Digital Analytics Association

Warum Industrial Analytics zu einer Kerndisziplin wird

19.12.2016
Von 
Jan Schulze ist freier Autor in Erding bei München.

Es fehlt an Standards

Viele Unternehmen haben in den vergangenen Jahren umfangreiche Big-Data-Projekte gestartet. Warum ist das immer noch eine Herausforderung?

Pörschmann: Die Probleme beginnen nicht bei Analytics, sondern schon beim Daten-Management. Daten stehen quasi an einer Staumauer und sollen kanalisiert werden. Das ist sinnvoll, schon allein aus Kostengründen. Gleichzeitig fehlt es aber besonders im Umfeld der Industrie an Standards, in welcher Form die erzeugten Daten vorliegen sollen und wie sie aggregiert, aufbereitet und verarbeitet werden können. Unserer Studie zufolge beklagen 78 Prozent der Befragten, dass die Interoperabilität der Systemkomponenten bei Analytics-Projekten herausfordernd sei. Die Hälfte sieht bei der Integration in bestehende Unternehmenslösungen Schwierigkeiten.

Ergeben Big-Data-Technologien aus Kostengründen Sinn? Zuvor sagten Sie, die Innovationen ständen im Mittelpunkt, nicht die Kostenreduzierung.

Pörschmann: Exakt! Sie müssen zwischen den Datentechnologien und der geschäftlichen Nutzung der Daten streng unterscheiden. Bei der Analyse der Daten steht Innovation im Vordergrund, das zeigt unsere Studie. Gleichzeit haben wir die Unternehmen nach den Kostenstrukturen von Datenprojekten befragt. Das Ergebnis: Ein Viertel der Kosten entfällt auf Software und Anwendungsentwicklung. Über 20 Prozent der Budgets werden für den Zugang zu den Daten aufgewendet, über 17 Prozent für Aufbereitung und Aggregation dieser Daten. Die reine Analyse hingegen benötigt nicht einmal 15 Prozent der Mittel, die Interpretation der Ergebnisse gerade einmal gut sechs Prozent.

Umgekehrt bedeutet das: Ist die technologische Basis einmal bereit und erprobt, sind auch die größten Kostenblöcke abgehakt. Das heißt, die Investitionen in Big-Data-Plattformen rechnen sich über die spätere systematische und dann auch skalierbare Erbringung von Datendiensten.

Wenn Analysen dazu dienen sollen, Entscheidungen zu unterstützen oder zu automatisieren, kann man dann nicht gleich die ganze Analyse automatisieren?

Pörschmann: In der Tat ist das aus meiner Erfahrung ein nicht selten geäußerter Wunsch von Unternehmen: 'Nehmen Sie unsere Daten und sagen Sie uns, was wir noch nicht wissen und was zu tun wäre.' Nicht selten besteht auch bei Top-Entscheidern der Glaube, ein einfacher Knopfdruck genügte und alle Probleme sind gelöst - selbst die so genannten "unknown Unknowns".

Fakt ist: Ja, man kann die Daten sprechen lassen. Aber systematische Analysen erfordern immer eine Zielsetzung, beziehungsweise eine zu untersuchende Hypothese. Unserer Studie zufolge gehen dementsprechend 64 Prozent der Unternehmen mit klar formulierten Hypothesen an Industrial Analytics heran. Dem gegenüber stehen 34 Prozent, die explorativ vorgehen - also mögliche Problem- und Fragestellungen zunächst offenlassen und die Möglichkeiten experimentell ausloten.

Eklatante Lücken bei Experten

Sie beklagten vorhin, dass ein zunehmender Engpass an Experten für Industrial Analytics zu erwarten ist. An welchen Profilen fehlt es denn?

Pörschmann: Wir als Verband beobachten schon seit einiger Zeit einen massiven Mangel an Fachleuten. Das hat auch die Studie nun belegt. Von den befragten Unternehmen sagen nur 22 Prozent, dass sie alle benötigten Skills an Bord haben. Eklatante Lücken sehen wir bei Experten für Data Science, für maschinelles Lernen und bei den IoT/M2M-Infrastrukturen.

Technologische Standards, Datenqualität - das ist alles lösbar. Die große Frage ist aber: Wo kommen die Fachkräfte her? Wer bildet sie aus? Im akademischen Bereich finden Sie kaum Studiengänge, die Data Science oder Machine Learning in den Mittelpunkt rücken. Auch die Unternehmen halten sich noch sehr zurück. Dabei wird es in den kommenden Jahren ein kritischer, wettbewerbsrelevanter Faktor für sie sein. Da fehlt es auch an Wissen in den oberen Etagen: Führungskräfte müssen verstehen, wie sie solche Expertenteams zusammenstellen und leiten. Datenkompetenz hat sich längst zu einer zusätzlichen Führungsdisziplin entwickelt

Im Vorwort zur Studie stellen Sie die These auf, dass sich Industrial Analytics von einer isolierten Business-Funktion zu einer strategischen Fähigkeit entwickeln wird. Was macht Sie da so sicher?

Pörschmann: Es ist der Blick in die USA. Wir müssen den amerikanischen Unternehmen einen drei- bis fünfjährigen Vorsprung attestieren. Dort haben sich mittlerweile sogar Standards etabliert, um die Datenreife von Unternehmen zu messen. Das ermöglicht den Vergleich der eigenen Datenfähigkeiten mit denen des Wettbewerbs und damit auch einen marktbezogenen Ausbau neuer Datenfähigkeiten. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir solche Reifegrad-Benchmarks auch hierzulande finden. Ich persönlich hoffe, dass sie dann die Handschrift der hiesigen Industrie tragen werden. Wir zumindest arbeiten derzeit mit vollem Eifer daran.