EU-Verfahren nimmt Fahrt auf

Microsoft droht Milliarden-Strafe

25.06.2024
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Die EU-Kommission befürchtet, dass Microsoft seine Produkte zum Schaden des Wettbewerbs rechtswidrig bündelt. Dem US-Konzern droht eine hohe Strafe.
Microsoft droht neuer Ärger mit der EU-Kommission und eine saftige Geldbuße.
Microsoft droht neuer Ärger mit der EU-Kommission und eine saftige Geldbuße.
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Die Europäische Kommission hat Microsoft offiziell von ihrer vorläufigen Auffassung in Kenntnis gesetzt, dass der US-amerikanische Softwarekonzern gegen Kartellvorschriften der Europäischen Union verstoßen könnte. Konkret beanstanden die Wettbewerbshüter die Kopplung des Collaboration-Programms "Teams" an Microsofts eigene Produktivitätsanwendungen, die in den Programmpaketen Office 365 und Microsoft 365 enthalten sind.

"Wir befürchten, dass Microsoft seinem eigenen Kommunikationsprogramm Teams durch die Kopplung an seine populären Unternehmenssoftware-Pakete einen ungerechtfertigten Vorteil gegenüber Wettbewerbern verschaffen könnte", sagte Margrethe Vestager, Vizepräsidentin der Kommission und zuständig für Wettbewerbspolitik. Den Wettbewerb rund um Fernkommunikations- und Kooperationsinstrumente aufrechtzuerhalten, sei von entscheidender Bedeutung, da dadurch auch Innovationen auf diesen Märkten gefördert würden. "Sollte sich das Verhalten von Microsoft bestätigen, wäre es nach unseren Wettbewerbsregeln rechtswidrig", stellte Vestager klar. Microsoft habe jetzt Gelegenheit, sich zu den Bedenken der Kommission zu äußern.

Durch die Kopplung von Software-Paketen könnte sich Microsoft einen ungerechtfertigten Vorteil gegenüber Wettbewerbern verschafft haben, befürchtet EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager.
Durch die Kopplung von Software-Paketen könnte sich Microsoft einen ungerechtfertigten Vorteil gegenüber Wettbewerbern verschafft haben, befürchtet EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager.
Foto: Alexandros Michailidis, shutterstock.com

Microsoft habe Teams möglicherweise einen Vertriebsvorteil verschafft, indem es den Kunden nicht die Möglichkeit bietet, selber zu entscheiden, ob sie bei einem Abonnement von Microsofts SaaS-Produktivitätsanwendungen Zugang zu Teams erhalten wollen oder nicht, so der Verdacht der EU-Kommission. Dieser Vorteil könnte durch die Einschränkungen der Interoperabilität zwischen mit Teams konkurrierenden Programmen und den Softwarepaketen von Microsoft noch verschärft worden sein. Ein solches Verhalten behindere den Wettbewerb und schade der Innovation.

Microsofts Änderungen reichen den Kartellwächtern nicht

Die Kartelluntersuchungen gegen Microsoft begannen Ende Juli 2023, nachdem zunächst das heute zu Salesforce gehörende Unternehmen Slack Technologies und später die deutsche alfaview GmbH eine Beschwerde gegen den US-Konzern eingereicht hatten. Als Reaktion hatte Microsoft seine Vertriebspraktiken in Bezug auf Teams zwar geändert. Beispielsweise wurden auch Programmpakete ohne Teams angeboten. "Bislang hat die Kommission jedoch nicht den Eindruck, dass diese Änderungen ausreichen, um ihre Bedenken auszuräumen", hieß es in einer Mitteilung der EU-Behörden. Vielmehr halte man weitere Verhaltensänderungen für erforderlich, um den Wettbewerb wiederherzustellen.

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Die jetzt erfolgte Mitteilung der Beschwerdepunkte ist ein förmlicher Schritt bei Untersuchungen der Kommission im Falle mutmaßlicher Verstöße gegen die EU-Kartellvorschriften. Damit werden die betroffenen Parteien schriftlich über die gegen sie erhobenen Vorwürfe in Kenntnis gesetzt. Diese könnten daraufhin die Untersuchungsakte der Kommission einsehen, schriftlich Stellung nehmen und eine mündliche Anhörung beantragen, um Vertretern der Kommission und der nationalen Wettbewerbsbehörden ihren Standpunkt darzulegen.

