CW: Herr Knigge, wie halten Sie es mit der Etikette?
Knigge: Mir geht es genauso viel oder wenig um Etikette wie meinem berühmten Vorfahren Adolf Freiherr Knigge. Der hat übrigens nicht "Über den Umgang mit Messer und Gabel", sondern "Über den Umgang mit Menschen" geschrieben. Für mich ist Etikette nur ein Bestandteil von Kommunikation.
CW: Dennoch heißt ein Vortragsthema auf Ihrer Homepage "Menschen mit Manieren öffnen sich viele Türen".
Knigge: Menschen mit Manieren sind Menschen, die sich auf verschiedene Situationen einstellen können. Ich habe kein Problem mit Etikette. Viele meinen, es geht darum, den Leuten Regeln beizubringen. Ich meine, es geht darum, den Leuten eine Haltung beizubringen. Einem aufmerksamen, respektvollen Mensch erschließt sich von selbst, was im jeweiligen Umfeld angemessen ist.
- „Vieles wird heute abgefrühstückt mit Kursen für Etikette …
… dabei sollten die Leute einmal lernen, höflich miteinander umzugehen, statt mit Messer und Gabel zu essen.“ - Adolph Freiherr Knigge sagt zur Etikette, …
… dass er die steife Etikette als etwas Unmenschliches ablehnt. Sein Buch „Über den Umgang mit Menschen“ ist etwa 450 Seiten lang und er hat nur einen langen Satz über Etiketteregeln geschrieben. Der ist allerdings über zwei Seiten lang. Darin listet er einfach gängige Verhaltensregeln auf. Er schließt den Satz mit der Bemerkung ab: „Dies sind nur die kleinen Dinge der Welt, aber jeder Mensch soll sich bewusst darüber sein, dass die persönliche zeitliche Wohlfahrt immer wieder von Menschen abhänget, denen diese kleinen Dinge sehr wichtig sind. Von daher wäre es dumm, sie einfach zu missachten.“ - „Versuchen Sie, ein angenehmer Mensch zu sein.“
… rät Moritz Freiherr Knigge: „Denn die Basis für Wertschätzung ist Umgänglichkeit.“ Die Hauptpfeiler für eine wertschätzende Haltung sind nach Knigge … - … Offenheit:
Er sagt: „Interessieren Sie sich für andere, treten Sie ihnen mit Respekt entgegen. Auch eine Klofrau verdient einen Blick, eine Begrüßung, einen Dank. Haben Sie keine Dünkel.“ - … und Maß:
„Der wertschätzende Mensch ist maßvoll, sich seiner selbst bewusst, ohne in sich selbst verliebt zu sein. Sehen Sie die Dinge nicht schwarz-weiß, sondern suchen Sie die goldene Mitte und handeln Sie angemessen. Ungelassenheit etwa ist der Feind der Höflichkeit, das ist unprofessionell. Fangen Sie an, Ihre Emotionen zu kontrollieren. Denn im Stress kommt er wieder heraus, der Höhlenmensch.“ - … und beherztes Handeln:
„Wenn etwas schief läuft, müssen Sie es sagen. Ruhig und freundlich.“ - … und Souveränität:
„Starke Menschen stehen zu ihren Fehlern. Rechtfertigen ist unsouverän. Entschuldigen Sie sich, wenn Sie Fehler gemacht haben. Menschen können verzeihen. Manager, die zu ihren Fehlern stehen, sind souveräne Menschen.“ - „Machen Sie sich Dinge bewusster und …
… Don’t argue with reality. Die Ampel wird nicht rot, nur weil Sie gerade da sind.“ - Das hat Vorteile für das Unternehmen:
„Wenn die Kultur des Unternehmens gut ist, arbeiten die Mitarbeiter besser. Generell setzen Chefs das Klima und beeinflussen die Unternehmenskultur. Nicht umsonst sagt man, ‚Wie der Herr, so des Gscherr‘.“
CW: Zum Thema Kommunikation geben Sie Workshops für Unternehmen. Was bringen Sie den Teilnehmern bei?
Knigge: In den Workshops geht es in erster Linie um die Kommunikationskultur in Unternehmen. Wie gehen Menschen miteinander um, wie kommunizieren sie tagtäglich miteinander, wie reden sie miteinander, welche Sprache, welche Wörter benutzen sie? In diesen Workshops wollen wir den wir Menschen Kommunikation bewusst machen. Unsere Grundidee ist, wenn Menschen anfangen, bewusst zu kommunizieren, kommunizieren sie sofort besser, denn sie achten auf einmal darauf, was sie eigentlich sagen.
CW: Was unterscheidet Sie von anderen Kommunikationstrainern?
Knigge: Wir versuchen, den Teilnehmern die Kommunikation über Kommunikation beizubringen. Das Reden über das Reden, "talk the talk", Metakommunikation. So können Betroffene auch Missstände ansprechen, wie etwa: "So, wie Sie jetzt mit mir geredet haben, habe ich mich angegriffen gefühlt." Das ist die einzige Möglichkeit, Missverständnisse zu lösen.
CW: Es geht also vor allem um Wahrnehmung?
Knigge: Wahrnehmung ist extrem wichtig. Deshalb nennen wir uns auch Agentur für wertschätzende Konstruktion und Kommunikation. Wir gehen davon aus, dass die Wahrnehmung des Einzelnen die Art der Kommunikation maßgeblich beeinflusst.
CW: Inwiefern?
Knigge: So, wie man jemanden wahrnimmt, so reagiert derjenige auch. Das heißt, wenn ich mich beispielsweise von Ihnen angegriffen fühle, schlage ich zurück oder stecke den Kopf in den Sand. Das ist ein Grund dafür, warum sich Firmen immer mehr für dieses Thema interessieren, weil sie es sich nicht leisten können, dass ihre Leute gehen. Und die High Potentials, die jeder haben will, sind die ersten, die kündigen, wenn die Kommunikationskultur nicht stimmt. Die anderen, die kündigen nicht, die sitzen es aus, die resignieren. Und das ist teuer. Ganz zu schweigen von den Reibungsverlusten, die tagtäglich durch schlechte Kommunikation hervorgerufen werden.
CW: Eine wertschätzende Kommunikation fußt also auf wertschätzender Wahrnehmung, die wiederum auf dem eigenen Selbstverständnis aufsetzt.
Knigge: Es geht nur ums Selbstverständnis. Ich kann nur aus dem eigenen Selbstverständnis heraus wertschätzend kommunizieren. Das ist auch der Fehler, den viele Menschen machen: Viele zeigen mit dem Finger auf die anderen. Jeder, der an Kommunikation beteiligt ist, hat die Möglichkeit, diese in positive Bahnen zu lenken. Und jeder der Beteiligten hat Schuld, wenn es schief läuft. Nicht nur einer.