Communications aus der Cloud - was geht?

31.05.2011
Videokonferenzen aus der Cloud, E-Mail-Server in der Cloud - die Cloud-Welle erfasst nun auch den Communications-Bereich. Welche Kommunikationsdienste lassen sich bereits heute virtualisieren?

Mit Software aus der Cloud, virtualisiertem Speicher oder Rechenleistung on Demand haben wir uns bereits vertraut gemacht. Doch Communications aus der Cloud? Die einen werden ungläubig blicken, die anderen angesichts der gebotenen Services die Nase rümpfen und sagen: "Das hatten wir alles schon einmal, das wurde uns als Hosted Services verkauft." Das ist sicher richtig, doch die Frage, wann etwas lediglich "hosted" oder "echter Cloud Service" ist, hat eher akademische Bedeutung. Oder wir halten es mit einem hochrangigen Telekom-Manager, der das Cloud Computing über den Reifegrad der verwendeten Technologien definierte.

Viel wichtiger als die Überlegung, was Communications aus der Cloud ist, dürfte für die Entscheider die Frage sein, welche Kommunikationsdienste sie dort eigentlich bekommen. Hier ist mittlerweile eine breite Palette verfügbar, die von nahe liegenden Dingen wie VoIP-Telefonie oder Collaboration-Tools bis zu komplexen Netz-Management-Services für Router oder WLAN-Controller reicht.

Skypen in der Public Cloud

Doch der Reihe nach. Einer der ältesten Cloud-Communications-Dienste dürfte auch der bekannteste sein: Skype. Das Unternehmen wurde jüngst von Microsoft gekauft. Mit seiner P2P-Infrastruktur und dem Konzept aus Nodes und Supernodes ist Skype ein Paradebeispiel für einen Kommunikationsdienst als Public-Cloud-Service. Entsprechend hat Skype mit den typischen Problemen der Public Cloud zu kämpfen: So können im Business- Umfeld geforderte Features wie Quality of Services (QoS) oder Ausfallsicherheit nicht garantiert werden. Zudem sind Zweifel in Sachen Abhörsicherheit angebracht. Sowohl in Österreich als auch in Deutschland wurden bereits Abhörprotokolle von Skype verwendet, so dass der Verschlüsselung der Gespräche nur bedingt Vertrauen geschenkt werden sollte.

Mittlerweile ist Skype aber mehr als nur eine Internet-Telefonie-Lösung auf IP-Basis und hat sich zu einer Art Collaboration-Suite entwickelt. So runden Instant Messaging, Chat, Conferencing, Videoconferencing oder Document Sharing den Funktionsumfang ab. Business-Kunden erhalten zudem die Möglichkeit einer Integration in SAP-basierende TK-Anlagen sowie ein Management-Tool zur Administration der Accounts.

Allerdings können diese Punkte nicht darüber hinwegtäuschen, dass entscheidende Kriterien wie Quality of services (QoS) nicht erfüllt werden. Dies gilt auch für alternative Angebote wie etwa Googletalk, das mit Chat und VoIP aufwartet. Professionellere Telefonieangebote aus der Cloud offerieren reine SIP-Provider wie etwa Sipgate oder Nfon, um nur zwei Beispiele zu nennen. Diese Unternehmen verlagern die klassische TK-Anlage in die Cloud, so dass der Anwender im Office nur noch ein IP-fähiges Endgerät wie Telefon, Rechner mit Softphone oder Handy benötigt. Häufig virtualisieren die Anbieter dabei gleichzeitig die Faxgeräte in der Cloud, so dass Firmen ihre Geräte entsorgen können.

TK-Anlage aus der Cloud

Für diese Form der Kommunikation aus der Cloud sprechen neben der eingesparten Hardware auch Administrationsaspekte. So können die virtuellen TK-Anlagen einfach via Browser über das Web verwaltet werden. Per Browser richten die Endanwender in der Regel dann auch Features wie Rufweiterleitung, Presence und Anrufbeantworter selbst ein. Die Erfahrung hat gezeigt, dass das Web als Interface zur TK-Anlage bei den Endbenutzern meist auf eine größere Akzeptanz stößt als die Bedienung über Raute, Stern und kryptische Ziffernkombinationen. Allerdings hat die Verlagerung der Telefonie in die Cloud auch einen Nachteil: Es werden symmetrische Netzanbindungen mit hoher Ausfallsicherheit benötigt, denn sonst fällt bei einer Störung der Internet-Anbindung auch die Telefonie aus. Günstige DSL-Angebote, wie sie gerne zur Filialvernetzung genutzt werden, scheiden damit aus.

