Der Chef und sein bester Zuhörer

31.01.2002
Von 
Alexandra Mesmer war bis Juli 2021 Redakteurin der Computerwoche, danach wechselte sie zu dem IT-Dienstleister MaibornWolff, wo sie derzeit als Head of Communications arbeitet.

An den Coaching-Seminaren nehmen Vertreter unterschiedlichster Firmen teil, die alle mit einem bestimmten Problem kommen. Der Betroffene beschreibt kurz die Situation und sucht sich aus den Seminarteilnehmern so genannte Stellvertreter, die die Rollen der Firmenakteure einnehmen und die er intuitiv im Raum platziert. Damit zeichnet der Betroffene ein „plakatives Raumbild, das sein eigenes inneres Bild eines Beziehungsgefüges nach außen widerspiegelt.

Bei dieser ersten Aufstellung deutet sich manchmal allein durch die Mimik und Gestik der Stellvertreter schon das Problem an“, berichtet der Psychologe Klaus-Peter Horn, der mit seiner Firma Commit Coaching und Training im bayerischen Schondorf am Ammersee offene wie firmeninterne Aufstellungsseminare anbietet. Bei Letzteren gehe es mehr um organisatorische Fragen als um zwischenmenschliche Probleme.

Versteckte Machtstrukturen aufzeigen

Als Coach befragt Horn die Stellvertreter nach der ersten Aufstellung, wie sie mit der ihnen zugewiesenen Rolle und dem Standort im Raum klarkommen. In diesen Dialogen treten dann immer deutlicher die verdeckten Machtstrukturen zu Tage. Horn nennt ein Beispiel: „Der Vertriebsleiter klagt, dass er Schwierigkeiten mit dem Kontakt zum Kunden hat. Bei der Aufstellung wird deutlich, dass der Entwicklungschef zwischen ihm und dem Kunden steht.“

In dem Fall entspinnt sich ein vom Coach gesteuerter Dialog zwischen den beiden Stellvertretern mit dem Ergebnis, dass Vertriebsleiter wie Entwicklungschef die Kompetenzen ihres Gegenübers anerkennen, ihren Aktionsradius abgrenzen und eine entsprechende neue Aufstellung einnehmen. Mit diesem neuen Wissen kann der wirklich betroffene Vertriebsleiter in sein Unternehmen zurückgehen, den Dialog mit dem Entwicklungschef führen und eine gemeinsame Lösung suchen.

Dass sich auch komplexe Systeme und Probleme mitunter binnen einer halben Stunde auf diese Weise darstellen lassen, erklärt Horn mit der Intelligenz der rechten Gehirnhälfte, die hier zum Einsatz kommt: „In Worten können wir eine Situation nur zergliedert und in zeitlicher Abfolge ausdrücken. Ein Bild aber enthält das Ganze. Sie müssen sehr lange fragen, prüfen und analysieren, um auch nur annähernd die Informationen zu erhalten, die ein Aufstellungsbild liefert.“

Die systemische Methode funktioniert aber nur, wenn die Betroffenen das Problem hinterher auch lösen dürfen. Zudem sollen sie wie beim One-to-one-Coaching freiwillig mitmachen. Dazu Horn: „Eine gesunde Skepsis im Sinne des genau Hinsehens darf ruhig vorhanden sein, aber wenn die Betroffenen die Stellvertreter bewusst falsch informieren und sie zu manipulieren versuchen, sind diese verwirrt, und die Aufstellung funktioniert nicht.“

Bei privaten Problemen stößt Coaching an seine Grenzen 

Auch Manager-Coach Kremin hat festgestellt, dass die schwierigsten Klienten diejenigen sind, die das Unternehmen zu ihm schickt, weil sie durch das Assessment-Center gefallen sind und als Bedingung für den nächsten Schritt auf der Karriereleiter ein Coaching absolvieren müssen: „Dann wird es als ungeliebter Nachhilfeunterricht empfunden. Als Trainer habe ich dann erst einmal alle Hände voll zu tun, der Kränkung des Kandidaten entgegenzusteuern.“ In solchen Fällen behält es sich Kremin auch vor, den Auftrag nicht anzunehmen.

Umstritten ist auch die Frage, wann Coaching aufhört und die Therapie beginnt. Das systemische Coaching in offenen Seminaren stößt an seine Grenzen, wenn sich zeigt, dass das Problem des Betroffenen nicht in der Firma, sondern im Privatbereich wurzelt. Dann empfiehlt Horn ein Einzelgespräch oder eine Familientherapie. Einzel-Coaches wie Sautter oder Kremin beziehen in die Arbeit mit ihren Kunden oft auch deren Privatleben mit ein, zumal die Ausgeglichenheit einer Führungskraft nicht nur auf beruflichen Erfolgen beruht.

Mehren sich im Laufe des Coachings allerdings Anzeigen, die etwa auf eine Suchterkrankung oder einen Burnout schließen lassen, ist eine tiefer gehende Therapie nötig, die dann der Coach nicht mehr leisten kann.