Siemens veräußert die IT-Sparte SIS für eine Gesamtsumme von 850 Millionen Euro an Atos Origin. Nur 186 Millionen Euro zahlt der neue Eigentümer in bar, den Rest begleicht Atos Origin in Wandelanleihen und Anteilsscheinen. Damit steigt Siemens bei dem französischen Dienstleister mit 15 Prozent ein und bekommt einen Sitz im Aufsichtsrat. Das finanzielle Engagement des deutschen Konzerns ist für die kommenden fünf Jahre festgeschrieben.
Die zweite wesentliche Komponente, um die Partner mittelfristig aneinander zu binden, ist ein Outsourcing-Abkommen über mindestens 5,5 Milliarden Euro und einer Laufzeit von sieben Jahren. "Das ist einer der weltweit größten, wenn nicht gar der größte IT-Auslagerungs-Deal", freute sich Thierry Breton, CEO von Atos Origin. Im Zuge dieses Abkommen betreibt der französische IT-Provider nahezu die komplette zentrale und dezentrale IT des Dax-Konzerns und stellt im wesentlichen Integrationsleistungen zur Verfügung. Atos Origin übernimmt dazu sämtliche Verträge, die der Konzern mit der IT-Tochter abgeschlossen hat. Erst kürzlich hatte Siemens beispielsweise einen Großauftrag über 150 Millionen Euro an die eigenen Tochter SIS vergeben. Dieser sieht die globale Betreuung von rund 60.000 Mitarbeitern vor. "Die Beschaffenheit der Verträge wurde nicht verändert", betonte Siemens-Finanzchef Joe Kaeser auf der gemeinsam mit Atos Origin veranstalteten Pressekonferenz. "Lediglich das Volumen hat sich infolge der längeren Laufzeit erhöht."
- SIS in Kürze
Hier finden Sie einen kurzen Abriss über die Geschichte von Siemens IT-Services and Solutions (SIS) von 1995 bis 2010. - Januar 1995:
Der SIS-Vorgänger Siemens Business Services (SBS) wird als Gemeinschaftsunternehmen von Siemens und Siemens-Nixdorf Informationssysteme (SNI) unter Leitung von Friedrich Fröschl gegründet. - Dezember 1998:
Fröschl erwägt einen Börsengang in den USA, um potenzielle Übernahmen zu finanzieren. Er strebt eine weltweit führende Position an. Ein Auftrag in Großbritannien untermauert den Anspruch. Die britischen Sparkassen lagern für eine Milliarde Pfund an SBS aus. - November 2001:
Der gewonnene Deal erweist sich als faul. Er reißt SBS tief in die Verlustzone. Das Siemens-Management zweifelt an der SBS-Entwicklung. Fröschl muss gehen. Nachfolger wird Paul Stodden, der zuvor bereits Fujitsu-Siemens Computers saniert hatte. - Dezember 2001:
Stodden führt SBS wieder in die Gewinnzone, indem er die hohen Ansprüche zurechtstutzt, erste Märkte räumt und ein straffes Kosten-Management verfolgt. Die Marge liegt unter zwei Prozent. Das Siemens-Management fordert mindestens fünf Prozent bis zum Jahr 2004. - August 2003:
Der Umsatz schrumpft, die Marge entwickelt sich nicht wie erhofft. Stodden erwägt Entlassungen, sollte sich die schwierige Marktsituation nicht bessern. - Juni 2004:
Stodden geht. Adrian van Hammerstein, zuvor CEO von Fujitsu-Siemens Computers, kommt. - März 2005:
SBS will bis Ende des Geschäftsjahres 1000 Stellen streichen. Das Management verpflichtet alle Geschäftsbereiche, IT-Services von SBS zu beziehen. - April 2005:
Der neue Siemens-CEO Klaus Kleinfeld verpflichtet SBS auf eine Marge von über fünf Prozent in genau zwei Jahren. - September 2005:
Von Hammerstein geht, Christoph Kollatz kommt. - Oktober 2005:
SBS kündigt an, innerhalb von zwei Jahren 1,5 Milliarden Euro zu sparen und 5400 Stellen zu streichen. - Oktober 2010:
Unter Oeckings Leitung wird SIS als GmbH ausgegründet. - Dezember 2010:
Siemens verkauft SIS an Atos Origin . Damit schließt der Münchner Konzern endgültig das Kapitel der Kommunikations- und IT-Lösungen aus dem eigenen Haus. - Juli 2011
Am 1. Juli 2011 wurde die Übernahme der SIS durch Atos Origin offiziell abgeschlossen. Das dadurch entstandene Unternehmen firmiert unter dem Namen Atos. Es rückt im europäischen Ranking der größten IT-Service-Provider auf Rang zwei hinter IBM vor.
Das Gemeinschaftsunternehmen wird 78.500 Mitarbeiter beschäftigen, darunter 62.000 Ingenieure. Rund 1750 Siemensianer bleiben auf der Strecke. Infolge der Integration sollen ihre Arbeitsplätze gestrichen werden. Firmenangaben zufolge sind vornehmlich administrative Aufgaben betroffen. 650 Stellen davon fallen in Deutschland weg. Siemens stellt Restrukturierungsgelder in Höhe von 250 Millionen Euro bereit.
Atos will schnell integrieren
Atos Origin möchte SIS zügig integrieren. Der Fahrplan sieht vor, das Projekt bis Mitte 2011 abzuschließen. Am Ende des Prozesses soll es zwei Firmen geben: Atos SBS (Specialized Business Services) wird Services etwa für Transaktionen und Geschäftsprozess-Outsourcing (BPO) bereitstellen. Ziel ist es, mit diesem Geschäft im Jahr 2013 rund zwei Milliarden Euro einzunehmen. Atos SBS wird 11.000 Mitarbeiter beschäftigen. Das zweite Standbein wird Atos ITS (IT-Services) bilden. Hier werden rund 67.000 Mitarbeiter Outsourcing- und System-Integrationsprojekte betreiben. Das prognostizierte Umsatzvolumen beläuft sich auf 7,5 Milliarden Euro.
Siemens-CEO Peter Löscher bemühte sich, die Vorteile des SIS-Verkaufs herauszustellen: "Das ist eine gute Nachricht für die Industriepartnerschaft zwischen Deutschland und Frankreich und für die Wettbewerbsfähigkeit von Europa. IT ist ein wichtiger Wegbereiter für Innovationen im Industriesektor", warb der Siemens-Chef für das Abkommen. Man trete in eine langfristige strategische Partnerschaft ein. "Wir haben nun die Größe, als europäischer IT-Champion in den Wettbewerb um globale Aufträge einzutreten. Damit werden wir größere und wichtigere Deals gewinnen. Für Mitarbeiter und Kunden tun sich enorme Entwicklungsmöglichkeiten auf."