Burnout vorbeugen

Vergessen Sie Ihre Stärken!

16.09.2014
Von 
Bettina Dobe war Autorin für cio.de.
Manager sollten lieber das tun, was sie möchten, als das, was sie können, sagt Executive Business Coach Gudrun Happich. Wenn jemand in einer Aufgabe Stärken zeige, heiße das noch nicht, dass er sich darin auch wohlfühle.

CW: In Ihrem Buch fordern Sie Leistungsträger dazu auf, nicht ihren Stärken zu folgen. Wie bitte?

Happich: Ja, das hört sich zunächst befremdlich an, aber: Leistungsträger sind Menschen, die Verantwortung übernehmen, die gern viel leisten und etwas bewegen wollen. Sie sind die "Macher". Sie wissen, dass das Leben kein Zuckerschlecken ist, und machen da weiter, wo andere schon aufgehört haben. Von ihnen höre ich häufig den Satz: "Das muss eben gemacht werden." Einerseits eignen sie sich dadurch viele Fähigkeiten an. Aber ich sage: Nur, weil man etwas kann, heißt es nicht, dass es einem Spaß macht. Das sind zwei Paar Schuhe.

Executive Business Coach Gudrun Happich: "Leistungsträger denken oft nicht drüber nach, was sie wollen."
Executive Business Coach Gudrun Happich: "Leistungsträger denken oft nicht drüber nach, was sie wollen."
Foto: Privat

CW: Aber macht einem nicht das Spaß, was man auch gut kann?

Happich: Nicht unbedingt! Ich habe einmal einen ITler gecoacht, der in seinem Unternehmen die Kundenakquise übernehmen sollte. Sein Vorgesetzter sagte, dass er dabei Erfolge gezeigt habe - aber der Mitarbeiter sackte nur in sich zusammen. Er war der Überzeugung, dass er nicht akquirieren konnte. Seine Kollegen konnten das nicht glauben, schließlich hatte er die größten Aufträge an Land gezogen! Doch der Mitarbeiter sagte, er unterhalte sich nur einfach gerne mit Menschen. Daraus ergäben sich eine gute Beziehung und oft auch Aufträge. Als Stärke wollte er das nicht betrachten, und sein Interesse, in der Hauptsache Kunden zu akquirieren, ging gegen null. Auch wenn die Kollegen das als Stärke wahrgenommen hatten - Spaß hat es ihm nicht gemacht. Anders herum wird ein Schuh draus: Was einem Spaß macht, kann man auch.

CW: Aber merkt man nicht, dass einem die Arbeit oder eine bestimmte Aufgabe keine Freude bereitet?

Happich: Das Schlimme ist, dass die meisten es tatsächlich nicht merken. Das ist oft ein schleichender Prozess: Zum Beispiel erledigen einige während eines Projekts aus einer Notwendigkeit heraus eine Aufgabe, die ihnen keinen Spaß macht. Trotzdem wollen sie das gut machen, denn sie haben einen hohen Anspruch an sich selbst. Außerdem wollen sie das Unternehmen nach vorne bringen. Die Leistungsträger haben dabei mindestens mittelmäßige, meistens sogar gute Erfolge. Außenstehende schlagen diese Kollegen dann für solche Aufgaben vor: Es hat ja gut geklappt. Und manchmal winkt dafür sogar die Beförderung. Das ist Anerkennung pur. So kommen die Beschäftigten an Aufgaben, die sie unglücklich machen, ohne dass sie es selbst sofort merken.

CW: Wie kommen Manager aus diesem Teufelskreis wieder heraus?

Happich: Oft wissen die Leistungsträger gar nicht, was ihnen Freude bereitet. "Um Spaß geht es doch beim Arbeiten gar nicht", höre ich sehr oft. Dabei ist es so: Sie können eine ganze Menge - aber nicht alles davon macht ihnen Spaß. Wozu sie Lust haben, das können sie sowieso. Jeder sollte sich also eher fragen, was ihm Spaß macht und welche seiner Stärken er einsetzen möchte. Aber wenn man etwas unangenehm findet und es länger als zwei bis drei Stunden am Tag tun muss, dann erscheint einem bald alles negativ - auch das, was man eigentlich mag.

Mehr zum Thema Stärken und wie man sie findet, können Sie in Happichs Buch nachlesen: "Was wirklich zählt", Springer Gabler 2014, 220 Seiten.
Mehr zum Thema Stärken und wie man sie findet, können Sie in Happichs Buch nachlesen: "Was wirklich zählt", Springer Gabler 2014, 220 Seiten.
Foto: Springer Gabler

CW: Das klingt so, als würden die meisten Leistungsträger gar nicht darüber nachdenken, was sie eigentlich tun wollen.

