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"Wie ein Messerstich in den Rücken"

Aus für Handyproduktion in Deutschland: Nokia geht nach Südosteuropa

15.01.2008

"Wie ein Messerstich in den Rücken" - Fassungslosigkeit bei Nokia

Ein kalter Wind fegt den Mitarbeitern von Nokia in Bochum am Dienstag vor dem Werkstor ins Gesicht. Doch in den grau-blauen Fertigungshallen ist es nicht viel gemütlicher. "Das war wie ein Messerstich in den Rücken", sagt Tülay Aras. Sie kommt gerade aus der Frühschicht und einer Betriebsversammlung über das Aus für die Handy-Produktion. "Mein Mann Timur weiß noch gar nichts, der kommt gleich zur Spätschicht", sagt die 34-Jährige, die Teile für Handy-Zubehör zusammenstellt.

Aras hat zum ersten Mal bei der Arbeit im Radio vom Aus für Nokia Bochum gehört. "Und in dem Moment haben die das Radio abgestellt", sagt sie. Erst nach dem Ende der Nachrichten sei die zentrale Radioanlage wieder eingeschaltet worden. Neben ihr steht, den Tränen nah, Mike Küsener. Für ihn läuft zur Zeit gar nichts rund: "Ich lebe in Scheidung und hab gerade erst Post vom Rechtsanwalt bekommen, dass ich meine Einkünfte ausrechnen soll", sagt der zweifache Vater. 13 Jahre habe er im Werk gearbeitet.

Um ihn haben sich kleine Gruppen von Nokia-Angestellten gebildet, die sich gegenseitig von den Ereignissen des Vormittags erzählen, vom dauernden Klingeln des Telefons, vom Blick ins Internet und ungläubigem Erstaunen. Viele berichten auch von den Überstunden kurz vor Weihnachten. Marius Miarecki hat erst im Oktober einen unbefristeten Vertrag bekommen: "Wir sind an so vielen Feiertagen freiwillig gekommen", sagt er verbittert, "und jetzt kann ich ganz von vorn anfangen."

Die Arbeitnehmervertreter sagen, sie hätten auch erst am Dienstagmorgen von der Entscheidung erfahren. "Aber bei so vielen Details, die das Management erklärt hat, haben die das schon länger vorbereitet", ist sich die Betriebsratsvorsitzende Gisela Achenbach sicher. Sie habe schon die Schließung der Fernsehproduktion erlebt, "aber dass ich das mit 57 Jahren auch noch mitmachen muss, hätte ich mir nicht träumen lassen." Sie hoffe jetzt auf die Hilfe der Politik. Im Bochumer Werk sei doch schließlich Geld verdient worden. Aber viel Hoffnung für die 2300 Mitarbeiter haben beide nicht mehr - genauso wenig wie Bochums Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz (SPD), die in Interviews den "schlimmen Tag für Bochum und NRW" beklagt.

Eine 33 Jahre alte Mitarbeiterin, die ihren Namen nicht nennen will, trägt den bevorstehenden Verlust ihres Arbeitsplatzes mit Fassung: "Wenn ich eine Abfindung bekomme, mache ich erst mal drei oder vier Monate gar nichts." Ihre Kollegin (30), die mit ihr zum Auto auf dem Parkplatz geht, setzt ihre Hoffnung derweil auf Hilfe von oben: "Gott ist mein Versorger, wenn er will, bekomme ich wieder eine gute Stelle. Und sonst gehe ich halt nach Marokko zurück, in mein Heimatland."

Die Eisenbahnhaltestelle einige hundert Meter vom Werkstor zeigt die Bedeutung der Firma in der Ruhrgebietsstadt: Sie heißt "Bochum Nokia", und zwischen ihr und dem Hauptbahnhof verkehrt die "Nokia Bahn". "Die können sie bald abreißen", sagt ein Zeitarbeiter, der drei Jahre im Werk beschäftigt war und am Bahnsteig auf seinen Zug wartet, "hier is' nix mehr mit Nokia." (dpa/tc)