Eventuell gehört hierzulande bei der Telefonie aus der Cloud aber auch einem anderen Ansatz die Zukunft. Hersteller wie Avaya arbeiten an Hybridlösungen, bei denen die TK-Anlage physikalisch im Unternehmen bleibt, aber einzelne Applikationen in die Cloud ausgelagert werden. Das könnten etwa Anwendungen wie Presence und Faxdienste sein. Neben dem psychologischen Aspekt - Hersteller berichten immer wieder, dass gerade der deutsche Mittelstand im Gegensatz zu angloamerikanischen Firmen die TK-Anlage gerne im eigenen Haus hat - spricht für eine hybride Herangehensweise die Ausfallsicherheit. Bei einer Hybrid-Lösung kann beim Ausfall der Verbindung zur Cloud zumindest noch rudimentär telefoniert werden.

Fast schon ein Klassiker in Sachen Communications aus der Cloud ist die Verlagerung der E-Mail-Kommunikation. Klassiker deshalb, weil viele der heutigen Cloud-Lösungen vor kurzem noch als Hosted Mail-XY vermarktet wurden. Entsprechend groß ist hier mittlerweile das Angebot. Neben Microsoft mit einem Mail-Service in Office 365 (siehe Seite 10) oder IBM mit LotusLive Notes bieten viele Carrier sowie Internet-Hoster entsprechende Mail-Services an. So offeriert etwa 1&1 mit MailXchange eine Online-Kommunikationsplattform für E-Mail und Unified Messaging. Hinzu kommen die kostenlosen Angebote von Google und anderen. Bei aller Euphorie über die möglichen Einsparungen, die eine Mail-Lösung aus der Cloud bringt, sind die rechtlichen Gesichtspunkte nicht zu vernachlässigen. Wird das Angebot in der Cloud außerhalb Deutschlands oder gar der EU gehostet, ist eine Einhaltung der Compliance-, Governance- oder Datenschutzvorschriften nicht immer gewährleistet. In vielen Fällen kommt dann noch ein technisches Problem hinzu. Aufgrund der großen Entfernungen steigen oft die Latenzzeiten, so dass ein Arbeiten hinsichtlich der Reaktionszeiten kaum Spaß macht.

Vorsicht vor veralteter Technik

Weitere Fallstricke, die bei einem Angebotsvergleich zu berücksichtigen sind, liegen etwa bei der Postfachgröße oder der Frage, welche Programmversion der Provider auf seinen Servern verwendet. So existieren im Markt durchaus Angebote, die noch auf dem Exchange Server 2003 aufsetzen. Ein anderer Aspekt ist, ob der Cloud-Partner seinen Service für die User automatisch und ohne Mehrkosten auf die aktuellsten Releases updatet.

Die Verlagerung der E-Mails in die Cloud begleitet meist der Wunsch, zusätzliche Services ebenfalls aus der Cloud zu beziehen. So zieht ein aktuelles Exchange in der Cloud meist ein SharePoint-Engagement nach sich, wenn die Gruppenfunktionen der Plattform effizient eingesetzt werden sollen. Auf SharePoint aus der Cloud setzt beispielsweise der Mineralölkonzern Shell, der das Projekt gemeinsam mit T-Sys-tems betrieben hat.

