"I fell in love with IBM"

19.02.2002
Von 
Wolfgang Herrmann ist IT-Fachjournalist und Editorial Lead des Wettbewerbs „CIO des Jahres“. Der langjährige Editorial Manager des CIO-Magazins war unter anderem Deputy Editorial Director der IDG-Publikationen COMPUTERWOCHE und CIO sowie Chefredakteur der Schwesterpublikation TecChannel.

Im Middleware-Segment wie auch im gesamten Web-Umfeld habe der Hersteller in den letzten zwei bis drei Jahren große Fortschritte erzielt, kommentiert Praxmarer. Allerdings mangle es zum Teil noch immer an der Integration der unterschiedlichen Softwareprodukte. "IBM könnte im Softwarebereich noch um einiges stärker werden, wenn es gelänge, die einzelnen Produkte besser in einer Gesamtarchitektur zu verknüpfen."

Über die Frage, ob IBM unter Gerstner den Wandel zum Softwareunternehmen geschafft hat, lässt sich streiten. Die nackten Zahlen sprechen gegen diese These. Zwar stieg der Umsatz der Softwerker 2001 im Vergleich zu 1993 von 11,0 auf 12,9 Milliarden Dollar. Der Anteil an den gesamten Einnahmen sank aber von 18 auf 15 Prozent (siehe Grafik).

Zu den Sorgenkindern des weltgrößten IT-Anbieters zählt die nach wie vor kränkelnde Hardwaresparte. Gartner verweist auf die Tatsache, dass sich IBMs Wachstum bis zum Jahr 2006 ausschließlich aus den Geschäftsfeldern Services, OEM (Technologie, Komponenten) und Cross-Plattform-Software nähren wird. Der Rest könne zusammengenommen nicht zulegen. Insbesondere das Geschäft mit Großrechnern und den Midrange-Servern der "i-Serie" befinde sich kontinuierlich auf Talfahrt.

Angesichts solcher Prognosen dürfte es Palmisano durchaus beunruhigen, dass der Anteil des Hardwaregeschäfts am Gesamtumsatz 2001 noch immer bei 38,9 Prozent und damit nur knapp hinter der Servicesparte liegt. Zum Vergleich: 1993 entfielen mehr als die Hälfte der Einnahmen auf Hardwareprodukte.

PC-Sparte mit Problemen

Die drängendsten Probleme stellen sich in der PC-Division, die 1998 einen rekordverdächtigen Verlust von einer Milliarde Dollar verbuchte. Bis 2004 werde sich das BusinessModell der PC-Sparte grundlegend verändern müssen, schrieb Gartner-Analyst Tom Bittman im Herbst 2001, entweder durch ein Spinoff oder ein Outsourcing-Abkommen.

Erste Schritte in diese Richtung hat das Management im Januar 2002 unternommen, viel zu spät, wie Kritiker monieren. Im Rahmen eines Outsourcing-Vertrags lässt Big Blue künftig einen Großteil der PCs vom Auftragsfertiger Sanmina-SCI Corp. produzieren. Dennoch wird der Konzern auch künftig als PC-Anbieter präsent bleiben, erwarten Experten. Zur Unternehmensphilosophie, Komplettlösungen anzubieten, gehörten nach wie vor auch PC-Produkte, selbst wenn damit nur geringe oder gar keine Margen erzielt würden.

Umsatzstruktur IBM (1993 vs. 2001):Gemessen am Umsatz hat sich IBM unter Gerstner zum Serviceanbieter gewandelt. Viele Dienstleistungen sind noch eng mit den Hardwareprodukten verknüpft.     Quelle: IBM  
Umsatzstruktur IBM (1993 vs. 2001):Gemessen am Umsatz hat sich IBM unter Gerstner zum Serviceanbieter gewandelt. Viele Dienstleistungen sind noch eng mit den Hardwareprodukten verknüpft.     Quelle: IBM  

Das Gebot der Konsolidierung gilt auch für die Server-Sparte. Zwar sind die Zeiten, in denen sich die Vertriebsteams der unterschiedlichen Server-Plattformen gegenseitig Kunden abjagten, weitgehend vorüber. Doch die Integration der Produktlinien, technisch sowie aus Sicht der Marketing- und Vertriebs-Manager, ist längst nicht abgeschlossen.

Linux als Integrationsplattform

Einen Meilenstein auf dem Integrationsweg sieht die Führungsriege in der breiten Unterstützung quelloffener Software. Im Dezember 2000 forderte Gerstner, sämtliche Hardware- und Softwareprodukte für Linux anzupassen. Mehr als eine Milliarde Dollar wolle man für die Unterstützung des Open-Source-Betriebssystems aufwenden. Dieses könnte IBM als übergreifende Basis für sämtliche Hardwareplattformen dienen - und nebenbei den Erzrivalen Microsoft im Server-Geschäft unter Druck setzen.

Obwohl Gerstner eine lange To-do-Liste hinterlässt, erwarten Beobachter von Palmisano keine strategischen Veränderungen. "Als Gerstner antrat, stand eine Restrukturierung an", konstatiert Praxmarer. "Jetzt geht es um die Optimierung bestimmter Bereiche." Insgesamt sei IBM strategisch "recht gut" aufgestellt.

Für eine Fortsetzung des eingeschlagenen Kurses spricht schon die Vita Palmisanos. Nach einem sozialwissenschaftlichen Studium stieg er 1973 als Vertriebsmitarbeiter bei IBM ein - und blieb bis heute. Im Laufe seiner fast 30-jährigen Karriere leitete der Vater von vier Kindern fast alle wichtigen IBM-Sparten, darunter die PC-, Server- und Software-Divisionen. Ihm schreibt Gerstner den Aufbau des Dienstleistungsgeschäfts zu. Im September 2000 beförderte er ihn zum President und Chief Operating Officer (COO), eine gute Nachricht auch für die Open-Source-Gemeinde, denn Palmisano gilt als ausgewiesener Linux-Befürworter.

Unterschiedliche Führungsstile Die Führungsstile der beiden Topmanager könnten kaum unterschiedlicher sein. Insider beschreiben Gestner als autokratisch-konservativen und eher zugeknöpften CEO. Seine streng katholische Erziehung mag dazu beigetragen haben. Gleichwohl beschreibt er in einer E-Mail seine tiefe Verbundenheit zum Unternehmen ("I fell in love with IBM"). Ein großer Kommunikator einerseits, doch stets ungeduldig, kompromisslos und schwer zufrieden zu stellen, sagt ein ehemaliger Mitarbeiter über ihn. "Lou vergibt niemals die Note eins."