Ausbeutung oder mehr Spielraum für Mitarbeiter?

Vertrauensarbeitszeit auf dem Prüfstand

01.10.2012
Von 
Peter Ilg ist freier Journalist in Aalen.

"Man arbeitet so lange, bis das Ziel erfüllt ist"

Vertrauensarbeit mag vernünftig sein, sie ist aber auch riskant, meint Rainer Burckhardt, Betriebsratsvorsitzender der Software AG in der Zentrale in Darmstadt. Selbstausbeutung und Ausbeutung durch Unternehmen seien eine Gefahr, wenn Arbeitszeit nicht vollständig erfasst wird. Gleitzeitregelung reicht den meisten, meint Burckhardt.

CW: Dass Gewerkschaften keine Freunde der Vertrauensarbeitszeit sind, ist bekannt. Bei der Software AG sind 800 der rund 2000 Mitarbeiter in Deutschland Vertrauenszeit-Arbeiter. Sehen Sie deren Situation kritisch?

Rainer Burckhardt, Betriebsrat bei der Software AG: "Viele Mitarbeiter dokumentieren Arbeitszeiten für Projekte, schreiben aber ihre Zeiten für Bürotätigkeiten oder Fortbildung nicht auf."
Rainer Burckhardt, Betriebsrat bei der Software AG: "Viele Mitarbeiter dokumentieren Arbeitszeiten für Projekte, schreiben aber ihre Zeiten für Bürotätigkeiten oder Fortbildung nicht auf."
Foto: Privat

Rainer Burckhardt: Das Problem ist nicht die Vertrauensarbeitszeit, sondern das Führen mit Zielen ohne Kontrolle der für die Zielerfüllung aufgebrachten Arbeitszeit. Darunter leiden vor allem Akademiker und damit fast drei Viertel unserer Beschäftigten, die häufig als Einzelkämpfer unterwegs sind. Sie meinen, Ziele auf Teufel komm raus erfüllen zu müssen. Leider prüft bei uns niemand wirklich nach, wie viel Zeit dafür gebraucht wurde. Man arbeitet eben so lange, bis das Ziel erreicht ist. Wenn Arbeitszeit nicht vollständig dokumentiert ist, besteht die Gefahr der Selbstausbeutung.

CW: Öffnet so "Führen mit Zielen" dem Unternehmen Tür und Tor, um Mitarbeiter auszubeuten?

Burckhardt: Ja, weil das Unternehmen bei Vertrauensarbeitszeit die Arbeitszeiten nicht selber kontrolliert, sondern sich darauf verlässt, dass die Mitarbeiter von sich aus die Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes einhalten. Kontrolle findet im Wesentlichen durch die Mitarbeiter selbst statt: sie dokumentieren ihre Arbeitszeit für Projekte, schreiben aber ihre Zeiten für Bürotätigkeiten oder Fortbildung nicht auf.

CW: Die Software AG würde gern die Vertrauensarbeitszeit für alle Mitarbeiter einführen, heißt es.

Burckhardt: Davon weiß ich nichts. Betriebsrat und Geschäftsführung haben eine Arbeitszeitregelung ausgehandelt und Flexibilisierung der Arbeitszeit vereinbart. Hat ein Mitarbeiter einen variablen Gehaltsanteil von zehn Prozent und mehr, dann arbeitet er automatisch unter Vertrauensarbeitszeitbedingungen. Jeder Mitarbeiter kann auch freiwillig in die Vertrauensarbeitszeit wechseln. Allerdings gibt es Jobs, die nur unter Vertrauensarbeitszeitbedingungen ausgeschrieben werden.

CW: Vertrauensarbeitszeit setzt Vertrauen voraus. Mangelt es daran im Unternehmen?

Burckhardt: Nein, das Problem sind eher die in Mitarbeitergesprächen vereinbarten Ziele. Die zeitlichen Vorgaben sind manchmal zu knapp. Hinzu kommt: Da bei uns mit Quartalszahlen gearbeitet wird, führt das in einigen Bereichen zu einer dünnen Personaldecke. Je geringer die Personalkosten, umso höher der Gewinn.

CW: Vor allem Mütter mit kleinen Kindern profitieren von der flexiblen Vertrauensarbeitszeit. Eigentlich müsste der Betriebsrat doch auf deren Seite sein und daher für Vertrauensarbeitszeit.

Burckhardt: Wir haben flexible Arbeitszeiten für alle Mitarbeiter in unserer Arbeitszeitregelung festgelegt. Das ist die Gleitzeit mit einer Bandbreite von sechs bis 22 Uhr an allen Werktagen. Mehrstunden können in Gleittagen oder -stunden abgefeiert werden und es gibt Lebensarbeitskonten für einen früheren Renteneintritt. Teilzeitbeschäftigte, die über ein Gleitzeitkonto verfügen, legen ihre Arbeitszeit in Absprache mit ihrer Führungskraft fest und können so ihre privaten mit den betrieblichen Belangen in Einklang bringen. Mehr Vertrauensarbeitszeit muss nicht sein.