Interview zum Kongress Lernen 21

"Es muss nicht jeder Agile Coach oder Data Scientist werden"

29.10.2019
Von 
Hans Königes war bis Dezember 2023 Ressortleiter Jobs & Karriere und damit zuständig für alle Themen rund um Arbeitsmarkt, Jobs, Berufe, Gehälter, Personalmanagement, Recruiting sowie Social Media im Berufsleben.
Wenn motivierte Digitalisierer und eine überforderte Organisation zusammenkommen, kann viel Frust entstehen. Wie Firmen den Kompetenzaufbau ihrer Mitarbeiter bewältigen können, erläutert Bildungsexperte Philipp Ramin*.

Digitalisierung und Industrie 4.0 sind seit Jahren in aller Munde. Können wir davon ausgehen, dass Unternehmen mittlerweile alle Kompetenzen flächendeckend aufgebaut haben, so dass sie für die fortwährende digitale Transformation ausreichend gewappnet sind?

Philipp Ramin: Das Thema ist allgegenwärtig. Doch selbst Unternehmen, die als digitale Vorreiter gelten, gelingt es nur schleppend, den Wandel in die Breite umzusetzen. Hinter den digitalen Speerspitzen diverser Digitalabteilungen und Projektgruppen bleibt häufig eine überforderte Organisation zurück und die wenigen Digitalexperten sind dann schnell frustriert, da sie es alleine nicht richten können. Gleichzeitig nehmen langjährige Mitarbeiter die Einstellung neuer Experten wahr und zweifeln die Wertschätzung der eigenen Leistung an. Quintessenz: Mitarbeiter müssen auf die ganzheitliche Transformation vorbereitet werden.

Philipp Ramin, CEO des Innovationszentrums für Industrie 4.0 in Regensburg: "Aus dem Abgleich von vorhandenen Kompetenzen und der Veränderungen der zukünftigen Aufgaben in den einzelnen Bereichen leiten sich konkrete, fehlende Kompetenzen und die notwendigen Lernpfade ab."
Philipp Ramin, CEO des Innovationszentrums für Industrie 4.0 in Regensburg: "Aus dem Abgleich von vorhandenen Kompetenzen und der Veränderungen der zukünftigen Aufgaben in den einzelnen Bereichen leiten sich konkrete, fehlende Kompetenzen und die notwendigen Lernpfade ab."
Foto: Philipp Ramin

Was muss Ihrer Meinung nach ein Unternehmen tun, damit es die unternehmensinterne Kompetenzentwicklung für die Digitalisierung richtig einleitet?

Philipp Ramin: Up- und Reskilling sind nicht mit halbtägigen Workshops abgehakt. Sie benötigen einen systematischen und nachhaltigen Ansatz. Einfach mal jeden Mitarbeiter zum Agile Coach und Data Scientist auszubilden, macht wenig Sinn. Aus dem Abgleich von vorhandenen Kompetenzen und der Veränderungen der zukünftigen Aufgaben in den einzelnen Bereichen leiten sich konkrete, fehlende Kompetenzen und die notwendigen Lernpfade ab. Wichtig ist zu verstehen, dass Digitalkompetenz im Unternehmen jede Abteilung betrifft!

Ein wesentliches Ziel liegt darin, das bisherige Buzz-Wörter-Bingo durch konkrete Sprechfähigkeit aller Mitarbeiter bei wichtigen Themen zu ersetzen. Hierfür braucht es unterschiedliche Lösungen für unterschiedliche Personengruppen. Gleichzeitig sind Kollaboration, Neugierde und Offenheit wichtiger denn je. Auch wird hierfür eine Kultur des "Ich glaube an Dich, Du bist wichtig für die Zukunft des Unternehmens" gebraucht.

Treffen Sie Philipp Ramin auf der COMPUTERWOCHE-Konferenz "Lernen21"

Welche Rolle spielt die IT-Abteilung, von der man annehmen sollte, dass sie der Motor in puncto Digitalisierung und IT-Kompetenzweitergabe ist? Welche Fähigkeiten zum Beispiel sind wichtig für Produktionsmitarbeiter, um den digitalen Wandel zu meistern?

Philipp Ramin: Bei der Digitalisierung geht es nicht nur um die IT-Schlüsselkompetenz im Sinne technischer Parameter. Agilere Formen des IT-Rollouts, Web-Applikationen und kreative Lösungen mit einer hohen Nutzerzentrierung erfordern "People Skills". Digitale Kompetenz ist mehr als IT-Kompetenz. Somit wird Change-Management zum kritischen Erfolgsfaktor und neue Formen der Mensch-Maschine-Interaktion benötigen Einblicke in Psychologie, Organisationsstrukturen und Arbeitsmodelle. Andere Abteilungen wie Produktion sind da schon etwas weiter, benötigen jedoch noch ausgeprägtere Skills in übergreifenden IT-Lösungen.

