Anwender wollen für ihre Plattform kämpfen

HP lässt e3000-Server sterben

23.11.2001
MÜNCHEN (CW) - Hewlett-Packard wird seine Server-Familie "e3000" innerhalb der nächsten fünf Jahre auslaufen lassen. Anwender des Modells, das unter dem proprietären Betriebssystem "MPE/ix" läuft, sollen beim Umstieg auf HP-UX, Linux oder Windows-Plattformen unterstützt werden. Viele Kunden sind damit nicht zufrieden.

Hewlett-Packard will die Hardware bis zum 31. Oktober 2003 weiterentwickeln und vermarkten. So werden beispielsweise neue Prozessoren der "PA-Risc"-Familie auch in der 3000-Klasse Platz finden. Auch neue Speichertechnologien wollen die HP-Entwickler für die weit verbreitete Server-Familie zur Verfügung stellen. Die Betriebssystem-Plattform MPE/ix soll darüber hinaus bis Ende 2006 unterstützt werden. Damit hätten die Kunden genug Zeit, ihre Anwendungen "geschmeidig und problemlos" auf andere HP-Plattformen unter HP-UX, Linux oder Windows zu migrieren, so die Einschätzung der HP-Verantwortlichen.

Es habe sich nicht mehr gelohnt, die Plattform weiterzuentwickeln, verlautete aus HP-Kreisen. So seien zwar die Hardwarekomponenten der 3000er Familie identisch mit der HP-9000-Serie. Die gemessen am Gesamtumsatz geringen Einnahmen rechtfertigten jedoch nicht die aufwändige zusätzliche Programmierarbeit an dem Betriebssystem MPE/ix. Deshalb komme auch eine Portierung auf die gemeinsam mit Intel geschaffene "Itanium"-Plattform nicht mehr in Frage, obwohl HP-Manager diese Lösung noch im letzten Jahr favorisiert hatten.

HP sind Umsätze zu niedrigDie Einnahmen aus dem HP-3000-Geschäft resultieren laut Einschätzung von Insidern in erster Linie aus dem Verkauf der Maschinen. Umsätze mit Wartung seien dagegen kaum zu erzielen, weil die Rechner seit Jahren extrem stabil und zuverlässig laufen. Die Argumentation des kalifornischen IT-Pioniers kann Johannes Fritz, Leiter Systemberatung bei JF-Infosys, nachvollziehen. Der Anteil des HP-3000-Geschäfts am Gesamtvolumen sei zu gering gewesen. Allerdings, so schränkt er ein, habe der in Palo Alto ansässige Hersteller in diesem Segment noch richtig Geld verdient. Von den Preisen, die hier erzielt wurden, hätten Anbieter in anderen Bereichen nur träumen können.

"Trotzdem tut den Kunden das Ende der HP 3000 weh", so Fritz. Die Nutzer dieser seit 1972 existierenden Plattform bildeten eine eingeschworene Gemeinschaft. Viele hätten über die Jahre sogar eine Art persönliche Bindung zu ihrer Rechnerumgebung entwickelt. Entsprechend kritisch gehen andere Anwender mit HP ins Gericht. Man habe sich immer für das Modell und damit HP stark gemacht, und jetzt lasse der Hersteller die Anwender im Regen stehen, beschweren sich eine Reihe von Betroffenen.

Für Johann Schneider, der die MPE-Applikationen bei der EBV-Elektronik betreut, kam die HP-Entscheidung jedoch keineswegs aus heiterem Himmel. Man habe diesen Schritt geahnt, deshalb arbeite die DV-Abteilung bereits seit eineinhalb Jahren an der Portierung der HP-3000-Umgebung. Anfang 2005 will Schneider das Projekt abschließen. Es sei aber nicht einfach, mit einer großen Unternehmensapplikation plus Datenbank auf eine neue Plattform zu wechseln. Erschwerend komme hinzu, dass der Wechsel im laufenden Betrieb erfolgen muss. In welcher Umgebung die Applikationen künftig arbeiten werden, steht noch nicht fest. Zur Auswahl ständen HP-UX oder Windows.

Nach Ansicht von Felix Burger von der B+B Unternehmensberatung ist der Migrationsaufwand für HP-3000-Anwender schwer einzuschätzen. Hier müsse man genau differenzieren. Wer Standardsoftware einsetze, dürfte in aller Regel keine Probleme mit der Portierung haben, da die Softwareanbieter ihre Pakete meist für verschiedene Plattformen anbieten. Wer dagegen eigene Software oder individuelle Erweiterungen zur Standardsoftware benutze, müsse mit einem höheren Aufwand rechnen. Anwender müssten zunächst den Cobol-Code für die HP 3000 in einen plattformunabhängigen Cobol-Code umsetzen. Erst im nächsten Schritt könne dann die eigentliche Portierung auf eine andere Plattform erfolgen. Dennoch sollten die fünf Jahre auch für die Härtefälle reichen, prognostiziert Burger.

Wie viele Anwender von der Entscheidung, die 3000er Linie sterben zu lassen, in Deutschland betroffen sind, darüber kann nur spekuliert werden. Aus HP-Kreisen sind keine Zahlen zu erfahren. Man publiziere generell keine Verbreitungsangaben, heißt es lapidar. Insider berichten jedoch, dass bis zu 3000 Unternehmen mit den Maschinen arbeiten.

