Digitale Lernassistenten

Wie KI die Weiterbildung verändert

19.07.2024
Von 
Sabine Prohaska ist Inhaberin des Beratungsunternehmens seminar consult prohaska, Wien, das unter anderem Online- und Blended-Learning-Trainer ausbildet. Die Autorin mehrerer Fachbücher unterstützt Unternehmen bei Entwickeln einer neuen Lernkultur in ihrer Organisation (www.seminarconsult.at).
Digitale Assistenten revolutionieren das Lernen, weil sie es jedem ermöglichen, zeit- und ortsunabhängig mit einem persönlichen digitalen Tutor zu arbeiten. Allerdings sind noch viele didaktische Fragen ungeklärt.
Künftig ?werden digitale Lernassistenen das Erstellen sowie Analysieren von Trainingsunterlagen und Begleiten der Lernenden im Schulungsprozess übernehmen.
Künftig ?werden digitale Lernassistenen das Erstellen sowie Analysieren von Trainingsunterlagen und Begleiten der Lernenden im Schulungsprozess übernehmen.
Foto: VectorMine - shutterstock.com

Ein mögliches Weiterbildungsszenario sieht so aus: Die Mitarbeitenden eines Unternehmens organisieren künftig ihr Lernen mithilfe digitaler Lernassistenten weitgehend selbst - bequem und bedarfsorientiert. Ergänzend dazu finden Austauschrunden in Sachen Erfahrung statt, die Trainer moderieren. Damit wäre das klassische Berufsbild des Trainers als Wissensvermittler passe. An seine Stelle würde das eines Lernbegleiters treten, der Coaching-Skills braucht.

Vom Fachwissen zur KI-Kompetenz

Derzeit gibt es noch keine aussagekräftigen Studien über den praktischen Einsatz von KI im Weiterbildungsbereich. Klar ist jedoch, dass es in der Ära der Künstlichen Intelligenz immer wichtiger wird, den Fokus der (Weiter-)Bildung von der reinen Wissensvermittlung hin zur Schulung im Umgang mit der KI zu verlagern, denn: Die traditionellen Lehrmethoden, die primär auf eine Weitergabe von Fachwissen abzielen, bereiten die Lernenden nicht mehr adäquat auf die Herausforderungen in der modernen Arbeitswelt vor.

Optimistisch betrachtet können sich die Mitarbeitenden künftig beim Weiterbilden weitgehend darauf konzentrieren,

  • ihre Kompetenz in der Problemlösung zu entwickeln sowie

  • ihre Fähigkeit, die KI-Tools effektiv zu nutzen, die sie beim Lernen und Arbeiten unterstützen.

Und bei ihrer Arbeit könnten sie sich hauptsächlich auf deren komplexere und kreativere Aspekte konzentrieren, weil ihnen KI-Systeme viele (Teil-)Aufgaben abnehmen. Studien zeigen jedoch: Die KI schneidet in Sachen Kreativität - zumindest bei den klassischen Kreativitätstests - zuweilen sogar besser ab als der Mensch. Deshalb ist die Frage noch weitgehend ungeklärt, wie sich künftig die Arbeitsteilung zwischen Menschen und KI real gestaltet.

Der KI-Einsatz in der Weiterbildung wirft viele didaktische Fragen auf. So zum Beispiel, wie künftig Tests durchgeführt werden. Zurzeit stehen die Dozenten vor der Herausforderung, passende Use-Cases für den KI-Einsatz in ihrem Arbeitsbereich zu identifizieren, denn aktuell werden zwar viele neue Tools vorgestellt, es fehlen aber zumeist noch Fallbeispiele, wie diese effektiv in der Aus- und Weiterbildung genutzt werden können. Der Grund: Die im Bildungsbereich tätigen Personen werden von der Tool-Entwicklung überrollt. Sie kommen kaum nach, die Tools auszuprobieren und zu reflektieren, wie sie diese effektiv nutzen könnten.

KI-Einsatz im Coaching-Bereich

Im Coaching-Bereich werden künftig vermutlich verstärkt KI-Chatbots zum Einsatz kommen. Diese Programme sind heute schon zu einer menschenähnlichen Kommunikation fähig. KI-Coaching-Bots können zum Beispiel im Vorfeld des Coachings eingesetzt werden, um die Anliegen der Klienten zu präzisieren. Sie können - mit Coaching-bezogenen Informationen und Fallbeispielen gefüttert - zudem als ständig verfügbare Ansprechpartner der Coachees im Lern- und Entwicklungsprozess fungieren.

Derzeit fehlen den Bots jedoch noch die menschliche Empathie und Fähigkeit, Gefühle zu verstehen. Deshalb haben sie aktuell noch primär eine den Coach bzw. Coachingprozess unterstützende Funktion. Keinesfalls sollten die Profis im HR-Bereich aber die Lernfähigkeit der KI-Systeme unterschätzen. Erste diesbezügliche Studien zeigen: KI-Systeme können heute bereits die non-verbale Kommunikation von Menschen lesen.