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Lernen im 21. Jahrhundert

Digitale Kompetenzen und neue Lerntechnologien

Welche digitalen Kompetenzen benötigen Mitarbeiter und mit welchen neuen Lerntechnologien können sie diese erwerben? Diese Fragen diskutieren Personal- und Weiterbildungsexperten sowie Vertreter aus der Lehre am 27. November auf der COMPUTERWOCHE-Konferenz Lernen21 in München.

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Das Lernkonzept muss auf Unterschiede eingehen

Müssen unterschiedliche Kompetenzanforderungen in den verschiedenen Abteilungen zwangsläufig dazu führen, dass man unterschiedliche Wege bei der Vermittlung von Digitalisierungswissen geht? Oder gibt es Wissens- und Kompetenzbereiche, von denen alle Abteilungen profitieren können?

Philipp Ramin: Bestehende Kompetenzen sollen nicht verschwinden - wir bauen darauf auf. Entwicklungspfade werden durch vorhandene Fähigkeiten, Lernpräferenzen und Zielsetzungen bestimmt. "Learning by Doing", dezentrales Lernen mit E-Learning Nuggets zu selbst wählbaren Zeiten und Lernen zusammen in Workshops - es gibt kein standardisiertes Patentrezept. Eine gute Lernarchitektur geht auf diese Unterschiede ein und benutzt dafür die Formate, die das Thema am besten mit der richtigen "Flughöhe" transportieren. Bei Themen wie IoT oder Data Science geht es schnell um praktisches Ausprobieren.

Hands-on Workshops oder E-Learning-Plattformen sind hierfür gut geeignet. Themen lassen sich auf unterschiedlichen Anspruchsniveaus anbieten, Grundlagenmodule vermitteln Begrifflichkeiten und Anwendungen. Fortgeschrittene Module vermitteln tiefergehendes Wissen. Dennoch gibt es viele Synergien: Gute Kommunikation, Vertrauen, Offenheit und Flexibilität sind bei der Digitalisierung für alle entscheidend.

Wie sollten Unternehmen sicherstellen, dass ihre Mitarbeiter für den digitalen Wandel gerüstet sind und gerüstet bleiben und nicht wieder in altes Silo-Denken verfallen?

Philipp Ramin: Das beginnt beim Top-Management. Sieht man sich heutige Organigramme an, ist es nicht verwunderlich, dass die Menschen immer noch in Silos denken. Überall Silos - bei Prozessen und Verantwortlichkeiten. Solange das so bleibt, wird der Abbau des Silo-Denkens Theorie bleiben. Wenn ein Mitarbeiter jahrelang nur in seinem Silo war, wird er ohne passende Weiterbildung diese Routinen nicht ablegen.

Könnten Sie hier typische Beispiele nennen, wie Sie solche Qualifizierungs- und Weiterbildungsprojekte umsetzen? Wie Sie dafür sorgen, dass nicht nur alle Mitarbeiter mitgenommen werden, sondern Abteilungen näher zusammenwachsen?

Philipp Ramin: Wir schauen uns die Mitarbeiterstrukturen in Unternehmen genau an. Dabei sind wir auf gute Daten aus den Personalabteilungen angewiesen, was leider oft nicht so einfach ist. Zahlreiche Interviews in den Fachabteilungen zeigen aktuelle und zukünftige Kompetenzprofile auf. Für eine Bank haben wir eine Kompetenzarchitektur entwickelt, die die wichtigen Themen der jeweiligen Mitarbeitergruppen und wie die jeweiligen Mitarbeiter am besten die neuen Kompetenzen aufbauen können, verdeutlicht. Danach erfolgt die Umsetzung der Weiterbildungsmaßnahmen mit unterschiedlichen Blended-Learning-Ansätzen.

Eine Learning Journey umfasst Workshops oder Umsetzungsprojekte, bei denen wir bewusst das Teilnehmerfeld durchmischen, um die Zusammenarbeit zwischen den Bereichen zu fördern. Für einen Automobilkonzern haben wir für alle Instandhalter ein digitales Lernmodul entwickelt, um für künftige Änderungen zu sensibilisieren. Die Lerninhalte werden dann gemeinsam mit den verschiedenen Fachabteilungen entwickelt, was dazu führt, dass bereits in der Konzeptionsphase die Zusammenarbeit in und zwischen den Abteilungen gefördert wird.

Wie lassen sich Firmen durch Weiterbildungsmaßnahmen in lernende Unternehmen umfunktionieren?

