Bayerns Polizisten warten auf "Diplaz"

16.01.2006
Eigentlich sollte die bayerische Polizei schon seit Anfang 2005 ihren Dienst mit dem neuen "Diplaz"-System planen. Zahlreiche Pannen verhinderten jedoch bislang die Einführung der Software der P&I AG.

Die Arbeitszeitsoftware Diplaz funktioniert hinten und vorne nicht", klagt Hermann Benker, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) in Bayern. Eigentlich sollte das neue Dienstplanungs- und Zeitwirtschafts-System (Diplaz) schon seit einem Jahr laufen. Aber die Entwicklungsarbeiten des Softwareherstellers Personal & Informatik AG (P&I) aus Wiesbaden gerieten immer wieder ins Stocken. Nach wie vor weise die Software zu viele Fehler auf.

Polizei hat mit IT kein glückliches Händchen

Diplaz ist nicht das erste IT-Projekt der Polizei, das wegen Problemen in die Schlagzeilen gerät. So kostete beispielsweise das Vorhaben "Inpol-neu" den Steuerzahler laut einem Bericht des Bundesrechnungshofes statt der veranschlagten 40 Millionen mindestens 280 Millionen Euro. Als nach über zehn Jahren die Entwicklung des Fahndungssystems 2003 abgeschlossen wurde, monierten Kritiker, das neue System sei lediglich Inpol-alt mit neuen Geräten. Mit dem Linux-Projekt "Nivadis" wollte die niedersächsische Polizei 2001 ihr Informationssystem auf Vordermann bringen. Nach dem verzögerten Startschuss 2003 klagten die Beamten über Totalausfälle und miserable Antwortzeiten. Erst im Jahr 2005 lief die Software. Im Frühjahr 2005 beschwerten sich auch die Berliner Beamten über schlechte Reaktionszeiten ihres Informationssystems "Poliks". Das vom IT-Dienstleister Gedas in fünf Jahren entwickelte System stelle die Geduld der Polizisten auf eine harte Probe, hieß es. Während die meisten anderen europäischen Länder bereits mit digitalem Polizeifunk arbeiten, bekommen die deutschen Verantwortlichen das Vorhaben nicht richtig fertig. Pläne, das neue Funksystem bereits zur Fussballweltmeisterschaft einzusetzen, mussten die Innenminister mittlerweile begraben. Beamte fürchten ein Debakel, sollte das Vorhaben überstürzt umgesetzt werden.

Hier lesen Sie …

• welche Probleme Diplaz der bayerischen Polizei bereitet;

• was die Verantwortlichen mit dem Dienstplansystem bezweckten;

• welche Rolle das Innen- ministerium in München spielt.

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Auch das sechste Release, das am 12. Dezember in die Testphase ging und das laut Innenministerium alle Ampeln auf Grün schalten sollte, habe Berichten aus der Projektgruppe zufolge die Erwartungen nicht erfüllt. Von den angesetzten sieben Tagen habe die Software nicht einmal die Hälfte der Zeit funktioniert, berichtete Benker. In Beamtenkreisen spreche man schon von einer Verschiebung auf den "Sankt-Nimmerleinstag".

Die Probleme begannen bereits mit der Ausschreibung des Projekts im Jahr 2003. Keiner der fünf beteiligten Bewerber konnte die Kriterien erfüllen, erzählt der Polizeigewerkschafter. Das von den Beamten favorisierte System "SP-Expert" der Firma Astrum lief nur unter Windows.

Software mit Lücken

Das bayerische Innenministerium hatte jedoch auf dem Unix-Derivat HP-UX als Plattform bestanden. Nachdem sich die Astrum-Verantwortlichen nicht dazu bereit erklärt hatten, ihre Anwendung auf die Unix-Plattform zu portieren, bekam schließlich P&I den Zuschlag. Die Wiesbadener unterstützten zwar HP-UX, mussten jedoch noch ein passendes Dienstplanungsmodul für das Zeit-Management entwickeln.

"Seitdem kommt P&I nicht in die Gänge", moniert Benker. Astrum habe rund 300 Mannjahre in die Entwicklung der Software gesteckt. Da könne man nicht erwarten, dass P&I diese Aufgabe innerhalb eines Jahres löse: "Das hätte jedem Experten klar sein müssen." Benker zweifelt offen daran, dass die Entscheider im Ministerium und dem Landeskriminalamt die Bedürfnisse und Anforderungen der Beamten im Praxiseinsatz richtig einschätzen können. Das Innenministerium habe ein Produkt eingekauft, das sich noch nie im Praxiseinsatz bewährt habe.