Microsoft begrüßt die jetzt geschaffene Klarheit

Microsoft-President Brad Smith wiederholte Reuters zufolge seine Anfang des Monats gemachten Aussagen, das Problem lösen zu wollen. "Nachdem wir Teams entbündelt und erste Interoperabilitätsschritte unternommen haben, begrüßen wir die heute geschaffene zusätzliche Klarheit und werden daran arbeiten, Lösungen zu finden, um die verbleibenden Bedenken der Kommission auszuräumen", bekundete der hochrangige Microsoft-Manager.

Microsoft-President Brad Smith will daran arbeiten, eine Lösung zu finden und die Bedenken der Kommission auszuräumen.
Microsoft-President Brad Smith will daran arbeiten, eine Lösung zu finden und die Bedenken der Kommission auszuräumen.
Foto: Microsoft

Kommt die EU-Kommission dennoch zu dem Schluss, dass hinreichende Beweise für eine Zuwiderhandlung gegen europäische Kartellvorschriften vorliegen, kann sie per Beschluss die Verhaltensweise untersagen und gegen das betreffende Unternehmen eine Geldbuße von bis zu zehn Prozent seines weltweiten Jahresumsatzes verhängen.

Microsoft drohen mehr als 20 Milliarden Dollar Strafe

Das könnte Microsoft empfindlich treffen. Im Geschäftsjahr 2023, das mit dem Juni 2023 endete, hatte der Konzern Einnahmen von fast 212 Milliarden Dollar gemeldet. Für das Geschäftsjahr 2024 liegen noch keine abschließenden Zahlen vor. Doch in den vergangenen Quartalen liefen die Microsoft-Geschäfte vor allem in der Cloud und mit KI sehr gut.

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Wann ein Urteil fällt, ist noch unklar. Für den Abschluss kartellrechtlicher Untersuchungen zu wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen gelte keine zwingende Frist, teilte die Kommission mit. Die Dauer einer kartellrechtlichen Untersuchung hängE von mehreren Faktoren ab, so etwa von der Komplexität des jeweiligen Falles, der Bereitschaft des betroffenen Unternehmens zur Zusammenarbeit sowie der Ausübung der Verteidigungsrechte.

Geldbuße wird Microsoft nicht abschrecken

Für Microsoft könnte es tatsächlich eng werden. "Nicht nur die Lizenzierung und Bündelung behindert den Wettbewerb. Microsoft hat die Kunst perfektioniert, die Interoperabilität mit konkurrierenden Diensten zu erschweren - von Voreinstellungen, die in den Menübäumen versteckt sind, bis hin zu zusätzlichen Klicks", sagte Steve Weber von der University of California, Berkeley, und Experte für Digitalwirtschaft. "Keines dieser Ärgernisse für die Nutzer ist technisch notwendig oder zu rechtfertigen."

Allerdings bezweifelt Weber, dass sich Microsoft von einer Geldbuße beeindrucken lassen würde. "Die potenziellen Bußgelder sind hoch, aber im Moment sind sie nur 'potenziell'. Sind die drohenden 20 Milliarden Dollar genug, um Microsoft davon abzuhalten, neue Wege zu finden, den Wettbewerb bei Cloud-Diensten und Künstlicher Intelligenz zu blockieren? Die Erkenntnisse des letzten Jahres deuten darauf hin, dass dies nicht der Fall ist."

Sollte Microsoft aufgespalten werden?

Aus Sicht von Dennis Kipker von der Hochschule Bremen und IT-Sicherheitsrechtler kommt das Kartellverfahren jedoch viel zu spät. "Denn hier geht es nicht nur um MS Office, sondern um eine jahrzehntelange Praxis der Verdrängung von Innovation, Wettbewerb, Datenschutz und Cybersicherheit aus dem europäischen Markt." Die drohenden Sanktionen reichten bei weitem nicht aus, den tatsächlich entstandenen wirtschaftlichen Schaden auszugleichen. Aus Kipkers Sicht geht es nicht nur um die Gewinne von Microsoft, sondern auch um den Schaden, der seinen Konkurrenten entstanden ist.

Der Rechtsexperte glaubt nicht, dass eine EU-Sanktion Microsoft davon abhalten würde, weiterhin Kartellverstöße zu begehen. "Das sehen wir derzeit auf dem europäischen und deutschen Markt, wo nicht nur die Cloud massiv integriert wird, sondern auch die Monopolisierung der künstlichen Intelligenz über Copilot durch die Verknüpfung mit MS Office bereits stattfindet." Es sei daher eine Überlegung wert, Teile des Konzerns aufzuspalten, insbesondere in der Europäischen Union, um der absoluten Monopolisierung des Cloud- und Softwaremarktes Grenzen zu setzen. "Die EU strebt zunehmend nach digitaler Souveränität und wird diese Ziele sonst nicht erreichen können."