Ralph Haupter im Exklusiv-Interview

"Wir wollen Windows neu erfinden"

11.01.2012
Von 
Heinrich Vaske ist Editorial Director a.D. von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO.

Microsoft, die Cloud und die Rolle des CIO

Lassen Sie uns über die erste Welle reden: die Cloud-Services. Gibt es bei Microsoft einen Masterplan inklusive Milestones, mit dem Sie sich das Cloud-Thema aneignen?

Haupter: Das kann man so sagen. Ein erster Meilenstein war sicher unsere Business Productivity Online Suite (BPOS), die heute in Office 365 eingegangen ist: Wir haben die Office-Welt erstmals als Online-Funktionalität angeboten. Das haben wir intern als Speerspitze gesehen: Was bedeuten Services? Wie müssen Produkte für die Cloud ausgerichtet sein? Was funktioniert und was nicht? Mittlerweile haben wir unser Angebot zu Infrastructure as a Service vervollständigt. Windows Management Instrumentation und die Desktop-Verwaltung Windows Intune gehören dazu. Wir haben für unsere Partner und Kunden eine Online-Suite herausgebracht, über die Sie das gesamte PC-Management als Online-Service erledigen können.

Außerdem gibt es mit Azure den Platform-as-a-Service-Teil. Sie können damit spezielle Entwicklungsthemen in den Griff bekommen, BMW und Daimler beispielsweise fahren damit ambitionierte Projekte. Und dann haben wir jetzt Office 365. Ich glaube, wir haben in zehn Wochen so viele Lizenzen verkauft wie davor in zwei Jahren BPOS-Lizenzen. Hinzu kommen CRM als Cloud- oder On-Premise-Service und - wie erst kürzlich angekündigt - Dynamics NAV, die ERP-Welt also. Das wird dieses Jahr kommen.

Lösen Sie bei Ihren Kunden nicht Orientierungslosigkeit aus angesichts der vielen teils konkurrierenden Angebote?

Haupter: Ich glaube, da muss man sich keine Sorgen haben. Wir sind an der Stelle ganz klar und bieten den Kunden - sogar auf Tagesbasis - an, hybrid zu fahren. Es gibt architektonische Grundmerkmale, die wichtig sind. Ein Active Directory etwa, das Adressbuch für den Kunden. Dort lässt sich hinterlegen, welcher Teil on premise genutzt wird und welcher aus der Cloud bezogen wird. Windows 8 als Server-Betriebssystem wird deswegen bahnbrechend, weil Anwender die Chance haben, hybride Welten über ein Betriebssystem zu managen - unabhängig davon, ob der Server unten im Keller oder irgendwo in einem Rechenzentrum steht. Sie merken es nicht, sie haben einfach nur Laufwerke oder Erweiterungen irgendwo in Ihrer Infrastruktur.

Diese Funktionen machen wir mit der Management-Architektur, die wir anbieten, besonders einfach. Da sitzt jemand an einer Konsole und schaltet Last zu oder runter, Joystick-artig. Bis hin zu Applikationen, die sich relevante Daten aus der Cloud ziehen. Der Azure Marketplace beispielsweise bietet einen riesigen Fundus an Geodaten und statistischen Informationen. Wir sehen mehr und mehr Unternehmen, die CRM-Applikationen nutzen und für Auswertungen und Statistiken gewisse Teile aus dem Azure Marketplace aus der Cloud hinzunehmen. Darauf werden ganze Geschäftsmodelle entwickelt - zum Beispiel das Elektroauto, das anhand von Geodaten errechnet, wo die nächste Tankstelle ist.

CW: Ihre Kunden waren in der Vergangenheit meistens IT-Entscheider. Über Geschäftsmodelle befinden aber Geschäftsführungen und Fachabteilungen. Sehen Sie da Veränderungen?

Haupter: Es gibt in vielen Firmen Unternehmensbereiche, die erstmals Interesse haben, mit uns über Geschäftsmodelle zu reden. Mit der Cloud sind Dinge möglich geworden, die vorher nicht denkbar waren. Eine Marketing-Abteilung etwa, die sagt, meine Kampagne könnte viel qualifizierter sein, wenn ich bestimmte Daten über Regionen, Verkehrsanbindungen, Infrastruktur etc. hätte.

CW: Welche Rolle spielt dann künftig der IT-Verantwortliche?

Haupter: Er kann als einziger neutral über Cloud Computing sprechen. Wir gehen ja nicht zu ihm und sagen: Du musst jetzt Cloud Computing machen. Wir werden wie immer nach seinen Bedürfnissen und seinen Herausforderungen fragen. Wie will er den Vertrieb gestalten? Wie lassen sich neue Länder anbinden? Wie sind Produkte schneller zu entwickeln? Wir wollen dem CIO helfen herauszufinden, welches Softwareportfolio ihn weiterbringt. Dann kann er entscheiden, ob es kostengünstiger und besser im eigenen Rechenzentrum aufgehoben ist oder als Cloud-Service bezogen werden sollte.

Ich glaube über 80 Prozent aller CIOs sind derzeit dabei, für sich so etwas wie ein Cloud-Blueprint zu definieren. Die Fragestellung dabei lautet: Gibt es Services, die mich effizienter und schneller machen? Und was bringt mich noch dichter an die Business-Prozesse heran?

CW: Von Cloud Computing erwarten Anwender auch, ihre Kosten zu senken. Infrastruktur, Personal, Effizienzgewinne - hier gibt es verschiedene Hebel. Nur bei den Lizenzkosten scheint sich wenig zu tun. Die Preise ähneln denen der On-premise-Welt…

Haupter: Wichtig ist die Gesamtkostenbetrachtung: Was kostet es, eine Office-Umgebung on premise oder aus der Cloud zur Verfügung zu stellen? Letztendlich obliegt es dem Kunden, das zu bewerten. Er muss ich fragen: Was kostet meine Server-Infrastruktur? Wie schreibe ich sie ab? Wie und mit welchem Aufwand betreue ich sie? Welchen Sicherheitsaufwand betreibe ich etc.

Es gibt sicher Kosteneffekte, die für Services sprechen. Aber wir sagen auch immer klar, dass der Online-Service, den wir anbieten, bewusst einfach gehalten und sehr standardisiert ist. Der wirkliche Effekt entsteht nach meiner Einschätzung im Gewinn an Flexibilität. Man ist einfach viel schneller, wenn man einen Service nutzt als wenn man eine eigene Infrastruktur aufbaut. Mit Office 365 haben Sie sich inklusive Active Directory binnen 48 Stunden eingerichtet. (hv/tc)