IT-Tops und -Flops 2023

Das prognostiziert die Redaktion

28.12.2022
Von  und
Karen Funk ist freie IT-Fachjournalistin und Autorin. Bis Mai 2024 war sie Redakteurin beim CIO-Magazin und der COMPUTERWOCHE (von Foundry/IDG). Zudem leitete sie 17 Jahre lang den renommierten IT-Wettbewerb CIO des Jahres. Funk setzt sich seit vielen Jahren für mehr Frauen in der IT und für digitale Bildung ein. 2024 erschien ihr Buch "Hack the world a better place: So gestalten Unternehmen die Zukunft", das sie mit Julia Freudenberg, Geschäftsführerin der Hacker School, zum Thema Corporate Volunteering geschrieben hat.
Heinrich Vaske ist Editorial Director a.D. von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO.
Metaverse, Elon Musk, Recruiting, Cybersecurity, Sustainability – wo geht die Reise 2023 hin? Worauf müssen wir uns einstellen? Ein Blick in die Glaskugel.

Top: KI und Quanten-Computing

Jürgen Hill, Chefreporter Future Technologies (COMPUTERWOCHE), ist überzeugt, dass zwei Themen auch 2023 die Diskussionen bestimmen werden: KI und Quanten-Computing.

"KI, weil es immer deutlicher wird, welches Potenzial die Technik hat - und wie dieses Potenzial vom deutschen Datenschutz ausgebremst wird. Hier ist endlich ein gesamtgesellschaftlicher Konsens gefragt, der aus mehr besteht, als nur leeren Worthülsen wie der von der ethischen KI.

Eng gekoppelt mit dem Thema KI ist das Quanten-Computing, denn diese Rechner versetzen uns in die Lage - kombiniert mit KI - Probleme zu lösen, für die bisherige Rechner nicht leistungsstark genug waren. Gerade beim Thema Nachhaltigkeit werden uns die Quantencomputer neue Lösungsansätze errechnen. Angesichts des enormen Potenzials dieser Technik wird die Liste der Unternehmen, die bereits Quantenalgorithmen schreiben und benutzen, 2023 immer länger werden. Denn wer nicht auf diesen Zug aufspringt, droht den Anschluss an die Zukunft zu verlieren. Und wir werden 2023 einen weiteren Leistungssprung bei den Quantenprozessoren erleben.

Jürgen Hill: "Gerade beim Thema Nachhaltigkeit werden uns die Quantencomputer neue Lösungsansätze errechnen."
Jürgen Hill: "Gerade beim Thema Nachhaltigkeit werden uns die Quantencomputer neue Lösungsansätze errechnen."

Eine Entwicklung, die aber auch ihre Schattenseiten hat: Mit der Leistungssteigerung der Quantencomputer werden auch neue Verschlüsselungsverfahren für das Zeitalter der Post-Quanten-Kryptographie immer dringlicher. Wer glaubt, er hätte hier noch ewig Zeit, möge sich ein Twitter-Post von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vom 1. Dezember 2022 in Erinnerung rufen: Darin teilte er mit, dass zum ersten Mal ein diplomatisches Telegramm mit Post-Quanten-Verschlüsselung versandt wurde."

Flop: Die Experimente des Elon Musk

Für Elon Musk sieht Hill hingegen finstere Wolken heraufziehen: "Einst als Entrepreneur und wahrer Tausendsassa gefeiert, könnte Elon Musk 2023 zum Beelzebub der Wirtschaft - oder zumindest zur Persona non grata werden: Von seinen Fans zwar noch gefeiert, vom Rest der Menschheit aber nicht mehr geduldet. Eine Entwicklung, an der Musk selbst schuld ist, hat er den Bogen in letzter Zeit doch zu oft überspannt. Hier sei nur an seinen unverantwortlichen, für alle Tesla-Kunden offenen Betatest mit der unausgereiften Software für das Full-Self-Driving (FSD) auf öffentlichen Straßen erinnert - hierzulande auch noch als 'volles Potenzial für autonomes Fahren' vermarktet.

Elon Musk könnte 2023 zur "persona non grata" werden - zu sehr hat er den Bogen in vielen Bereichen überspannt.
Elon Musk könnte 2023 zur "persona non grata" werden - zu sehr hat er den Bogen in vielen Bereichen überspannt.
Foto: Sergei Elagin - shutterstock.com

Oder seine abgehobenen Cyborg-Pläne, bei denen Musk den Menschen sogenannte Human Enhancements ins Gehirn einpflanzen will, damit sie mit den Fortschritten bei der Entwicklung von künstlicher Intelligenz (KI) mithalten können. Entsprechende Menschenversuche plant Musk in sechs Monaten, obwohl bei seinen Tierversuchen angeblich 15 von 23 Affen starben.

Und last, but not least wäre da noch Musks Anbiederung an Fake-News-König Donald Trump im Zuge der skandalumwitterten Twitter-Übernahme. Mit der Aufhebung des Twitter-Banns für Ex-Präsident Trump hat es sich Musk bei einem Großteil der liberal-eingestellten US-Amerikaner verscherzt. Sollte Musk 2023 an seinem Pro-Trump-Kurs festhalten, könnte das Folgen für Tesla haben: Schon verkaufen erste Amerikaner ihre Elektroautos, weil sie damit das Image eines rückwärtsgewandten Republikaners verbinden und nicht mehr den Nimbus des Fortschritts, den die Marke einst besaß."

Top: Sovereign Cloud

Beim Thema Sovereign Cloud und Gaia-X ist Heinrich Vaske, Editorial Director der COMPUTERWOCHE, inzwischen optimistisch: "Die Public Cloud bleibt für deutsche Unternehmen ein Muss. Doch ein 'All-in' in die US-Clouds von Amazon Web Services (AWS), Microsoft Azure und Google Cloud ist und bleibt mit Rechtsunsicherheiten verbunden. Außerdem sorgen sich viele Unternehmen, weil sie sich den Hyperscalern zu stark ausliefern (Stichwort: Vendor Lock-in).

Deshalb werden die Angebote der großen Cloud-Provider ergänzt werden um Sovereign-Cloud-Dienste, in denen sensible und geschäftskritische Workloads unter europäischer Kontrolle stehen. Vor diesem Hintergrund ist auch das umstrittene Gaia-X-Projekt nicht tot: Es kann helfen, eine föderierte und sichere Dateninfrastruktur in Europa aufzubauen, in der sich die vielen lokalen Cloud-Anbieter einbringen können."

Flop: Industrieweite Blockchain-Konzepte

Skeptisch ist Vaske hinsichtlich industrieübergreifender Blockchain-Projekte. "IBM und Maersk haben ihre gemeinsames Vorhaben TradeLens still und leise zu Grabe getragen. Es rechne sich nicht, hieß es, außerdem seien konkurrierende Containerschiff-Reedereien nicht geneigt gewesen aufzuspringen. Schade drum. Nicht ausgeschlossen, dass dies der Wendepunkt ist und der Traum von unternehmensübergreifenden Enterprise-Blockchain-Projekten ausgeträumt ist."

Editorial Director Heinrich Vaske fragt sich, ob der Traum von unternehmensübergreifenden Enterprise-Blockchain-Projekten ausgeträumt ist.
Editorial Director Heinrich Vaske fragt sich, ob der Traum von unternehmensübergreifenden Enterprise-Blockchain-Projekten ausgeträumt ist.
Foto: IDG / Tobias Tschepe