Happich: Der große Unterschied zwischen Leistungsträgern und normalen Mitarbeitern ist: Die normalen arbeiten nicht so viel und scheitern eventuell schneller. Wann denkt man denn über sich selbst nach? Wer gescheitert ist, denkt deutlich intensiver nach als der, der Erfolg hat. Da Leistungsträger erfolgreich sind, beschäftigen sie sich oft nicht mit der Frage, was sie eigentlich wollen. Warum auch? Die Karriere verläuft ja meistens so: Jemand hat Erfolg, wird für die nächste Stufe vorgeschlagen, wird Führungskraft und klettert immer weiter die Karriereleiter rauf. Zwar mag die Beförderung nicht hundertprozentig den Vorstellungen entsprechen - aber gern genommen wird sie trotzdem. Doch mit jedem Karriereschritt verbiegt man sich ein wenig. Außerdem: Wer zehn bis 14 Stunden am Tag arbeitet, hat kaum noch Zeit, über sich nachzudenken.

CW: Wäre es eine Lösung, den Job oder die Firma zu wechseln?

Happich: Ach, Jobwechsel bringt leider gar nichts! Manche hoffen, ihre Situation mit einem Unternehmens- oder Aufgabenwechsel zu ändern. Doch beides geht zu 90 Prozent in die Hose. Dies als Standardlösung einsetzen zu wollen, führt nicht zum gewünschten Ergebnis, sprich: zur Zufriedenheit. Das kann nur im Einzelfall funktionieren. Um wirklich etwas zu ändern, müssen leider die meisten Menschen erst an einen Punkt kommen, an dem es nicht mehr weitergeht. Ich hatte einen Fall, da wollte ein Manager unbedingt Geschäftsführer werden. Schließlich kam er tatsächlich in diese Position. Dann merkte er, dass ihm dieser Job gar keinen Spaß machte. Er wollte nicht mit Mitarbeitern umgehen, sie den ganzen Tag führen, obwohl das seine neue Aufgabe war. Dass er eigentlich viel lieber ein bestimmtes Projekt leiten würde, darauf sind wir erst nach einigen Gesprächen gekommen.

CW: Aber warum wollte er den Posten überhaupt haben?

Happich: Er hat in erster Linie die Position - Geschäftsführer - gesehen. Das hörte sich gut und einflussreich an. Außerdem waren viele in seinem Umfeld ebenfalls in die Rolle eines Geschäftsführers gewechselt. Dass wir hier recht schnell und einfach eine gute Lösung finden konnten, liegt an einem großen Vorteil der IT-Branche: Hier haben Fachkräfte, sogenannte Experten, ein sehr gutes Image. In dieser Branche gibt es viele Menschen, die lieber Wissensarbeiter wären als in einer Führungsposition.

CW: Wie gelingt es, die eigenen Stärken zu erkennen?

Happich: Zu wissen, dass einem nicht alles, was man gut kann, auch Spaß macht, ist schon ein Riesenschritt. Dann sollte jeder versuchen herauszufinden, was er möchte, und sich dann einen realistischen Umsetzungsweg suchen. Das muss man nicht unbedingt mit einem Coach besprechen, aber mit einem Unbeteiligten. Wer versäumt, sich darauf zu besinnen, bei dem ist die Gefahr groß, dass er in den Burnout gerät.

CW: Wie kann ein Chef agieren, der bei seinem Mitarbeiter Unzufriedenheit bemerkt?

Happich: Ich gebe Ihnen mal das Negativbeispiel: Ein Mitarbeiter geht zum Vorgesetzten und spricht mutig an, dass ihm seine Arbeit nicht liegt und er unzufrieden ist. Er kommt aus dem Gespräch mit einer Beförderung und einer Gehaltserhöhung. Das ist genau die falsche Reaktion des Chefs. Natürlich wird der Mitarbeiter das Geld mitnehmen - aber wenn sich nicht bald grundsätzlich etwas an seiner Situation ändert, verlässt er trotzdem das Unternehmen.

CW: Und wie macht der Vorgesetzte es richtig?

Happich: Ein Mitarbeiter empfindet es als Wertschätzung, wenn der Vorgesetzte nicht nur mehr Geld anbietet, sondern auf ihn zugeht, sich für ihn interessiert und ihn fragt, wohin er sich entwickeln möchte. Einmal schickte ein Chef seinen besten Mitarbeiter zu mir. Wir sollten die ideale Position für ihn finden - selbst wenn das bedeutden würde, dass er das Unternehmen verlässt. Dieses Risiko ist die Führungskraft eingegangen - der Mitarbeiter hat das als große Wertschätzung wahrgenommen. Er blieb im Unternehmen und brannte für die Firma, die sich so für ihn eingesetzt hatte. Gemeinsam mit seinem Vorgesetzten haben wir eine Strategie entwickelt, wie er seine Stärken am besten nutzen konnte - und zwar diejenigen, die ihm Spaß machen. Das bedeutet im Klartext: Fördern Chefs die Interessen der Mitarbeiter, führt das fast immer zu einer engeren Mitarbeiterbindung ans Unternehmen. Es gewinnen also beide. (kf)

Bettina Dobe ist freie Journalistin in München.