Gute Stundensätze nur für Hochkaräter

06.10.2006
Von Ina Hoenicke
Die reinen Programmierjobs wandern in Billiglohnländer, die Anforderungen an die hiesigen Freiberufler steigen. Wer einen guten Stundenlohn aushandeln will, sollte über Spezial- und Branchenwissen verfügen.

Von Ina Hönicke*

Brennpunkt Honorar: Jeder muss seine Schmerzgrenze kennen

Ein Gespräch mit Thomas Götzfried, Vorstand des Beratungshauses Goetzfried AG, über Stundensätze, Margen und Freiberufler-Weisheiten.

CW: Erholen sich die Stundensätze der IT-Freelancer?

Götzfried: Ja, sie erholen sich in allen Bereichen. Für SAP-Spezialisten und Java-Entwickler muss heute mehr als noch vor einem Jahr bezahlt werden. Das steht zwar aktuell noch im Gegensatz zu der geringen Bereitschaft der Kunden, höhere Preise in diesem Bereich zu akzeptieren. Aber der Trend zeigt klar nach oben.

CW: Wie häufig mussten Sie schon einem Freiberufler den zuvor vereinbarten Stundensatz kürzen, weil der Endkunde sein laufendes Budget reduziert hat?

Götzfried: Zwischen 2001 und 2005 war das leider häufig erforderlich, in letzter Zeit aber nur selten.

CW: Wirken sich die Budgetkürzungen des Kunden auch auf Ihre eigene Marge aus?

Götzfried: Ja, das tut sie. Die Situation ist ohnehin unangenehm, denn schließlich sind die Konditionen vertraglich festgelegt. Wenn dann im Laufe des Einsatzes die Not so groß wird, dass der Kunde auf der Reduktion des Stundensatzes besteht, tragen wir davon mindestens die Hälfte aus unserer Marge.

CW: Wie viel bleibt für einen Freiberufler übrig, wenn der Vermittler 80 Euro herausgehandelt hat?

Götzfried: Das hängt von vielen Faktoren wie Volumen und den Leistungen des Vermittlers ab. Im Normalfall bewegt sich die Marge des Vermittlers zwischen zehn und 20 Prozent.

CW: Macht es für einen Freiberufler Sinn, sich zu einem niedrigeren Stundensatz anzubieten?

Götzfried: Ja, in einem vertretbaren Rahmen kann das Sinn machen. Geld ist nicht alles - das gilt auch für Freiberufler. Wenn das Projekt inhaltlich spannend, der Auftraggeber attraktiv oder der Einsatzort besonders gut zu erreichen ist, kann der Freiberufler einen Kompromiss eingehen. Jeder muss für sich entscheiden, wann seine Schmerzgrenze erreicht ist.

CW: Also stimmt die alte Freiberufler-Weisheit: Was nichts kostet, das taugt auch nichts?

Götzfried: In der Regel stimmt das. Aber ich würde mir die Regel nicht zum Prinzip machen, denn auch hier gibt es Ausnahmen. Grundsätzlich gibt es für eine bestimmte Leistung mit einer bestimmten Dauer an einem bestimmten Einsatzort einen Marktpreis. Wenn man bei einem Bewerber eine deutliche Abweichung nach unten hat, schaut man schon genau hin, warum er sich "unter Markt" verkauft.

Freiberufler und Personalvermittler atmen auf: Die lange Durststrecke scheint zu Ende. Doch die wirtschaftliche Lage hat ihre Spuren hinterlassen. Etliche der kleineren und mittleren Dienstleister mussten aufgeben - und die meisten selbständigen IT-Experten trauern noch heute den Honoraren der Boom-Jahre nach. Ob Freiberufler oder Projektanbieter, kaum ein Thema bewegt die Gemüter der Beteiligten mehr als die finanzielle Vergütung. Der Agenturdienstleister Gulp, der die Honorarvorstellungen der IT-Freiberufler seit Jahren unter die Lupe nimmt, taxiert diese auf durchschnittlich 67 Euro in der Stunde.

Festpreisprojekte nehmen zu

Ein weiteres Gulp-Umfrage-Ergebnis aus dem vergangenen Jahr zeigt, dass Externe es in der großen Masse bevorzugen, nach Aufwand bezahlt zu werden. Damit verringern sie, so die Hoffnung, ihr unternehmerisches Risiko, mehr Stunden als kalkuliert (und im Festpreis-Angebot vereinbart) leisten zu müssen - und zwar ohne Bezahlung. Im Gegensatz dazu stehen die Projektanbieter: Zwar votieren immer noch 57 Prozent ebenfalls für eine Bezahlung nach Aufwand - das sind aber 17 Prozent weniger als 2004. Etwa jeder vierte Projektanbieter setzt auf Festpreisprojekte und damit auf eine - zumindest in der Theorie - herrschende Planungssicherheit.

