"Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser", sagte Lenin einst, und der Genosse wusste, wovon er sprach. Unter Revolutionären ist eine gewisse Paranoia sicher nützlich. Unternehmen sollten dagegen einen gänzlich anderen Weg gehen, jedenfalls sagt das Gartner. Die IT-Analysten fordern in ihren "Top Security Trends", mehr als bisher darauf zu vertrauen, dass Mitarbeiter "sich im Umgang mit Unternehmensdaten schon richtig verhalten werden."
Was auf den ersten Blick wie ein vernünftiger, sozialer Ansatz wirkt, ist in Wahrheit eine Kapitulation. Vor den vielen Geräten und den noch mehr Anwendungen, die Angestellte jeden Tag mit ins Büro bringen und sie dort wie selbstverständlich auch benutzen wollen. Und Gartner macht aus dieser Kapitulation auch gar kein Hehl. "Die Einrichtung von vollständig digitalisierten Arbeitsplätzen sorgt immer mehr dafür, dass die IT-Abteilungen die Kontrolle über Endgeräte, Anwendungen, Server und das gesamte Netzwerk verlieren", so Tom Scholtz, Gartner Fellow und Vice President. Und: "Durch die schiere Menge an Endgeräten und Zugriffspunkten, die der Digital Workplace mit sich bringt, sowie die immer intelligenteren Cyber-Attacken, werden die klassischen vorbeugenden und kontrollierenden Methoden der IT-Security zunehmend ineffektiv."
In kontextbasierte Sicherheitswerkzeuge investieren
Scholtz´ Analyse der Sicherheitslage dürfte vielen Verantwortlichen den Angstschweiß auf die Stirn treiben. Aber weil er für Gartner arbeitet, liefert er die Lösung des Problems natürlich gleich mit: "An einem Arbeitsplatz, der von Consumer-Hardware bestimmt wird, müssen sich Security und ihre Kontrolle auf die Informationsschicht, also auf die Inhalte, konzentrieren."
Klingt ebenso einfach wie einleuchtend. Die Botschaft: Das Gerät ist egal, Hauptsache, der Mitarbeiter stellt mit den Daten darauf keinen Unsinn an. In der Praxis müssten die Unternehmen mehr als bisher in kontextbasierte Sicherheitswerkzeuge investieren, die dann nicht nur für die interne IT zum Einsatz kommen, sondern auch dort, wo es Türen nach außen gibt.
Also quasi überall, vor allem an den virtuellen Schnittstellen zwischen Privat- und Arbeitsleben. Gartner schreibt dazu: "Der Ansatz des Digital Workplace beinhaltet, dass User mehr als bisher selbst entscheiden können, wie sie Technologien und Informationen nutzen wollen. Und das bedeutet, dass Arbeitgeber mehr darauf vertrauen müssen, dass ihre Angestellten vernünftig und angemessen mit Unternehmensdaten umgehen werden. Gartner glaubt, dass der Erfolg des Konzepts ‚Digital Workplace‘ entscheidend davon abhängt, dass wir dem User stärker vertrauen."
Kontrolle 3.0 - People-centric Security
Allerdings, und an dieser Stelle ist Gartner doch nicht so sehr weit entfernt vom Genossen Lenin, dürfen die Verantwortlichen ihr Vertrauen ruhig mit ein wenig Kontrolle unterfüttern. Und zwar, um im Bild zu bleiben, mit einer Art "Kontrolle 3.0". Gartner-Analyst Tom Scholtz: "Zusätzlich zu systematischen Schulungen, die nachprüfbare Verhaltensregeln vermitteln, sollten Security-Verantwortliche ihre Fähigkeit ausbauen, mit unterschiedlichen Abteilungen zusammenzuarbeiten. Ziel ist dabei, Arbeitsplatzbeschreibungen und Belohnungssysteme so zu modifizieren, dass sie die angestrebten Security-Ziele unterstützen."
- 1. Produktiv und Glücklich? Von wegen!
BYOD hatte versprochen, Angestellte glücklicher und produktiver zu machen. Schließlich suchen sie sich ja jetzt selbst aus, mit welchen Gadgets sie arbeiten wollen. Außerdem haben sie das Gerät ihrer Wahl immer dabei, können so auch abends und am Wochenende arbeiten. Das ist die eine Seite. Die andere: Viele nutzen ihr Smartphone auch im Büro allzu oft, um Facebook zu checken oder Tetris zu spielen. - 2. Datendiebstahl via SMS
Wer zu Konkurrenz wechseln will, hat leider gar nicht so selten den Wunsch, ein paar Infos aus der alten Firma als Willkommensgeschenk mitzubringen. So auffällig wie auf dem Bild muss der Klau dabei nicht vonstatten gehen. Bei modernen Smartphones mit Swype oder Spracherkennung lässt sich Datentransfer per Textmessage realisieren. Auf die Schliche kommt man diesem Klau kaum, weil Textnachrichten in aller Regel nur auf dem Phone und nirgendwo sonst im Unternehmensnetzwerk gespeichert werden. - 3. Nicht jeder Verlust wird gemeldet
Heute hat die zentrale IT fast immer einen Ferndelete-Knopf, um wenigstens die Daten auf verlorenen Smartphones zu vernichten – wenn schon das Gerät selbst nicht wieder auftaucht. Das Problem: Der Admin kann nur dann am Panikhebel ziehen, wenn er von dem Verlust weiss. Viele Mitarbeiter aber verlegen sowieso chronisch ihr Gadget – und wundern sich nicht darüber, wenn sie das Ding ein paar Tage nicht sehen. Dann wird es gesucht, die Familie befragt, etc. So vergehen manchmal Wochen, bis der Diebstahl gemeldet wird. Bis dahin sind die Daten längst von Dritten ausgelesen. - 4. Kommunikation wird teurer statt billiger