Migration wird auf Partner abgewälztHP werde die Migrationsbemühungen der Kunden mit eigenen Ressourcen unterstützen, verspricht Horst Kanert, Marketing Manager für die HP-3000-Sparte in Zentraleuropa. So würden Mitarbeiter vor Ort beziehungsweise Entwickler im indischen Bangalore den Kunden tatkräftig unter die Arme greifen. Außerdem ständen auch die Partner bereit.

Diese Einschätzung kann Fritz von JF Infosys nicht teilen. HP werde den Löwenanteil der Arbeit auf die Partner abwälzen, wie dies bereits in den letzten Jahren meist der Fall gewesen sei. "Nach dem Motto: Macht ihr mal die Umstellung. Wir haben sowieso keine Leute dafür." Einen direkten Draht zwischen HP und den Anwendern gebe es schon seit Jahren nicht mehr, kritisiert Fritz.

Ihren Zorn über das Ende der HP 3000 äußern viele Kunden in Internet-Foren. HP verschleudere mit dieser Entscheidung Millionen, schimpft ein IT-Dienstleister. Der Hersteller sei für ihn nicht mehr erste Wahl. Wer könne garantieren, dass mit HP-UX nicht das Gleiche geschehe? Ein anderer Diskutant wirft den HP-Verantwortlichen vor, das Geld seiner Kunden zu vernichten. Der allgemeine Trend, "lieber Schrott zu verkaufen als einmal etwas haltbares, scheint sich fortzusetzen".

In US-amerikanischen Foren sind ebenfalls enttäuschte Kommentare zu lesen. Man werde Kunden nicht empfehlen, auf andere HP-Produkte zu wechseln, heißt es dort. Das Vertrauen in den Hersteller sei dahin. Die HP-Verantwortlichen reihten sich in die willenlose Gefolg-schaft Microsofts ein. Einige Anwender fordern offen zum Boykott von HP-Produkten auf. "Dies ist nicht nur das Ende der HP 3000, sondern auch das Ende von HP."

Ernst meint es offensichtlich Tim O''Neill, Administrator im Rechenzentrum des US-Verteidigungsministeriums. "Wenn die HP-Leute denken, dass wir unsere 3000er Systeme durch HP-9000-Rechner ersetzen, liegen sie falsch", droht er. "Wenn HP die 3000er Familie eliminiert, eliminieren wir unsere 9000er Reihe."

Um die aufgeheizte Stimmung zu beruhigen und die HP-3000-Umgebung doch noch zu retten, fordern viele Anwender, die Plattform ähnlich wie Linux zu einem Open-Source-System zu machen. Laut HP-Manager Kanert werde diese Option intern diskutiert. Die Version "MPE-V" aus dem Jahr 1988 gebe es bereits als Open-Source-Variante. Diese habe man den Kunden zugänglich gemacht, um sie bei der Umstellung auf das Jahr 2000 zu unterstützen. Allerdings müsse man zunächst die rechtlichen und geschäftlichen Konsequenzen prüfen. So dürften HP aus einem solchen Schritt keine Verpflichtungen zur Pflege oder Betreuung der Plattform erwachsen.

Ob diese Strategie in Deutschland Erfolg verspreche, bezweifelt Fritz. HP werde in dieser Sache so schnell keine Entscheidung treffen. Außerdem fehle eine Leitfigur - wie Linus Thorvalds für Linux - , die die Fäden der Entwicklung zumindest im Hintergrund in der Hand hält. Die Kunden seien im Augenblick mit konkreteren Problemen beschäftigt. Kaum einer sei auf einen Systemwechsel eingestellt. In einer Zeit, in der die IT-Bugdets vieler Firmen auf dem Prüfstand stehen, tun unerwartete Ausgaben, die schnell in die Hunderttausende gehen können, besonders weh. (ba)

Technik der HP 3000Die aktuelle e3000-Hardware basiert auf der "A"- und "N"-Klasse von HPs 9000er Linie. Die Ein- bis Vier-Wege-Maschinen arbeiten mit "PA-8500"- beziehungsweise "PA-8600"-Prozessoren, die Taktraten zwischen 110 und 550 Megahertz aufweisen. Die Vorgängersysteme mit der "PA-7000"-Familie und dem "PA-8000"-Chip skalieren bis zu zwölf CPUs. Im nächsten Jahr sollen die 3000er Rechner mit dem auf 750 Megahertz getakteten "PA-8700"-Chip ausgerüstet werden.

Das Betriebssystem "MPE/ix" liegt aktuell in der Version 7.0 Express Release 1 vor. Mitte nächsten Jahres soll die Version "MPE/ix 7.5" folgen. Hier wird unter anderem Support für native Fibre-Channel-Anbindung integriert. Die Unterstützung für "MPE 6" läuft im Oktober des kommenden Jahres aus. Release 6.5 wird bis Ende 2003 unterstützt. Der Support für die letzten Varianten 7.0 und 7.5 endet im Dezember 2006.