Für Freiberufler wird es immer schwieriger, Einzelverträge mit Auftraggebern abzuschließen und die Konditionen selbst auszuhandeln. Immer mehr IT- und Personalchefs arbeiten nur noch mit den Personalvermittlungsagenturen zusammen. Wolfgang Bartz, freiberuflicher Business Consultant für semantische Technologien aus Mainz, gehört zu jenen, die nicht nur gute Erfahrungen mit Vermittlern gemacht haben. Schon oft schmetterten die Agenturen seine Honorarvorstellungen als zu teuer ab. Darum suchte Bartz seinen eigenen Weg und trug sich in eine Datenbank ein. Um dort eher gefunden zu werden, gibt er als Honorar gern ungerade Zahlen ein - zum Beispiel 79 anstatt 80 Euro. Außerdem zieht der Freiberufler die Bezahlung pro Stunde dem Tagessatz vor. Seiner Erfahrung nach ist Letzterer oft ein verdeckter Versuch, die Kosten zu drücken.

Ein anderer IT-Profi, der indes anonym bleiben möchte, hat für seine Kollegen folgenden Tipp parat: Es sei wichtig, die Honorarforderung lediglich auf die jeweilige Projektanfrage anzugeben. Bei den allgemeinen Anfragen sollte man nur eine vage Spanne nennen, insbesondere wenn der Freiberufler mehrere Spezialisierungen anbietet, die am Markt unterschiedlich gehandelt werden. Zum Beispiel: "Kunden im Großraum München von X bis Y Euro - je nach Branche, Projektdauer und den geforderten Skills". Ringo Dressler, Geschäftsführer des Ingenieurbüros 3D in Merkers, fügt hinzu: "Sobald ein Einsteiger seinen Rahmenvertrag in Händen hält, sollte er sich auf jeden Fall Rat von erfahrenen Kollegen holen. Gerade bei unerfahrenen Leuten wird oft die Marge angehoben."

Wer mit Freiberuflern über Honorare spricht, kommt immer wieder auf die Marge, die für viele nicht greifbar ist. Zwei Drittel der von Gulp befragten Freiberufler berichten, dass nur jeder dritte Projektanbieter die von ihm einbehaltene Marge offen legt. Die IT-Experten, die von ihrem Projektanbieter darüber informiert wurden oder es durch Zufall entdeckt haben, sprechen von einer Spannbreite zwischen zehn und 30 Prozent. Insgesamt - darin sind sich Freiberufler und Projektanbieter nach Gulp-Erkenntnissen einig - seien die Margen in letzter Zeit indes gesunken. Während die Freiberufler aber nur eine geringe Abnahme konstatieren, berichten die Projektanbieter von einem signifikanten Sturz. Fest steht: Die selbständig arbeitenden Computerfachleute wünschen sich für die Zukunft deutlich mehr Transparenz in diesem Bereich.

Sinkende Margen

Thomas Matzner, Berater für Systemanalyse und Sprecher des Arbeitskreises Selbständige (AKS) in der Regionalgruppe München der Gesellschaft für Informatik, hält mangelndes Geschick bei den Honorarverhandlungen für das große Manko. Viele Freiberufler würden das eigene Licht unter den Scheffel stellen, die Honorarvorstellung am eigenen Geldbedarf anstatt am Marktwert der Leistung orientieren sowie auf schlechte Ratgeber hören. Wenn ein Vermittler dem Freiberufler die Obergrenze des möglichen Honorars nenne, habe er nichts über den Kunden oder den Freelancer gesagt, sondern nur über die Preise, die die Agentur beim Kunden erzielen könne. Matzner: "Das beweist nicht, dass andere Unternehmensberatungen nicht einen besseren Preis zahlen würden."

Seiner Meinung nach haben die meisten Vermittler mit den Einkaufsabteilungen ihrer Großkunden feste Honorarsätze vereinbart. Wenn beispielsweise beim selben Kunden eine Vermittlungsagentur 120 Euro pro Stunde für einen erfahrenen Entwickler und eine zweite Agentur 100 Euro für den Entwickler erzielt haben, dann würden diese Sätze für eine bestimmte Zeit gelten und nicht bei jedem konkreten Projekteinsatz nachverhandelt. Matzner: "Wenn nun beide Agenturen 20 Prozent Marge einstecken, dann erhält der eine Freelancer 80 und der andere 96 Euro. Das hat mit Leistung wenig zu tun." Deshalb empfiehlt er seinen Kollegen, sich auf die Vermittler zu konzentrieren, die hochwertige Leistungen anbieten und beim Endkunden hohes Ansehen genießen.