Beim Einschätzen ihrer Körpersprache sind sie meist ebenso gut wie Coaches; beim Wahrnehmen solcher Micro-Expressionen wie flüchtiger Gesichtsausdrücke, die zum Beispiel solche Emotionen wie Angst, Trauer, Freude und Überraschung signalisieren, oft sogar präziser. Von gesicherten Befunden kann man in diesem Kontext aber noch nicht sprechen.

KI-Anwendung im HR-Bereich

Im HR-Bereich finden zunehmend auch KI-basierte Spracherkennungssysteme Anwendung, die aus der Sprache von Menschen Rückschlüsse auf deren Persönlichkeitsmerkmale ziehen. Firmen wie Precire entwickeln Softwareprogramme, die sprachliche Muster analysieren, um etwa in Bewerbungsverfahren Persönlichkeitsprofile zu erstellen.

Diese Analysen basieren auf einem Datensatz psychologischer Tests und zugehöriger Sprachproben, wobei spezifische Wortverwendungen und -kombinationen bestimmten Persönlichkeitstypen zugeordnet werden. Diese Nutzung wird kritisch gesehen. Bemängelt wird unter anderem, dass aus psychologischer Sicht nur eine schwache Verbindung zwischen Sprachgebrauch und Persönlichkeitseigenschaften besteht.

Dessen ungeachtet nutzen immer mehr Unternehmen solche Tools in ihren Personalauswahlverfahren, da eine entsprechende Vorauswahl der Bewerber Zeit und Geld spart. Vereinzelt kommen sogar bereits Systeme zum Einsatz, die außer der Stimme und Sprache der Bewerber per Video auch deren Haltung, Gestik und Mimik analysieren.

Aktuell wird eine Flut von KI-Systemen und -Tools auf den Markt gebracht. Ein Ende der Neuerungen ist nicht in Sicht. Die KI-Entwicklung schreitet so schnell voran, dass es für Weiterbilder nahezu unmöglich ist, mit ihr Schritt zu halten. Deshalb sollten die Unternehmen ihren HR-Bereichen die nötigen Ressourcen zur Verfügung stellen, um mit der KI zu experimentieren und sich mit den neuesten Entwicklungen auseinanderzusetzen.

Wird die KI die Aus- und Weiterbilder ersetzen?

Erste Studien zeigen, die Kooperation Mensch-KI führt im Betriebsalltag oft zu besseren Arbeitsergebnissen. Sie kann zudem eine Arbeitserleichterung für die Mitarbeitenden sein; sie kann aber auch die menschliche Arbeitskraft überflüssig machen. Deshalb ist das Thema Vertrauen beim künftigen KI-Einsatz in Unternehmen nicht nur im Weiterbildungsbereich von entscheidender Bedeutung: Erleben die Mitarbeitenden die Tools als Unterstützung oder als Kontrollinstanz oder gar existenzielle Bedrohung? Deshalb hängt es stark vom Vorgehen der Unternehmen beim Einführen der KI-Systeme ab, inwieweit diese bei den Mitarbeitenden auf Akzeptanz stoßen und KI sowie Personal kooperieren.

In vielen Bereichen der Unternehmen nehmen heute bereits KI-Systeme zuvor menschliche Tätigkeiten wahr. Im Bereich Aus- und Weiterbildung ist es zurzeit jedoch noch unklar, inwieweit die KI-Technik Auswirkungen auf die Beschäftigungssituation der in ihm tätigen Personen haben wird. Klar ist aber bereits, ihre Rolle wird sich wandeln, unter anderem, weil künftig

  • KI-Tools gewisse (Teil-)Aufgaben von ihnen wie das Erstellen und Analysieren von Trainingsunterlagen und Begleiten der Lernenden im Lernprozess partiell übernehmen werden und

  • sich mit Hilfe der Digitaltechnik, zu der auch die KI zählt, ganz neue Lernarchitekturen schmieden lassen.

Europa ist kein KI-Trendsetter

Dabei gilt es auch, über den sprichwörtlichen Tellerrand hinauszuschauen, denn Europa liegt im Bereich der KI-Nutzung beispielsweise weit hinter den USA zurück. Generell gilt: Während man in Europa, wenn es um den Einsatz der KI geht, meist eher auf die Risiken blickt, versuchen die USA deren Potenzial voll auszuschöpfen. Deshalb lohnt sich oft ein Blick über den "großen Teich", um ein Gespür dafür zu entwickeln,

  • welche Veränderungen noch auf uns zukommen und

  • was zu tun ist, damit unsere Arbeit aus Unternehmenssicht auch künftig relevant und effektiv ist.