Axel Benscheidt, Vertriebsleiter von P&I in Deutschland, weist die Kritik der nach seinen Worten eher kleinen und un- bedeutenden Polizeigewerkschaft entschieden zurück. Hier versuche jemand, Politik mit Informationen zu machen, die zum Teil gar nicht stimmten. Zwar habe es Verzögerungen gegeben, räumte er ein. Allerdings sei der Anfang 2004 aufgestellte Projektplan lediglich eine grobe, nicht verbindliche Richtschnur gewesen. In diesem Plan seien keine Puffer- beziehungsweise Risikozeiten berücksichtigt. In der Regel müsse man dafür zusätzlich rund 30 Prozent des Zeitbudgets veranschlagen.

P&I habe im Lauf des Projekts einige Feinjustierungen an der Software vornehmen müssen, die so nicht abzusehen gewesen seien, berichtete Benscheidt. So sollte das System beispielsweise auch gleitende Arbeitszeiten abbilden können. Zudem habe die bayerische Landesregierung beschlossen, das Bezügeverfahren auf das SAP-System "Viva" umzustellen, das derzeit von T-Systems implementiert wird. Hier musste P&I die entsprechende Anbindung entwickeln.

Von funktionalen Mängeln der Software will Benscheidt nichts wissen: "Den internen Betriebstest haben wir bereits im Dezember 2004 bestanden." Derzeit befinde sich das Projekt kurz vor Abschluss des Modellpiloten. Es fehlten nur noch einige Massen- und Belastungstests. Dazu werde im Augenblick das Gesamtsystem mit einem 24-Wege-HP-Superdome-Server und einer Oracle-Datenbank getunt. Sei der Modellpilot abgenommen, folge der Flächenpilot, in dem 14 Polizeipräsidien mit der neuen Software arbeiten sollen.

Auch das zuständige Innenministerium in München weist die Kritik der Polizisten an Diplaz als weit überzogen und in Teilen unsachlich zurück. Der geforderte Kauf einer Alternativsoftware sei weder fachlich sinnvoll noch vergaberechtlich möglich. Da die betriebskritischen IT-Verfahren der Polizei hohe Anforderungen an Rechnerleistung und Verfügbarkeit stellten, habe das Ministerium auf HP-UX als zentrale Plattform in der Ausschreibung beharrt. Dies sei nachträglich nicht zu ändern. Da P&I in der Nutzwertanalyse die höchste Punktzahl erreicht habe, könne man auch den Zuschlag nicht anfechten. Das Vergabeverfahren sei ordnungsgemäß abgeschlossen worden. Schließlich habe keiner der unterlegenen Bieter Rechtsmittel dagegen eingelegt.

Ministerium droht mit Strafen

Mit dem Projektverlauf scheint man jedoch auch im Ministerium alles andere als zufrieden. Laut einem bereits modifizierten Zeitplan hätte der Software-Rollout bereits im Juni 2005 abgeschlossen gewesen sein sollen, heißt es in einem Bericht. Da jedoch die zeitwirtschaftlichen Regelungen unzureichend umgesetzt seien, musste ein neuer Zeitplan aufgestellt werden. Dieser sah ursprünglich vor, den Flächenpiloten im Oktober 2005 zu starten. Allerdings hätten die Funktionstests im Modellpiloten Nachbesserungsbedarf ergeben. Das Bayerische Landeskriminalamt habe P&I aufgefordert, die Fehler zu analysieren und zu beseitigen. Man rechne nun mit einem Echteinsatz von Diplaz im ersten Quartal 2006. Sollte es einen weiteren Verzug geben, drohten Vertragsstrafen.

Die finanziellen Folgen der Verzögerungen beurteilen die Betroffenen unterschiedlich. Laut Innenministerium kostet die Software 1,74 Millionen Euro. Davon seien bislang 51 Prozent bezahlt. Weitere Zahlungen richteten sich nach dem Projektfortschritt. Zusätzlich seien der Polizei Personalkosten in Höhe von rund 70 000 Euro entstanden. Seit Oktober 2005 testeten vier Beamte an vier Tagen in der Woche die Software. Es werde geprüft, inwieweit diese Kosten gegen die zusätzlichen Entwicklungsleistungen von P&I verrechnet werden könnten.

Polizei wettet auf Verzug

Dagegen geht die Polizeigewerkschaft von einem Mehraufwand in Millionenhöhe aus. Seit 15 Monaten müssten zwischen 13 und 15 Beamte der Firma P&I dabei unter die Arme greifen, die Software zu erproben und weiterzuentwickeln. Die Polizei müsse mit einem Millionenaufwand für die Fehler und das Unvermögen des Softwareherstellers aufkommen. Die Beamten befürchteten, dass die Zusatzkosten noch weiter steigen könnten. Intern liefen Wetten, dass Diplaz auch im Januar 2007 noch nicht funktionieren werde.