Neben Berufserfahrung, Verkaufstalent und entsprechendem Wissen kommt laut einer Umfrage bei Projektanbietern der Branche eine entscheidende Bedeutung zu. Mario Henzler, Direktor Marketing/Business Development bei der GFT Technologies AG in Stuttgart, ist überzeugt, dass die Honorare wieder steigen: "Das gilt aber nur für IT-Freiberufler mit Spezialwissen." Auf der Wunschliste ganz oben ständen Softwareentwickler, die in der SAP-Welt, Objektorientierung oder im Bereich Embedded Systems fit sind. Henzler: "Gute Chancen bietet auch der Bankenbereich. Wer hier Kenntnisse über Basel II oder Sarbanes Oxley vorweisen kann, kann ein gutes Honorar aushandeln."

Die großen Honorarunterschiede bereiten sowohl Freiberuflern als auch ihren Vertretern Kopfschmerzen. Das ist auch der Grund, warum beispielsweise der Bundesverband Selbständiger Informatiker (BVSI) keine offiziellen Empfehlungen gibt. Der BVSI-Vorsitzende Dirk Bisping weist darauf hin, dass die Preise selbst innerhalb der SAP-Welt sehr unterschiedlich seien. So sei ein Customer-Relationship-Management-(CRM-)Berater teurer als sein Kollege, der sich auf Standardmodule spezialisiert hat. Bisping: "Zudem kommt es auf das Verkaufstalent an. Wenn sich ein normaler SAP-Berater schlecht verkauft, liegt er bei 65 Euro. Mit Verhandlungsgeschick kann er auf 80 Euro kommen."

Architekt müsste man sein

Nach den Erfahrungen des Verbands erhält der normale durchschnittliche Anwendungsentwickler - egal ob .NET oder Java - zwischen 55 und 60 Euro. Wenn ein Java-Entwickler noch dazu ein guter Architekt sei, könne er zwischen 60 und 80 Euro verlangen. Besonders viel verdienen indes würden die SAP-Experten, die im Bereich Controlling tätig sind und über betriebswirtschaftliches und möglicherweise juristisches Wissen verfügen. Für diese Profis würden die Auftraggeber zwischen 90 und 120 Euro hinblättern. Bisping: "Konzerne sind durchaus bereit, für einen wirklich guten Mann bis zu 160 Euro zu zahlen. Bei einem mittelständischen Unternehmen sieht das anders aus."

Respektable Honorare zahlen die Auftraggeber ebenfalls im Bereich Serviceorientierte Architekturen (SOA). In der "MeinWebProfil-Datenbank" beispielsweise sind 89 Projekte registriert, die relevante Skills wie beispielsweise WebSphere, Cics, iPlanet, Integrationsplattform oder Enterprise Application Integration enthalten.

Es geht auch ohne Agentur

Als durchschnittlicher Stundensatz ergibt sich dort 75 Euro. Bei der Umsetzung von Integrationsprojekten muss der Freiberufler die gleichen fachlichen Voraussetzungen erfüllen wie der interne Mitarbeiter: Teamfähigkeit, Kooperationsbereitschaft und die fachlichen Qualifikationen. Einen Durchschnittsstundenlohn von 73 Euro verzeichnet die Datenbank auf Basis von 130 Projekten auch im Bereich Information-Lifecycle- Management (ILM). Für ILM sind Qualifikationen rund um Speicher-Management gefragt. Gulp.de notiert unter "Berater" mit fachlichem Schwerpunkt ILM einen Stundensatzschnitt von 74 Euro auf der Basis von knapp 2000 ausgewerteten IT-Freiberufler-Profilen. Die Jobs der "normalen" Programmierer gehen verstärkt in die Billiglohnländer - die Zukunft gehört den qualifizierten IT-Freelancern, die noch dazu teamfähig und hochmotiviert sind. Ruth Stubenvoll, selbständige Marketing-Beraterin in München, vertritt eine andere These: "Die Hochkaräter unter den Freelancern akquirieren nach wie vor direkt. Wer fachlich topfit ist und sich gut vermarkten kann, braucht keine Agentur." (am)