Philipp Ramin: Der Wandel zum lernenden Unternehmen funktioniert nicht auf Knopfdruck, sondern ein echter Kulturwandel ist nötig. Weiterbildung ist eine wichtige dauerhafte Aufgabe für alle Bereiche. Lernen muss selbstverständlich sein und als Teil der Arbeitszeit gelten. Personalabteilungen brauchen mehr Ressourcen, um die benötigten Lernarchitekturen und Weiterbildungsangebote mit Experten zu schaffen. Kunden und Lieferanten sind einzubinden, um die Realitäten moderner Wertschöpfungsketten in Lerninhalte zu integrieren.

Am Ende dürfen Lernformate nicht nur hipp sein, sie müssen viel Praxiserfahrung beinhalten, damit sich die Mitarbeiter in ihrer Realität wiederfinden und einen Mehrwert im Lernen sehen. Eine moderne Unternehmensakademie benötigt ausreichende Budgets und sollte als Think Tank für den Arbeitgeber agieren und Vorschlagsmechanismen beinhalten, damit Mitarbeiter und Abteilungen kontinuierlich Weiterbildungsideen einbringen können.

Damit die Mitarbeiter einen Mehrwert in Weiterbildungsmaßnahmen sehen, müssen die Inhalte viel Praxiserfahrung beinhalten. Eine moderne Unternehmensakademie benötigt ausreichende Budgets und sollte als Think Tank für den Arbeitgeber agieren. Damit ein Unternehmen zum lernenden Unternehmen wird, ist also ein echter Kulturwandel nötig.
Damit die Mitarbeiter einen Mehrwert in Weiterbildungsmaßnahmen sehen, müssen die Inhalte viel Praxiserfahrung beinhalten. Eine moderne Unternehmensakademie benötigt ausreichende Budgets und sollte als Think Tank für den Arbeitgeber agieren. Damit ein Unternehmen zum lernenden Unternehmen wird, ist also ein echter Kulturwandel nötig.
Foto: garagestock - shutterstock.com

COMPUTERWOCHE veranstaltet Konferenz zu Lerntrends

Was müssen Unternehmen tun, was sollen Mitarbeiter können - und mit welchen modernen Lerntechnologien schaffen beide Seiten den Sprung erfolgreich ins digitale Zeitalter? Diese Fragen will die COMPUTERWOCHE-Konferenz "Lernen im 21. Jahrhundert" am 27. November im Munich Airport Business Park beantworten. Einer der Referenten ist Philipp Ramin.

Mit dabei sind noch Praktiker wie der CIO/CDO von MSC Germany Hubert Hoffmann, die Personalchefin von Nordzucker und gleichzeitig Präsidentin des Bundesverbandes der Personalmanager (BPM) Inga Dransfeld-Haase und der weltweite Learningchef von SAP Daniel Vonier. Die wissenschaftliche Seite - mit starkem Bezug zur Praxis - decken der Vizepräsident der Hochschule München ab, Professor Klaus Kreulich, und eben Dr. Philipp Ramin vom Innovationszentrum für Industrie 4.0 aus Regensburg.

Und damit die Mischung komplett ist, sind auch ein paar Startups dabei, die in Workshops, Live-Demos und auf einem Jahrmarkt der Ideen, aufzeigen, wie Technologie das neue Lernen unterstützt - zum Beispiel anhand von Videos, sogenannten Lern-Nuggets, Gamification bis hin zu Virtual-Reality-Brillen, die schon in der betrieblichen Weiterbildung im Einsatz sind.

Die Veranstaltung wendet sich vor allem an Personal- und Weiterbildungsexperten, aber auch an Fach- und Führungskräfte aus den Fachbereichen, die sich darüber informieren wollen/müssen, wie sie ihre Mitarbeiter fitmachen können für das digitale Zeitalter. Erwartet werden rund 200 Teilnehmer. Die Veranstaltung findet im Business Park des Münchner Flughafens statt.

Auf der COMPUTERWOCHE-Konferenz "Lernen im 21. Jahrhundert" am 27. November 2019 im Airport Center München wird Philipp Ramin über Lerntechnologien im digitalen Zeitalter sprechen.
Auf der COMPUTERWOCHE-Konferenz "Lernen im 21. Jahrhundert" am 27. November 2019 im Airport Center München wird Philipp Ramin über Lerntechnologien im digitalen Zeitalter sprechen.
Foto: Manfred Zentsch

Der Kongress im Überblick

Anmeldung unter: https://lernen21.computerwoche.de

Termin: Mittwoch, 27. November 2019

Ort: Airport Business Center im Munich Airport Business Park

Regulärer Ticketpreis: 149 Euro (+MwSt)

Weitere Infos erteilt gerne CW-Redakteur Hans Königes (hkoeniges@idg.de).

*Philipp Ramin ist CEO des Innovationszentrums für Industrie 4.0 in Regensburg und ist in 14 Ländern für Unternehmen mit digitaler Kompetenzentwicklung durch E-Learnings, Learning-Architekturen aktiv und erstellt Studien mit Beteiligung von Großunternehmen zum Thema Zukunft der Arbeit.