärkeres Gewicht.
Bürgerinnen und Bürger in den EU-Staaten wählen ein neues EU-Parlament. Digitalpolitik bekommt dort ein immer stärkeres Gewicht.
Foto: mixmagic - shutterstock.com

Über 64 Millionen Wahlberechtigte in Deutschland sind am 9. Juni 2024 aufgerufen, ihre Vertreter für das Europäische Parlament zu wählen. Diese Wahl wird auch über die digitale Zukunft Europas entscheiden, denn digitalpolitische Aspekte spielen eine immer größere Rolle. Gerade regulatorische Mammutprojekte wie der AI Act oder der Digital Markets Act (DMA) haben in den vergangenen Monaten und Jahren immer wieder für Schlagzeilen gesorgt.

Die wachsende Bedeutung digitaler Themen für die Europa-Politik spiegelt sich auch in den Wahlprogrammen der verschiedenen Parteien wider. Wie sich die deutschen Parteien digitalpolitisch für die Europawahl positionieren, hat Licinia Güttel, Forscherin am Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG) in Berlin, untersucht.

SPD plädiert für "Digitalunion"

Die SPD widmet der Digitalpolitik in ihrem Wahlprogramm ein eigenes Kapitel mit dem Titel "Digitalisierung für den Menschen". Darin fordern die Sozialdemokraten eine "Digitalunion". "Dieser Begriff ist spannend, da er die Bedeutung der Digitalpolitik für die EU ähnlich unterstreicht wie andere Ausdrücke, die die Besonderheit der EU hervorheben sollen, wie zum Beispiel Wirtschaftsunion oder Werteunion", schreibt Güttel. In Sachen KI verlangt die SPD, dass die Entwicklung und der Einsatz von KI "europäischen Werten" folgen müsse. Diese werden allerdings nicht näher definiert. Digitalisierung und KI sind für die SPD auch Themen im Kontext Arbeitswelt und -Schutz. Die Kanzlerpartei spricht sich auch dafür aus, die Regulierung von digitalen Plattformen zu verbessern und die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) weiterzuentwickeln.

Union legt digitalen Fokus auf Wirtschafts- und Sicherheitspolitik

CDU/CSU behandeln Digitalpolitik in einem Unterkapitel, gemeinsam mit den Themen Forschung und Innovation. Auch an anderen Stellen des Wahlprogramms sind digitalpolitische Aspekte ein Thema, vor allem in den Bereichen Wirtschaft sowie Sicherheit und Kriminalität. Auffällig dabei laut Güttel: "Im Technologieverständnis der Union stehen sich Regulierung und Innovation als Gegenpole gegenüber." Beispiele seien der digitale Binnenmarkt, Datenschutz sowie KI. So betone die Union, dass neue Vorschriften Innovation in KI nicht abwürgen dürften.

Bündnis 90/Die Grünen: Menschenrechte und Klimaschutz

Die Grünen widmen der Digitalpolitik in ihrem über 100 Seiten langen Wahlprogramm gleich zwei Kapitel. Dabei geht es einmal um die Themenbereiche Menschenrechte, Desinformation sowie Diskriminierung im Internet, wobei dabei die EU als ein Vorbild in der "digitalen Welt" hervorgehoben wird. Darüber hinaus warnt die Partei vor den negativen Folgen der Digitalisierung für Nachhaltigkeit und Klima. Daher müssten Regelwerke wie der Digital Market Acts (DMA), des Digital Service Act (DSA) sowie der Verbraucherschutz konsequent umgesetzt werden. Wie die SPD fordern die Grünen für KI-Regeln eine europäische Ausgestaltung. Beim Thema Cyberkriminalität verweist die Partei explizit auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.

AfD lehnt digitalen Euro ab

Im Wahlprogramm der AfD spielt Digitalpolitik kaum eine Rolle. Der Großteil ihrer digitalpolitischen Vorschläge beziehe sich auf die Ablehnung eines digitalen Euros, schreibt Güttel. Dabei suggeriere die Partei, dieser würde zu einer Abschaffung des Bargelds führen, was im nächsten Schritt zur Einführung eines Social Credit Systems wie in China führen könnte. Grundsätzlich hätten die Digitalisierungsverordnungen der EU zum Ziel, Bürgerinnen und Bürger zu überwachen. Inhaltlich widerspricht sich das Programm der vom Verfassungsschutz teilweise als rechtsradikal eingestuften Partei, stellt die Forscherin fest: Einerseits werde die EU als "Datenkrake" bezeichnet, andererseits die Abschaffung der DSGVO gefordert.

FDP träumt vom "digitalen Chancenkontinent"

Die FDP kommt gleich am Anfang ihres Wahlprogramms auf Digitalpolitik zu sprechen, beispielsweise im Kontext von Freihandelsabkommen oder digitaler Währung. Auch gesellschaftliche Themen wie Privatsphäre und Uploadfilter werden angeschnitten. Eine wichtige Rolle spielt für die freien Demokraten die Entbürokratisierung, welche allerdings nicht näher spezifiziert wird. Insgesamt bleibt die FDP vage und wenig konkret. Die Partei beschränkt sich auf plakativen Forderungen, wonach Europa ein "digitaler Chancenkontinent" sowie Hotspot für "unbürokratische" KI werden solle.

Die Linke will die Macht der Internet-Plattformen einschränken

In der Digitalpolitik legen die Linken ihren Fokus auf das Thema wie Beschäftigtenschutz: Der Datenschutz soll auch für prekär Beschäftigte von digitalen Plattformunternehmen gestärkt werden. Die Partei plädiert dafür, das Internet von den Konzernen zu befreien und seine Rolle für die Lösung gesellschaftlicher Probleme zu stärken. Zudem werden im Wahlprogramm auch Nachhaltigkeit sowie Datenschutz und digitale Teilhabe thematisiert.

Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW): Digitalpolitik?

Beim BSW taucht Digitalpolitik im Wahlprogramm nur sporadisch auf. Hauptkritik: Europa sei angesichts der Dominanz US-amerikanischer Großkonzerne eine digitale Kolonie der USA. Der EU unterstallt das BSW, mit dem Digital Services Act insgeheim "Cancel Culture" durchsetzen und regierungskritische Positionen bei sensiblen Themen eindämmen zu wollen.

Fazit: Zukunft der Digitalpolitik

  • Digitalpolitik kommt in den Programmen aller analysierten Parteien vor, so Güttels Fazit. Jedoch unterscheiden sich die Parteien in Bezug auf den Stellenwert und die thematische Schwerpunktsetzung - beispielsweise in Richtung einer eher gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Konnotation von Digitalpolitik.

  • Die Wahl könnte Auswirkungen auf digitalpolitische Regelwerke wie die DSA oder DSGVO nach sich ziehen, wenn rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien einen großen Sitzanteil im neuen Europäischen Parlament erreichen. Güttel beobachtet, dass Digitalpolitik von einigen Parteien mit populistischer Rhetorik angesprochen wird.

  • Die verstärkte Beschäftigung mit digitalpolitischen Themen und die Prägung von Begriffen wie "Digitalunion" wirft für die Forscherin die Frage auf, ob sich das Themenfeld der Digitalpolitik in Zukunft als ein europäisches Thema durchsetzen könnte.