Studie von COMPUTERWOCHE und Trovarit AG: ERP-Anwender haben abgestimmt

Spezialisten kommen gut weg

02.09.2004
Von 
Uwe Küll ist freier Journalist in München.

Schließlich haben die Qualitätsmerkmale für die Befragten unterschiedliche Bedeutung in der Praxis. Außerdem kann man unterstellen, dass nicht allein die Qualitätsmerkmale den Gesamteindruck bestimmen. Vielmehr fließen auch Imagefaktoren wie die Marktposition des Herstellers mit ein, meint Martin, der die Studie mit organisiert hat: „Im oben angeführten Beispiel hat sicherlich SAP eine prominentere Marktposition als IFS.“ Betrachten wir die Positionen von MBS Navision und MegaPlus, können wir den gleichen Effekt erkennen. Über alle Systeme betrachtet, sind es vor allem funktionale und technische Defizite, die Anwender an ihrer Software bemängeln: „Mangelnde Flexibilität und Anpassbarkeit“ belegt Platz eins im Ranking der meistgenannten Kritikpunkte. Fast ein Viertel der Befragten (22 Prozent) beklagen sich darüber.Und in der Praxis müssen sie sich mit den Folgen herumschlagen: Anpassungen erfordern meist externe Berater oder Programmierer und sind dadurch langsam und teuer. Ein gravierendes Handicap also, ebenso wie die Nummer zwei der Kritikpunkte: „Ungenügende Unterstützung der Geschäftsprozesse durch das System (ungenügende Funktionalität)“. Dieses Manko nennen 21 Prozent der Teilnehmer. Hintergrund: Standard- ERP-Systeme bilden meist nicht alle Besonderheiten des einzelnen Unternehmens ab. Insbesondere an branchenspezifischen Anforderungen wie „Wachsende Stücklisten“ im Anlagenbau oder „Chargenrückverfolgung“ in der Nahrungsmittelindustrie scheitern vieleERP-Systeme.Aufwändige Datenpflege (20 Prozent), schlechte Bedienerfreundlichkeit/ Ergonomie (19 Prozent) und fehlende Schnittstellen zu anderen Systemen (16 Prozent) komplettieren die fünf häufigsten Beschwerden. „Hohe Betriebskosten“ kamen mit 15 Prozent nicht unter die Top Five der größten Ärgernisse. Womit die Befragung auch gezeigt hätte, dass die (mittelständischen) Anwender keineswegs nur auf die Kosten ihrer Lösungen schauen.

Abgesehen von den generellen Trends in der Kritik an den Produkten werden die Qualitätsmerkmale der ERP-Systeme sehr unterschiedlich eingestuft. Vergleichsweise gut bewertet werden Funktionalität, Mittelstandseignung und Performance der ERP-Systeme. Eher bescheiden fällt das Urteil dagegen in den Bereichen Customizing, Release-Fähigkeit, Ergonomie, Schnittstellen und Preis-Leistungs-Verhältnis aus. Auffällig schlecht werden die Möglichkeiten zur Erstellung vonFormularen und Auswertungen beurteilt. Dabei schwanken die Bewertungen der Qualitätsmerkmale in höchst unterschiedlicher Weise: Während sich die Anwender bei der Einschätzung der Funktionalität ihrer Lösungen insgesamt recht einig sind, bestehen in puncto Release-Fähigkeit, Customizing und Reporting-Möglichkeiten große Unterschiede zwischen den Systemen.

Abweichende Bewertungen

Aber auch verschiedene Projekte eines Anwenders mit dem gleichen System werden unterschiedlich beurteilt. So schwanken bei der Mehrzahl der Systeme die Bewertungen für das Customizing um eine ganze Note nach unten oder nach oben um den Mittelwert. Dieser Effekt wird in einigen Grafiken als „Varianz“ dargestellt. Die Ursachen für die Unterschiede liegen offensichtlich unmittelbar in der Projektabwicklung, sodass der Anwender den Projekterfolg in dieser Hinsicht maßgeblich beeinflussen kann.

Betrachtet man das Abschneiden der verschiedenen ERP-Systeme im Hinblick auf einzelne Qualitätsmerkmale, ergibt sich für die Funktionalität ein ähnliches Bild wie bei der Gesamtbewertung: Lösungen für kleinere Unternehmen sowie Branchenspezialisten schneiden am besten ab. Bei den Großen liegen hier SAP R/3 sowie die Automotive- Lösung XPPS relativ gut im Rennen. Ausgesprochen uneinig sind sich die Anwender in der Bewertung der ehemaligen Damgaard-Lösung XAL (heute Microsoft Business Solutions) sowie bei Aida, die beide Schwankungen von deutlich mehr als einer ganzenNote auf der Skala aufweisen. Der Blick auf die technische Performance und Stabilität der Softwarelösungen zeigt ein neues Bild:Hier spielen die größeren Systeme ihre Stärken aus. Aber auch einige klassische Mittelstandslösungen, wie die vielfach auf einer Linux-Plattform betriebene Abas Business Suite, können hier punkten. Abzüge erhalten dagegen dieOfficeLine von Sage und Aida. In Sachen „Mittelstandseignung“ sind sich schließlich die - überwiegend größeren - SAP-Anwender so ziemlich einig: SAP R/3 eignet sich eher für größere Unternehmen.

Dabei umfasst das Kriterium „Mittelstandseignung eines ERP-Systems“ mehrere Faktoren: Eine Korrelationsanalyse zeigt, dass die Mittelstandseignung vor allem an Aspekten wie der „leichten Bedienbarkeit“ (Ergonomie), einer angemessenen Funktionalität sowie möglichst einfacher Anpassungsprogrammierung, Customizing und Release- Wechsel festgemacht wird. Über allem stehen dabei jedoch zwei Qualitätsaspekte: ein günstiges Preis-Leistungs- Verhältnis (siehe Grafik) sowie die Frage, ob die vorher vereinbarten Projektergebnisse auch erreicht wurden.