Virtualisierte Collaboration

Wer mehr Kommunikationsdienste in die Cloud verlagern will, wird unter dem Stichwort Collaboration fündig. Sowohl Microsoft mit Office 365 als auch IBM mit LotusLive offerieren ihre Kommunikationssuiten als Cloud- Dienste, um Document Sharing, Conferencing, Messaging, Instant Messaging, Kontakt- und Termin-Management zu virtualisieren. Wie bei der E-Mail-Verlagerung sollten Anwender auch hier genau darauf achten, welches Cloud-Modell die Anbieter verfolgen. Ein Dilemma, das der Hersteller Cisco bei seiner Collaboration- und Conferen-cing-Lösung umgeht, indem er mit der "Collaboration Cloud" eine eigene Variante kreiert. Die Netzwerker verstehen darunter eine hybride Infrastruktur, die das Internet nur noch als Zufahrts- und Abfahrtsrampe nutzt, ansonsten den Verkehr aber in einem eigenen dedizierten Netz und angeschlossen Rechenzentren abwickelt. Auf diese Weise erlaubt "Webex" virtuelles Zusammenarbeiten und Meetings via Cloud, wobei sich auch mobile Teilnehmer per Smartphone zuschalten können. Allerdings müssen die Smartphone-User derzeit noch auf Videokonferenzen mit Webex verzichten.

Weiter ist in diesem Zusammenhang der Videokonferenzspezialist Vidyo zu nennen. Die Firma offeriert bereits Videoconferencing für mobile Devices wie iPhone und Android. Zudem ist das Unternehmen in zweifacher Hinsicht in Sachen Cloud aktiv. Mit der "Vidyo Router Cloud Edition" vermarktet Vidyo Equipment, das den einfachen Aufbau einer Multipoint-Infrastruktur erlaubt. Ferner locken die Amerikaner Carrier und Service-Provider mit der Option, Videoconferencing zu hosten. Damit bräuchten die Endanwender keine eigene Hardware mehr, sondern könnten eine Videoconference on Demand aus der Cloud heraus buchen, ähnlich wie wir dies bereits bei Telefonkonferenzen gewöhnt sind. In der Praxis konnte das Vidyo-System durchaus gefallen und durch seinen attraktiven Preis und die Funktionsvielfalt überzeugen. Allerdings erkauft sich der Anwender die Möglichkeit, Videokonferenzen bereits mit niedrigen Bandbreiten zu betreiben, damit, dass er keine von Tele-Presence gewohnten Qualitätsansprüche an das Bild haben sollte.

Einen noch sehr jungen Zweig der Communication aus der Cloud stellen unsere letzten Beispiele dar: Stand bislang die Virtualisierung von Kommunikationsservices im Vordergrund, so sieht der nächste Schritt eine Virtualisierung zentraler Netzkomponenten vor. Pionierarbeit hat hier beispielsweise die 2006 gegründete Meraki geleistet. Ihre Gigabit Router oder WLAN Access Points (siehe Test auf Seite 12) werden direkt aus der Cloud heraus gemanagt, so dass beim Enterprise-WLAN etwa der zentrale WLAN-Controller beziehungsweise Switch entfallen kann.

Netzhardware aus der Cloud

Während bei Meraki eher der Adminis-trationsaspekt in der Cloud im Vordergrund steht, verfolgt Avaya mit der Verlagerung von Komponenten in die Enterprise Cloud einen anderen Ansatz: Der User soll einfach per Fingerzug Konferenzen, Meetings, Telefonate oder Video-Calls mit "Flare" initiieren, ohne dass er sich Gedanken darüber machen muss, wo das Equipment zur Verfügung steht oder wie der Kommunikationspartner ausgestattet ist. Im Hintergrund agiert die Echtzeit-Communications-Plattform "Aura". Je nach strategischer Bedeutung für das Unternehmen können Komponenten oder Anwendungen in die Cloud ausgelagert oder vor Ort betrieben werden.

Fazit

Branchenkenner sind davon überzeugt, dass die Idee der Verlagerung zentraler Kommunikationskomponenten in die Cloud in den nächsten Jahren an Bedeutung gewinnt und wir erst am Beginn dieser Entwicklung stehen. Cloud Computing könnte zu einem grundsätzlichen Paradigmenwechsel beim Bau und Betrieb von IP-Kommunikationsstrukturen führen. Ansonsten, das zeigen unsere Beispiele, steht schon heute eine Vielzahl an interessanten Diensten aus der Cloud zur Verfügung. Wie bei allen Angeboten aus der Wolke ist auch bei Communications aus der Cloud zwischen Ersparnis und Sicherheitsrisiko abzuwägen.

von Jürgen Hill