Ein zentrales Versprechen im Zusammenhang mit BYOD ist, dass Unternehmen viel Geld sparen können, weil sie weniger eigene Mobilfunkverträge bezahlen müssen. Tatsächlich tritt der gegenteilige Effekt ein. Wie die Aberdeen Group in einer Studie festgestellt hat, kostet BYOD 33 Prozent mehr im Vergleich zu ausschließlich Firmeneigenen Geräten. Grund: Der Aufwand für Management, Abrechnung und Kostenkontrolle externer Geräte kostet deutlich mehr als ausschließlich eigene Verträge kosten würden. - 5. Alte Handys verschwinden - und kosten weiter
Unternehmen, die eine BYOD-Strategie aufsetzen, binden in der Regel zuerst die mitgebrachten Privat-Smartphones ein und kündigen dann die Verträge für die zuvor genutzten, vorhandenen Firmen-Handys. Die landen anschließend unbeachtet in irgendeiner Schublade. Ob die Kündigungen alle ankommen und wirksam werden, überprüft in der Regel niemand. Deshalb belastet ein Teil der 'Zombie-Phones' oft weiterhin das Budget. - 6. Mehr Misstrauen auf beiden Seiten
Eigentlich sollte BOYD Angestellte und Chefs näher zusammenbringen, Neinsager und Nörgler besänftigen, indem man ihnen mehr Freiräume und Wahlmöglichkeiten einräumt. Zum Beispiel die, welches Handy sie benutzen wollen. Tatsächlich hat aber die Verbreitung des One-Fits-All-Mobiltelefons eher zu mehr Misstrauen geführt und nicht zu weniger: Angestellte müssen rigide Vereinbarungen unterschreiben und fürchten, dass der Chef ihre Privatsphäre kontrolliert. Und Unternehmen trauen den Mitarbeitern bezüglich des sorgsamen Umgangs mit Firmendaten genauso wenig. - 8. Immer im Einsatz?
BYOD lässt die Grenzen zwischen Arbeits- und Freizeit endgültig verschwimmen. Was aber nicht heißt, dass Arbeitgeber ständige Verfügbarkeit von ihren Leuten erwarten sollten: Ein Gericht in Chicago verurteilte die Stadt zur Nachzahlung von mehreren Millionen Dollar Überstundenvergütung an 200 Polizisten, weil diese dazu verpflichtet worden waren, ohne zusätzliche Bezahlung in der Freizeit mit ihren Blackberrys E-Mails zu beantworten und Anrufe anzunehmen. - 9. Meistgehasst: Private Cloud-Services
Mal eben ein Foto vom Flipchart gemacht, in die Dropbox geschoben, fertig. Sowas muss nicht in böser Absicht geschehen, sondern zum Beispiel in der Absicht, zu Hause noch an wenig an betreffendem Thema weiterzuarbeiten. Die meisten CIOs hassen Dropbox, und das mit gutem Grund. Denn ganz verhindern können sie den Datentrasfer in die unbekannt Cloud nicht. - 7. Was heißt schon privat?
Wenn ein BOYD-Regelwerk aufgestellt und von allen unterschrieben ist, sind nicht immer alle Probleme gelöst. Die kalifornische Stadt Ontario zum Beispiel feuerte den Polizisten Jeff Quon, weil die Verantwortlichen auf seinem Pager private Messages gefunden hatte, die sie an seiner Loyalität zweifeln ließen. Quon klagte, unter anderem mit dem Argument, dass ein Vorgesetzer ihm versichert hatte, die Nachrichten auf dem Pager würden nicht überwacht. Die Richter gaben der Stadt trotzdem Recht. - 10. Super-Gau: Anruf von der Presse
Stellen Sie sich vor, der Leiter Ihrer Rechtsabteilung lässt sein Smartphone nach dem fünften Hellen in seiner Stammkneipe liegen, und am nächsten Morgen haben Sie einen nicht ganz unbekannten Journalisten in der Leitung, der sagt, er habe was läuten hören von geplanten Entlassungen und was denn da dran sei....Natürlich kann auch das Firmenhandy verloren gehen, aber das nehmen viele Angestellte aus gutem Grund nicht mit in die Kneipe.
Den Ansatz nennt Gartner PCS - People-centric Security. Bei ihm beziehen sich Regeln nicht auf Geräte oder Applikationen, sondern auf das generelle Sicherheitsverhalten des einzelnen Mitarbeiters, völlig unabhängig davon, welche Technik er nutzt.
Soll sich die Rechtsabteilung doch kümmern
Unternehmen, die Gartners Ansatz folgen, verlagern die Sicherheitsthematik teilweise von der IT- in die Rechtsabteilung. Schließlich bedeutet People-centric Security, trotz großer Betonung großen Vertrauens, nichts anderes, als den Verstoß gegen Regeln mit Sanktionen zu bedrohen.
Was arbeitsrechtlich zu Problemen führen kann, und zwar nicht nur in Deutschland, sondern auch in den nicht eben für rabiaten Angestelltenschutz berühmten USA. Heather Egan Sussmann, Arbeitsrechtlerin in der internationalen Kanzlei McDermott Will & Emery mit Hauptsitz in Chicago, kennt mehrere Fälle, in denen Unternehmen bei der Definition von Verhaltensregeln zu weit gegangen sind. Bisher bezogen sich diese zwar vor allem auf den Umgang mit Sozialen Medien, aber solche Konflikte könnten ebenso gut BYOD-Regeln betreffen, so die Anwältin.